| # taz.de -- Stockholmer Sipri-Institut: Nukleare Abrüstung war einmal | |
| > Erstmals seit den 90er Jahren ist die Zahl einsatzfähiger Atomwaffen | |
| > gestiegen. Das Sipri-Institut warnt vor einem neuen nuklearen Wettrüsten. | |
| Bild: Sarmat-Interkontinentalrakete an einem unbekannten Ort in Russland | |
| Stockholm taz | Das Bemühen um nukleare Abrüstung und eine | |
| Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen kommt nicht voran. Erstmals seit | |
| Beginn der 1990er Jahre ist 2020 der Bestand der „deployed warheads“, also | |
| der mit „hoher operationeller Bereitschaft“ unmittelbar einsatzbereiten | |
| Atomwaffen, angewachsen. Wurde deren Zahl 2019 auf global 3.720 geschätzt, | |
| waren es im vergangenen Jahr 3.825. | |
| Gleichzeitig sank zwar in der globalen Nuklearwaffenstatistik die Zahl | |
| atomarer Sprengköpfe von 13.400 auf 13.080. Aber ausgemustert wurde im | |
| Wesentlichen nur, was sowieso nicht mehr einsatzfähig war, konstatiert das | |
| Friedensforschungsinstitut Sipri in seinem diesjährigen Jahrbuch, das am | |
| Montag veröffentlicht werden sollte und der taz vorab vorlag. | |
| Die Modernisierung der nuklearen Arsenale habe das Potenzial, zu einem | |
| neuen [1][nuklearen Wettrüsten] zu führen, warnt das Stockholmer Institut. | |
| Es gebe „besorgniserregende Zeichen dafür, dass der rückläufige Trend, der | |
| die weltweiten Nukleararsenale seit dem Ende des Kalten Krieges | |
| gekennzeichnet hat, zum Stillstand gekommen ist“, sagt der | |
| Sipri-Nuklearwaffenexperte Hans M. Kristensen. | |
| Der dänische Forscher und Direktor des Nuclear Information Project des | |
| Bundes amerikanischer Wissenschaftler (FAS) sprach von „schlechten | |
| Aussichten für eine zusätzliche bilaterale nukleare Rüstungskontrolle | |
| zwischen den nuklearen Supermächten“. | |
| Auch wenn die in letzter Minute erfolgte Verlängerung des | |
| New-Start-Abkommens durch Russland und die USA im Februar 2021 „eine | |
| Erleichterung gewesen“ sei, „scheinen sowohl Russland als auch die USA die | |
| Bedeutung, die sie Nuklearwaffen in ihren nationalen Sicherheitsstrategien | |
| beimessen, zu erhöhen“. | |
| ## Kehrtwende unter Trump | |
| So hätten die USA in der [2][unter Präsident Trump] 2018 beschlossenen | |
| Nuclear Posture Review (NPR) das Spektrum möglicher Szenarien für den | |
| Einsatz von Atomwaffen weiter ausgedehnt – was eine Kehrtwende vom NPR der | |
| Obama-Regierung von 2010 war, welche die Bedeutung von Atomwaffen für die | |
| US-Militärdoktrin verringern wollte. | |
| Die USA hätten auch das Budget für das nukleare Forschungs- und | |
| Entwicklungsprogramm um 25 Prozent erhöht. Von den geschätzt 72,6 | |
| Milliarden US-Dollar, die 2020 global für Nuklearwaffen aufgewendet wurden, | |
| entfallen mit 37,4 Milliarden mehr als die Hälfte auf die USA, 10 | |
| Milliarden auf China und rund 8 Milliarden auf Russland. Sipri schätzt, | |
| dass die USA und Russland die Zahl ihrer „deployed warheads“ im vorigen | |
| Jahr um jeweils rund 50 erhöht haben. | |
| Diese beiden Staaten allein haben die Kontrolle über 90 Prozent aller | |
| globalen Nuklearwaffen – wobei aber auch die anderen sieben atomar | |
| bewaffneten Staaten (Großbritannien, Frankreich, China, Indien, Pakistan, | |
| Israel und Nordkorea) neue Waffensysteme entwickelten oder stationierten | |
| beziehungsweise entsprechende Absichten angekündigt hätten. | |
| ## Neue Sicherheitspolitik in Großbritannien | |
| Die deutlichsten Signale habe Großbritannien mit einem neuen | |
| sicherheitspolitischen Grundsatzdokument gegeben. Demnach soll das | |
| britische Atomwaffenarsenal von 180 auf 260 Atomsprengköpfe ausgebaut | |
| werden. China befinde sich in einer Phase einer bedeutenden Modernisierung | |
| und Erweiterung seines Bestands, betont Sipri. | |
| „Und auch Indien und Pakistan scheinen ihre Nukleararsenale zu erweitern.“ | |
| Nordkorea habe 2020 zwar keine weiteren nuklearen Testexplosionen oder | |
| ballistische Langstreckenraketentests durchgeführt, setze aber die | |
| Produktion von spaltbarem Material und die Entwicklung von ballistischen | |
| Kurz- und Langstreckenraketen fort. | |
| Das Inkrafttreten des UN-Atomwaffenverbotsvertrags im Januar 2021 | |
| unterstreiche gleichzeitig „die wachsende Kluft“ zwischen | |
| Nicht-Nuklearstaaten und den Nuklearmächten, „die alle in die langfristige | |
| Zukunft ihrer Nuklearstreitkräfte investieren, während andere Staaten | |
| ungeduldig Fortschritte bei der nuklearen Abrüstung einfordern“, sagt | |
| Sipri-Forscher Matt Korda. Mit dem jetzigen ersten rechtsverbindlichen | |
| Abkommen zum Verbot der Entwicklung, Stationierung, des Besitzes, des | |
| Einsatzes und der Androhung des Einsatzes von Nuklearwaffen wachse der | |
| Druck auf die Nuklearmächte zu wirklichen Abrüstungsschritten. | |
| Das 52. Sipri-Jahrbuch hebt aber auch hoffnungsvolle Entwicklungen hervor: | |
| Trotz ungelöster Konflikte, steigender Militärausgaben und des ersten Jahrs | |
| einer verheerenden Pandemie habe „sich die globale menschliche Sicherheit | |
| im Jahr 2020 nicht weiter verschlechtert“, lautet das Fazit von | |
| Sipri-Direktor Dan Smith. Die Zahl der Menschen, die in bewaffneten | |
| Konflikten ums Leben kamen, sei deutlich zurückgegangen und es habe „einige | |
| bemerkenswerte – wenn auch immer noch unzureichende – Fortschritte bei den | |
| Klimazielen gegeben“. | |
| 14 Jun 2021 | |
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| Reinhard Wolff | |
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