| # taz.de -- Stimmen aus dem Gazastreifen: „Die Hamas wird eine Kraft in Gaza … | |
| > Im Gazastreifen feiern die Menschen den Waffenstillstand. Vier von ihnen | |
| > erzählen, was nun ihre Pläne sind – und was sie über die Hamas denken. | |
| Bild: Menschen versuchen in ihre Häuser zurückzukehren: nach dem Beginn der W… | |
| ## „Wir dachten, der Krieg würde zwei Monate dauern“ | |
| „Ich wurde zu Beginn des Krieges aus Gaza-Stadt im Norden des Gazastreifens | |
| in den Süden vertrieben, nachdem das israelische Militär uns dazu | |
| aufgefordert hatte:[1][um unser Leben und das Leben unserer Kinder zu | |
| schützen.] Der Weg nach Süden war dennoch voller Risiken. Wir hatten nicht | |
| damit gerechnet, dass der Krieg so lange andauern würde. Als wir vertrieben | |
| wurden, stellten wir uns als Erstes die Frage: Was brauchen wir, was müssen | |
| wir mitnehmen? Dass der Krieg so lange dauern würde, hat mich wirklich | |
| überrascht. | |
| Wir dachten, dass er vielleicht fünf Tage anhält, maximal aber zwei Monate. | |
| Wir dachten: Bald können wir nach Hause zurückkehren. Tatsächlich war die | |
| Situation viel schwieriger als erwartet. Wir dachten dann: Vielleicht hat | |
| die israelische Armee Ziele, die sie nicht öffentlich erklärt. Die Leute | |
| sind sich unsicher, was ihre Zukunft bringen wird. Ich habe zu Beginn des | |
| Krieges mein Zuhause verloren und auch Angehörige. Ich kann derzeit nichts | |
| planen: Ich bin im Süden des Gazastreifens, muss aber irgendwann in den | |
| Norden zurück. | |
| Die Hamas regiert den Gazastreifen. Ich denke aber, dass sie nicht an der | |
| Macht bleiben wird. Sie wird allerdings eine Kraft vor Ort bleiben. Ich | |
| könnte mir vorstellen, dass sie dann offiziell andere Parteien unterstützt | |
| oder sogar in die Opposition geht. Die Hamas weiß, dass ein großer Teil der | |
| Welt damit ein Problem hat, wenn sie an der Macht bleibt – auch die USA. | |
| Die ganze Welt hat sich klar ausgedrückt: Die Hamas darf nicht an der Macht | |
| bleiben. Wenn sie das tut, wird sie noch mehr Probleme schaffen. Es sei | |
| denn, es finden Wahlen statt – und die Hamas wird offiziell wiedergewählt. | |
| Das kann ich mir derzeit aber nicht vorstellen. | |
| Ich hoffe, dass bald die Preise für Lebensmittel und Güter deutlich sinken, | |
| wenn täglich 600 Lastwagen in den Gazastreifen einfahren sollen. Ich habe | |
| das Gefühl, dass es jetzt schon eine Verbesserung gibt, obwohl das Ende des | |
| Krieges erst einige Stunden her ist. Früher fuhren nur 30 Lastwagen am Tag | |
| in den Gazastreifen ein. Es kann nur besser werden.“ | |
| Muhammad Sobh, vertrieben aus Gaza-Stadt in Nordgaza | |
| ## „Das wichtigste ist, dass der Krieg nicht zurückkehrt“ | |
| „Ich wurde mehr als sieben Mal vertrieben: Aus dem Al-Shati-Camp in | |
| Nordgaza nach Zentralgaza, mehrfach innerhalb von Zentralgaza, dann nach | |
| Raffah ganz im Süden. Innerhalb Raffahs wurde ich wieder viele Male | |
| vertrieben, schließlich kam ich in das Al-Bureij-Lager in Zentralgaza und | |
| [2][schließlich nach Deir Al-Balah]. | |
| Was uns widerfahren ist, widerfuhr fast allen im Gazastreifen. Die Menschen | |
| hier sind gezeichnet von Hunger, von Unterdrückung, von Vertreibung und | |
| Obdachlosigkeit. Wir sind mehr als einmal dem Tod entkommen – durch direkte | |
| und indirekte Angriffe der israelischen Armee. Nun, mit dem Beginn des | |
| Waffenstillstands, ist das endlich vorbei. Das wichtigste für uns ist, dass | |
| der Krieg nicht zurückkehrt, dass das Leben wieder beginnt und dieser | |
| zerstörerische Kreislauf ein Ende nimmt. Und dass die Menschen aus den | |
| schwierigen Umständen, in denen sie derzeit leben, befreit werden. Darauf | |
| freuen wir uns in der jetzigen Zeit. | |
| Vielleicht ist es noch zu früh, um über Pläne für ein Danach nachzudenken. | |
| Wir stehen immer noch unter dem Schock des Schreckens und der Zerstörung, | |
| die wir durchlebt haben. Wir haben so viele Schäden durch diesen Krieg | |
| erlitten. Ich frage mich: Wie wird uns das in Zukunft beeinflussen? Was | |
| wird uns das Geschehene tun lassen? Wird die Hamas an der Macht bleiben | |
| oder nicht? Am wichtigsten ist die nationale Einheit der Palästinenser. | |
| Dass die Spaltung des Staates ein Ende hat, dass es eine Regierung von | |
| Technokraten gibt, dass es einen gemeinsamen Konsens gibt und dass es keine | |
| Besetzung von Gaza gibt. Es gibt politische Optionen, die den Menschen | |
| bessere Dienste leisten können als bisher. | |
| Der Waffenstillstand hat begonnen – jetzt ist die Versorgung besonders | |
| wichtig. Die Einfahrt von Hunderten Lastwagen nach Gaza wird eine große | |
| Wirkung haben. Ägypten spielt dabei sicherlich eine wichtige Rolle, ebenso | |
| wie die Vereinigten Arabischen Emirate und internationale Organisationen. | |
| Alle freuen sich darauf, dass die Preise fallen, wenn der Zustrom von | |
| Gütern nach Gaza endlich steigt. | |
| Yousef Ahmed, vertrieben aus dem Al-Shati-Lager in Nordgaza | |
| ## „Wir brauchen eine Polizei, die die Lage vor Ort kontrolliert“ | |
| Sieben Mal wurde ich vertrieben: Aus meiner Heimat Beit Hanoun in das | |
| Al-Maghazi-Camp in Zentralgaza, dann nach Deir Al-Balah, dann nach Rafah, | |
| dann wieder zurück nach Zentralgaza. Immer in die Gebiete, die die | |
| Besatzungsmacht als sichere „Humanitäre Zone“ festlegte. Wir haben während | |
| Vertreibung und Krieg im Gazastreifen katastrophale Lebensbedingungen | |
| durchgemacht: Bombenangriffe, Tote und Verletze um uns herum, den Verlust | |
| einer großen Anzahl von Familienmitgliedern und Freunden. Und wir wissen: | |
| Wir selbst sind zwar aus dem nördlichen Gazastreifen geflohen, aber viele, | |
| die geblieben sind, wurden zu Märtyrern. | |
| Wird die Hamas an der Macht bleiben? Das ist ein sehr, sehr sensibles | |
| Thema, das ich nicht öffentlich diskutieren möchte. Wir im Gazastreifen | |
| fordern: Polizeikräfte, damit die Lage vor Ort kontrolliert wird – während | |
| des gesamten Krieges herrschte eine prekäre Sicherheitslage. [3][Die | |
| Menschen müssen wieder Sicherheit und Schutz spüren.] Das ist wichtig, um | |
| nach dem Krieg im Gazastreifen endlich aufatmen können. | |
| Wir hoffen, dass diejenigen, die nun die Kontrolle über den Gazastreifen | |
| übernehmen, berücksichtigen, was uns widerfahren ist. Wir wissen nicht, was | |
| geplant ist. Aber wir hoffen, dass diejenigen, die die Kontrolle über den | |
| Gazastreifen übernehmen, auf die trauernden und verletzten Menschen hier | |
| schauen und sich von persönlichen Interessen distanzieren. Es gibt keine | |
| echten Feierlichkeiten im Gazastreifen: Trauer, Verlust und Schmerz | |
| dominieren die Atmosphäre. Trotz der Waffenruhe: Gefeiert wird hier nicht. | |
| Sicherlich waren viele Menschen über das Ende des Krieges und das | |
| Inkrafttreten des Waffenstillstands sehr froh. Immerhin haben die Massaker, | |
| die an palästinensischen Familien verübt wurden, aufgehört. Es gibt keine | |
| täglichen Bombenangriffe mehr, kein Töten und Blutvergießen, keine | |
| abgesprengten Körperteile – diese Szenen sind jetzt vorbei. Jedes Mal, wenn | |
| wir die Geräusche der Raketen hörten, dachten wir, sie würden auf uns | |
| fallen. Nach diesem Tag werden wir diese Geräusche nicht mehr hören müssen. | |
| Dafür danke ich Gott. Ich möchte einfach in Frieden, Sicherheit und Ruhe | |
| leben. | |
| Ich hoffe, dass sich nun auch die Versorgungslage ändert: Es war im Krieg | |
| nicht einfach, an Lebensmittel zu kommen. Immer wieder waren sie so teuer, | |
| dass wir sie uns nicht leisten konnten. Der Preis für einen Sack Mehl stieg | |
| zwischenzeitlich auf 350 US-Dollar. Dafür fehlte uns das Geld – auch weil | |
| wir unsere Lebensgrundlage verloren hatten, unsere Arbeit und unsere | |
| Häuser. Wir lebten vor allem von humanitärer Hilfe, die über die | |
| israelischen Grenzübergänge ins Land kamen. Nachdem die teilweise | |
| geschlossen wurden, wurden die Bedingungen noch schlechter: Das Essen war | |
| schlecht, [4][es gab kein sauberes Wasser mehr]. Wir tranken verschmutztes | |
| Wasser, wurden krank. | |
| Diese schwierige Phase haben wir hoffentlich überstanden. Die Menschen im | |
| Gazastreifen haben 15 Monate lang gelitten. Wir wollen wieder leben wie vor | |
| dem 7. Oktober – und wie alle anderen Menschen auf der ganzen Welt auch. | |
| Nahed Abu Harbid, vertrieben aus Beit Hanoun in Nordgaza | |
| ## „Die Hamas wird eine Siegesparade abhalten“ | |
| Am 2. November 2023 habe ich mein Zuhause im Gebiet Tal al-Zaatar in | |
| Jabalia, Nordgaza, verlassen. Ich floh nach Zentralgaza, und von diesem | |
| Zeitpunkt an gab es nur noch den Krieg: Tod, Zerstörung und gezielte | |
| Angriffe, jeder Augenblick ein Schrecken. Die Angst hat sich in ein Gefühl | |
| der Hoffnung verwandelt, dass unser Leid mit diesem Waffenstillstand enden | |
| wird. Dass nun mindestens 470 Tage Frieden folgen. | |
| Als die Hamas-Kämpfer herauskamen, [5][um die entführten Frauen in die | |
| Autos des Roten Kreuzes zu bringen], war das ein erster öffentlicher | |
| Auftritt. Das Innenministerium von Gaza gab eine Erklärung ab: Es werde die | |
| Sicherheitslage im Gazastreifen kontrollieren. Dann entsandte es seine | |
| Angehörigen in ihren Uniformen. Ich glaube, dass dies die ganze Zeit ihr | |
| Plan war. Und nun ist es kein Geheimnis mehr. Ich denke, dass die Hamas | |
| eine Militärparade abhalten wird. Vielleicht wird sie eher klein und | |
| spontan sein, aber es wird diese Siegesfeiern geben. Die Hamas wird mit | |
| Waffen an öffentlichen Orten erscheinen und sich zeigen. | |
| In Gaza herrscht ein Gefühl der Freude und Traurigkeit zugleich. Es gibt | |
| keinen Palästinenser, der nicht unter diesem Völkermord gelitten hat. Jeder | |
| hat einen geliebten Menschen, einen Freund oder ein Familienmitglied | |
| verloren. | |
| Muhammad Abu Namous, vertrieben aus Jabalia in Nordgaza | |
| 20 Jan 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sami Ziara | |
| Lisa Schneider | |
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