# taz.de -- Sternfahrt der Radler in Berlin: Das jährliche Rad-Utopia | |
> Zehntausende Radler erobern für einige Stunden die Straßen. Die Tour | |
> zeigt, wie vielschichtig die Masse der Radfans in Berlin geworden ist. | |
Bild: Wenn sie nur öfter mal so viel Platz hätten: Radler bei der Sternfahrt … | |
Ach, es ist schön, einmal die Mehrheit zu sein! Da kann man mit den Fehlern | |
der anderen viel lässiger umgehen. Etwa mit jenem Autofahrer, der trotz | |
aller Polizeisperrungen und dem riesigen Pulk an Radlern, der ihm | |
entgegenkommt, seinen Weg aus der Tiefgarage fortzusetzen versucht. | |
Angesichts seiner groben Verfehlungen hätte das bei einer normalen | |
Straßensituation schnell zu fiesen (Wort-)Gefechten geführt; an diesem | |
Sonntagmittag wird es von den Radlern mit einem lässigen Pfeifkonzert | |
abgehandelt. Und damit kommt der Autofahrer sogar davon. | |
Willkommen bei der Sternfahrt, jenem alljährlichen Utopia auf Berliner | |
Straßen. Viele zehntausend Radler sind auf mehreren Routen unterwegs zur | |
Siegessäule, einige schon seit dem frühen Morgen. Highlights sind die | |
Abstecher auf die extra gesperrten Autobahnabschnitte der A 100 und der | |
Avus. Und dass die Autofahrer sich brav hinter den Radlern einzuordnen | |
haben. | |
Wer eine der langen Radkolonnen an sich vorüberziehen lässt, erkennt, wer | |
alles in Berlin überzeugt vom Rad als Fortbewegungsmittel ist: Da ist die | |
Familie mit Kind, das an seinen Sitz ein selbst gemaltes Plakat „Autos = | |
doof“ gehängt hat; die Rennradler, ganz ordentlich mit Helm; die vielen | |
Lastenradler mit Soundanlage, die offenbar um den größten Lautsprecher | |
wetteifern; die Männer mit Südstaatenflagge auf den Jacken und ihren | |
Cruiser-Bikes; Parteiradler von Grünen, Linken und SPD; und jede Menge | |
Menschen, die die Tour als netten Sonntagsausflug sehen. Denn es geht nicht | |
gerade schnell voran, immer wieder kommt der Pulk zum Stehen. So ähnlich | |
wie die Radpolitik der letzten Landesregierungen. | |
Die Sternfahrt am Sonntag war bereits die 40., was so manchen Teilnehmer | |
zur Frage veranlasste, ob der jährliche Protest für die Rechte der Radler | |
irgendwas gebracht habe. Noch immer – so die verbreitete Meinung am Sonntag | |
– würden Radfahrer im Verkehr benachteiligt von Autofahrern und dem Senat. | |
„Vielleicht wäre heute alles noch schlimmer ohne die Sternfahrten“, sagt | |
Claudia Zalkel, während sie kurz vor 12 Uhr in Prenzlauer Berg auf den | |
Radlertross wartet. In den letzten Jahren seien die Straßen viel voller | |
geworden – mehr Autos, aber auch mehr Radler. Deswegen wäre es endlich an | |
der Zeit, auch für Letztere mehr zu tun, findet Claudia Zalkel, die zum | |
achten Mal an der Tour teilnimmt. Sie nutzt die Chance auch, um für den | |
Volksentscheid Fahrrad zu unterschreiben. Der Unterschriftensammler der | |
Initiative, die sich für etwa mehr und sicherere Radwege einsetzt, bekommt | |
auch von fast allen anderen der rund 20 hier Wartenden eine Unterschrift. | |
Dennoch: „Es wird ein schwerer Kampf werden“, glaubt Claudia Zalkel. | |
Felix hingegen sieht die Radler auf einem guten Weg. „Die Menschen haben | |
erkannt, dass Autos nicht die Lösung sind“, sagt der 48-Jährige. Radfahren | |
hingegen sei „hip geworden und das Rad ein Statussymbol“. Das gilt auch für | |
ihn: An diesem Tag kommt sein 3.000-Euro-Rad zum Einsatz – sonst nutze er | |
meist ein billigeres. | |
Mitten im Pulk fährt Bettina Jarasch, es ist ein Pflichttermin für grüne | |
Politiker wie die Landeschefin. Nachdem ihre Partei wie auch die | |
Radfahrerlobby ADFC eine Weile gebraucht haben, bis sie sich durchgerungen | |
hatten, den Volksentscheid Fahrrad zu unterstützen, ist sie glücklich über | |
die Initiative. „Das bedeutet Druck auf alle, auch auf uns Grüne“, sagt sie | |
– Druck etwa, um in möglichen Koalitionsverhandlungen auf Verbesserungen | |
für Radler zu drängen. Und: „Druck kann auch Rückenwind sein“, sagt | |
Jarrasch. Wenn das Thema Radeln Wahlkampfthema bleibt. | |
Ob das so kommt, ist offen. Denn spätestens mit ihrer Sammlung bei der | |
Sternfahrt wird die Volksentscheidsinitiative die für die erste Hürde | |
benötigten 20.000 Unterschriften zusammenhaben. Deren Organisatoren geben | |
sich optimistisch, wollen aber keine Zahlen nennen. Bis Ende dieser Woche | |
werde noch gesammelt, Dienstag in acht Tagen dann das Ergebnis verkündet, | |
sagt Mitinitiator Heinrich Strößenreuther. Anschließend haben Senat und | |
Abgeordnetenhaus vier Monate Zeit, sich mit dem Vorschlag zu beschäftigen – | |
gewählt wird aber schon in drei Monaten. | |
Immerhin: Verkehrssenator Andreas Geisel (SPD) erklärte am Freitag, dass er | |
gesprächsbereit sei. Die Beteiligung an der Sternfahrt am Sonntag sollte | |
ihn in dieser Haltung bestärken. | |
5 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Bert Schulz | |
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