# taz.de -- Sportler protestieren in Belarus: „Wir sind Teil des Volkes“ | |
> Beachtlich viele belarussischen Sportler und Sportlerinnen gehen auf | |
> Distanz zu Präsident Lukaschenko – trotz Entlassungen und Stopp für | |
> Stipendien. | |
Bild: Leuchtende Hoffnung: Auch viele Athletinnen und Athleten schließen sich … | |
Dass die Proteste gegen das Lukaschenko-Regime [1][alle zivilen Bereiche | |
erfasst] haben, demonstrierte am Montagabend das Fußballpokalfinale der | |
Frauen im Minsker Dynamo-Stadion. Wundersamerweise waren für das Spiel | |
überhaupt Zuschauer zugelassen. Es kamen zwar nur 500, aber die hatten – | |
obwohl draußen schon die Gefangenentransporter warteten – keine Angst, ein | |
endloses und ungestörtes „Uchodi!“ (Hau ab!) in das Rund zu schicken. | |
Gemeint ist natürlich Präsident Lukaschenko, dessen aktuelle Amtszeit Mitte | |
September endet und der nach den gefälschten Wahlen offenbar kein Mandat | |
für eine weitere hat. | |
Dabei war dasselbe Stadion vor etwas über einem Jahr noch Schauplatz der | |
Eröffnungsfeier der [2][zweiten Eurogames], einer aufwändig gestalteten | |
Zeremonie mit stolzen Sportlern und einem sicher im Sattel sitzenden | |
Präsidenten. Wie schnell sich der Wind doch drehen kann. Denn ein nicht | |
unerheblicher Teil der Sportler hat sein Band mit dem um sich schlagenden | |
Präsidenten und seiner Prügelgarde aufgelöst und fordert nun [3][ganz | |
unverblümt dessen Rücktritt] und sofortige Neuwahlen. Nicht wenige drohen | |
damit, unter einem Präsidenten Lukaschenko bei nationalen und | |
internationalen Wettkämpfen nicht mehr für ihr Land anzutreten. | |
Das erste unüberhörbare Zeichen sendeten die Unterzeichner eines offenen | |
Briefes, der nur wenige Tage nach den Wahlen in der Sportzeitung Pressbol | |
erschienen war. Darin verurteilen 350 Aktive, Trainer, leitende | |
Verbandsangestellte, Funktionäre und Sportjournalisten die Fälschung der | |
Wahlergebnisse sowie die grobe Gewalt durch die Sicherheitskräfte. | |
Gefordert wurden Neuwahlen sowie Freilassung und Rehabilitierung aller | |
inhaftierten Demonstranten und politischen Gefangenen. | |
Unter den Unterzeichnern fanden sich auch zahlreiche Olympiasieger, Welt- | |
und Europameister, etwa Andrei Krauchanka, olympischer | |
Silbermedaillengewinner im Zehnkampf in Peking 2008, die Europameisterin im | |
Hürdenlauf, Elwira Herman, Maryna Arsamassawa, Welt- und Europameisterin im | |
800-Meter-Lauf, Marathon- Europameisterin Wolha Masuronak,, die | |
Weltmeisterin und zweifache Vize-Olympiasiegerin im Schwimmen, Aljaksandra | |
Herassimenja, sowie Hanna Huskowa, Freestyle-Olympiasiegerin 2018 in | |
Pyeongchang, auf die man in Belarus ganz besonders stolz gewesen ist und | |
deren Bild sogar eine Briefmarke schmückt. | |
## Bis zu zwanzig Entlassungen | |
Der Brief war mit dem Zusatz versehen, dass im Falle von Bedrohungen, | |
Entlassungen oder gar Inhaftierungen alle Unterzeichner solidarisch agieren | |
würden, bis zur möglichen Weigerung, für die Nationalmannschaft anzutreten | |
oder internationale und nationale Sportveranstaltungen zu organisieren. | |
Trotzdem, so berichteten es nur wenig später zahllose Athleten, seien | |
Unterzeichner von Mitarbeitern des Sportministeriums und der | |
Sicherheitsbehörden unter Druck gesetzt worden, ihre Unterschrift | |
zurückzuziehen. Es hätte außerdem bis zu 20 Entlassungen und | |
Suspendierungen sowie zahlreiche Einfrierungen von Sportstipendien gegeben. | |
Betroffen ist beispielsweise Zehnkampf-Vize-Olympiasieger und Sportpolizist | |
Andrei Krauchanka, der aus seinem Dienst beim KGB entlassen wurde. „Ich | |
habe 13 Medaillen bei großen internationalen Wettkämpfen für mein Land | |
errungen und damit einen nicht ganz unwichtigen Beitrag für den Sport in | |
Belarus geleistet“, so der 34-Jährige. Das sei nun mit einem kühlen | |
Abschied beendet worden. „Dabei habe ich nur meine Bürgerrechte | |
wahrgenommen. Aber die Wahlen haben mir gezeigt, wie gut die Menschen in | |
Belarus sind. Eine solche Nation ist wunderschön, intelligent, talentiert, | |
friedlich und geduldig. Belarus ist ein kleines Land, zeigt der Welt aber | |
gerade sein mutiges Herz.“ | |
## Beeindruckende Demo | |
Und dafür stehen in einem so sportbegeisterten Land eben auch die Athleten. | |
Im langen und beeindruckenden Demonstrationszug am Sonntag entlang des | |
Prospekts des Sieges raus zum Präsidentenpalast Lukaschenkos marschierten | |
hinter einem großen Banner mit der Aufschrift, „Sportler mit dem Volk“ | |
Männer und Frauen aller denkbaren Disziplinen. Nicht zu übersehen die | |
Basketballerin Elena Levchenko, die vor einigen Jahren zu den besten fünf | |
Spielerinnen Europas zählte, oder Stsiapan Papou, Welt- und Europameister | |
in der Kampfsportart Sambo. | |
Papou hatte vor einem Jahr Schlagzeilen gemacht, als er bei den | |
Europaspielen im Finale seinen Konkurrenten auf den Schultern von der Matte | |
trug, nachdem er ihn so schwer verletzt hatte, dass der sich nicht mehr auf | |
den Beinen halten konnte. Im Zug auch der 2,05 Meter große Jahor | |
Mescarakau, der stellvertretender Verbandspräsident im Basketball ist und | |
erklärte: „Es ist an der Zeit zu zeigen, dass wir nicht unserer Würde | |
beraubt wurden, dass wir stolz sind und mit den Menschen zusammen sind. Wir | |
sind Teil dieses Volkes!“ | |
## „Gewohnt, bis zum Ende zu kämpfen“ | |
Und dazu scheinen auch immer mehr Funktionäre der alten Nomenklatura des | |
Lukaschenko-Regimes zu widersprechen. Höhepunkt war ein Interview mit dem | |
ehemaligen Generalsekretär des Nationalen Olympischen Komitees in Belarus, | |
Anatoly Kotau. Darin erklärte der einstige Spitzenfunktionär: „Die Sportler | |
drücken ihre Position in erster Linie nicht in Bezug auf Loyalität oder | |
Untreue gegenüber den Behörden aus. Die Athleten weisen vielmehr auf alles | |
Missmanagement und die Verfehlungen der vergangenen sechs Monate hin. Und | |
dabei in allererster Linie auf die nicht hinnehmbare Gewalt. Unter diesem | |
Gesichtspunkt bin ich froh, dass es mehr als 300 Unterzeichner gab, die | |
keine Angst hatten, ihre wichtigen Stipendien und die eigene Karriere zu | |
riskieren, und ihre Haltung zum Ausdruck brachten, dass die Methoden aus | |
der Mitte des 20. Jahrhunderts im 21. Jahrhundert inakzeptabel sind.“ | |
Auf die Frage, ob er denke, dass die Athleten den Weg bis zu Neuwahlen und | |
dem Rücktritt von Alexander Lukaschenko zu Ende gehen, antwortete Kotau: | |
„Ich hoffe, dass Sportler, die es gewohnt sind, bis zum Ende zu kämpfen, | |
auch in dieser Sache in der Mehrheit den Willen zum Sieg zeigen.“ | |
1 Sep 2020 | |
## LINKS | |
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[3] /Fussballer-gegen-Lukaschenko/!5706462&s=belarus/ | |
## AUTOREN | |
Christian Henkel | |
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