# taz.de -- Proteste in Weißrussland: Eine, die sich nicht brechen lässt | |
> Mit ihrer großen moralischen Autorität verleiht die | |
> Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch dem Protest in Belarus | |
> eine integre Stimme. | |
Bild: Swetlana Alexijewitsch soll als Kritikerin Lukaschenkos erstmals offiziel… | |
Sich in den Vordergrund spielen, die Öffentlichkeit suchen, das war und ist | |
ihre Sache nicht. Doch jetzt sucht die Öffentlichkeit sie – nolens volens. | |
Am Mittwoch dieser Woche, nach einem „Termin“ bei den örtlichen | |
Sicherheitsbehörden in der belarussischen Hauptstadt Minsk, gehen wieder | |
einmal Bilder von Swetlana Alexijewitsch um die Welt. Manchmal reckt sie, | |
die bekannteste Schriftstellerin des Landes, wie zu einem Gruß ihren | |
rechten Arm in die Luft, in der Hand einen Blumenstrauß. | |
Die 72-Jährige strahlt Zurückhaltung, Ruhe, Zuversicht aus und gleichzeitig | |
den festen Willen, sich nicht brechen zu lassen. Dazu gehört schon einiges | |
in Belarus, wo seit fast drei Wochen Tausende unermüdlich demonstrieren und | |
ein Präsident bereit ist, um des eigenen Machterhalts willen bis zum | |
Äußersten zu gehen. | |
„Die Belaruss*innen sind quasi über Nacht zu einem Volk geworden, von dem | |
die ganze Welt erfahren hat“, sagt Alexijewitsch. „Wir stehen für einen | |
friedlichen Kampf, das ist das Gebot der Stunde. Es sind Zeiten, in denen | |
das menschliche Leben zählt und der Mensch sein Leben wertschätzt.“ | |
## Der Literaturnobelpreis für Alexijewitsch | |
Es ist ein Déjà-vu. Belarus war ein blinder Fleck – bis 2015, als | |
Alexijewitsch [1][mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde]. | |
Plötzlich hatte dieses Land ein Gesicht in Gestalt einer Frau, die, wie | |
kaum jemand vor und nach ihr, den [2][Homo sovieticus seziert] und dessen | |
innere Gedankenwelt freilegt. Dabei wahrt sie stets die Äquidistanz zu | |
eigener Anteilnahme und objektiver Betrachtung. Vor allem auch für viele | |
Belaruss*innen sind ihre Bücher zu „einer Axt für das gefrorene Meer in | |
uns“ geworden, wie Franz Kafka es ausdrückte. | |
Nicht zuletzt ihre große moralische Autorität ist es, die Alexijewitsch | |
jetzt zu einem Gesicht der neuen Opposition gemacht hat – einem von vielen. | |
Sie ist eine Frau der leisen, wohlgewählten Worte, die sich zu einer umso | |
eindringlicheren Botschaft verdichten und gerade deshalb Gehör finden. | |
„Die Herrschenden haben ihrem eigenen Volk den Krieg erklärt“, sagt sie | |
drei Tage nach der Wahlfarce vom 9. August. Und an Staatspräsident | |
Alexander Lukaschenko persönlich gerichtet: „Gehen Sie, bevor es zu spät | |
ist und Sie die Menschen in einen schrecklichen Abgrund reißen. Niemand | |
will Blut. Aber Sie, Sie wollen Macht. Und es ist dieser Drang nach Macht, | |
der einen Blutzoll fordert.“ Einen hohen Preis haben schon viele | |
entrichtet. Doch sie gehen, allen Repressionen zum Trotz, dennoch weiter | |
auf die Straße. | |
## Der ungleiche Kampf | |
Es ist ein ungleicher Kampf zwischen einer Staatsmacht, die auf Gewalt | |
setzt und zu den Waffen greift, und den Anderen, den vermeintlichen | |
„Feinden“, die sich erheben und nicht mehr schweigen wollen. Ihnen gibt | |
Swetlana Alexijewitsch eine Stimme – mahnend und versöhnend zugleich. | |
„Ich habe ein Ideal“, sagte sie am Mittwoch, „einen Menschen, der in der | |
einen Hand die grüne Flagge der Regierung trägt, in der anderen die | |
rot-weiße der Opposition, wie um zu sagen: Lasst uns reden, wir sind | |
unterschiedlich, aber wir haben Belarus – ein einziges Land, in dem wir und | |
unsere Kinder leben.“ | |
Ein unmissverständliches Plädoyer für Toleranz, Gleichheit, Pluralismus | |
sowie Respekt vor einer Vielfalt in der Einheit – Werte, die auf der | |
mentalen Landkarte eines Alexander Lukaschenko schlichtweg nicht | |
verzeichnet sind. Wer sollte diese Karte besser lesen können als | |
Alexijewitsch. Und genau das ist es wohl, was sie für die Staatsmacht so | |
gefährlich macht. | |
## „Swetlana = Gewissen“ | |
Eine Frau steht etwas abseits von dem Tross, der Alexijewitsch begleitet. | |
In der Hand hält sie ein Schild. „Swetlana = Gewissen“ steht darauf in | |
großen Lettern. Vielleicht ist das die zutreffendste Beschreibung dessen, | |
was Swetlana Alexijewitsch für viele Menschen in Belarus ist: das Gewissen | |
einer Nation, die sich dieser Tage wieder einmal neu erfindet. „Siegen mit | |
dem Geist, mit der Kraft unserer Überzeugungen“, sagt Alexijewitsch noch. | |
Zumindest diesen Sieg haben sie und ihre Mitstreiter*innen bereits | |
errungen. | |
31 Aug 2020 | |
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[2] /Schriftstellerin-ueber-Weissrussland/!5128048 | |
## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
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Sasa Stanisic | |
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