| # taz.de -- Spielfilm über Sigmund Freud: Glaube, Liebe und Terror | |
| > In „Freud – Jenseits des Glaubens“ konfrontiert US-Regisseur Matthew | |
| > Brown den Psychoanalytiker mit Schriftsteller C. S. Lewis im London von | |
| > 1940. | |
| Bild: Und noch ein Film über Freud: Liv Lisa Fries und Anthony Hopkins in „J… | |
| Sigmund Freud verschwindet nicht. So unzeitgemäß manche seiner Thesen zum | |
| Ödipuskomplex, zum Phallusneid und der Traumdeutung als „Königsweg“ zum | |
| Unbewussten auch in Teilen scheinen mögen, so sehr wabern sie doch weiter | |
| als Motive in der Popkultur umher. | |
| Allein in den vergangenen Jahren wurde der „Vater der Psychoanalyse“ in | |
| mehreren Film- und Serienformaten zum Leben erweckt – von der | |
| Literaturverfilmung „Der Trafikant“ über die [1][dokumentarische Annäheru… | |
| „Sigmund Freud – Freud über Freud“], bis zur Netflix-Serie „Freud“, … | |
| als okkulten Ermittler inszenierte. | |
| Die anhaltende Faszination liegt vermutlich nicht nur in der Plakativität | |
| seiner Positionen begründet, die sich nun einmal zur Unterhaltung und | |
| Übertreibung gleichermaßen eignet. Sie hat wahrscheinlich auch damit zu | |
| tun, dass die Freud’schen Erklärungsmodelle mitunter um Phänomene kreisen, | |
| die die empirische Wissenschaft bis heute nicht letztgültig erschlossen hat | |
| – und sie damit weiter der Reiz des Rätselhaften umgibt. | |
| ## Gibt es Gott? | |
| Auch der US-Regisseur Matthew Brown („Die Poesie des Unendlichen“) lässt | |
| Sigmund Freud auf eine Fragestellung los, auf die die Forschung keine | |
| finale Antwort kennt: Gibt es nun einen Gott – oder nicht? | |
| In seinem dialoglastigen Drama „Freud – Jenseits des Glaubens“ konfrontie… | |
| er dafür einen gealterten Freud (Anthony Hopkins), der bereits stark von | |
| einer Mundkrebserkrankung gezeichnet ist und keinen Hehl daraus macht, dass | |
| er Religiosität als Ausdruck geistiger Unreife betrachtet, mit dem deutlich | |
| jüngeren C. S. Lewis (Matthew Goode). | |
| Der britische Schriftsteller wiederum hatte zum Zeitpunkt der Handlung zwar | |
| noch nicht sein Hauptwerk, die Kinderbuchreihe „Die Chroniken von Narnia“ | |
| veröffentlicht – wohl aber seine christlich-apologetische Schrift „Flucht | |
| aus Puritanien“, die sogar bissig-satirisch Bezug auf Sigmund Freud und | |
| seinen Atheismus nimmt. | |
| ## Reines Gedankenexperiment | |
| Damit bietet die filmische Ausgangslage gehörig Zündstoff, und eine | |
| Begegnung zwischen den beiden gegensätzlichen Persönlichkeiten verspricht | |
| ein derart spannendes intellektuelles Unterfangen zu werden, dass es | |
| beinahe keine Rolle spielt, dass es sich um ein reines Gedankenexperiment | |
| handelt – denn im wahren Leben sind sich die beiden gegensätzlichen Denker | |
| wahrscheinlich niemals begegnet. Allerdings vertrauen Matthew Brown und | |
| Co-Autor Mark St. Germain, der auch das als Vorlage dienende Bühnenstück | |
| „Freud’s Last Session“ schrieb, dieser interessanten Prämisse nicht. | |
| Stattdessen überfrachten Brown und St. Germain den Film mit einem | |
| theatralen Setting. Wohl auch, um der Diskussion um Sinn und Unsinn der | |
| Religion eine noch größere Bedeutung zu verleihen, lassen sie die beiden | |
| Protagonisten ausgerechnet am Anfang des Zweiten Weltkriegs und damit im | |
| Kontext von Tod und Terror aufeinandertreffen. Das führt nicht nur dazu, | |
| dass das Beinahe-Kammerspiel Freuds letzte Wohnstätte in London, in die | |
| dieser C. S. Lewis zum Gespräch geladen hat, immer wieder für letztlich | |
| folgenlos bleibende Ausflüge, etwa in einen Luftschutzkeller, verlässt. | |
| Auch assoziativ ausgelöste Flashbacks durchziehen das Geschehen, die sich | |
| in der Künstlichkeit ihrer Inszenierung störend von der ansonsten | |
| künstlerischen Unaufgeregtheit abheben. Szenen, die C. S. Lewis während des | |
| Ersten Weltkriegs zunächst an der Seite eines Freundes im Schützengraben | |
| und nach dessen Tod im vertrauten Gespräch mit dessen Mutter zeigen, werden | |
| durch übermäßigen Glanz, weiches Licht und unrealistische Farbfilter | |
| überhöht. | |
| ## Fehlende Dynamik | |
| Vor allem aber verhindern sie, dass das eigentliche Ereignis, die | |
| argumentative Auseinandersetzung zwischen dem wohl bekanntesten | |
| christlichen Apologeten der Moderne und dem Pionier der unbewussten | |
| Prozesse, eine mitreißende Dynamik entwickeln kann. | |
| Ohnehin begnügt sich deren Austausch weitgehend mit allgemein bekannten | |
| Banalitäten. C. S. Lewis, der sich nicht zuletzt durch den Einfluss seines | |
| [2][Fantasy-Schriftstellerkollegen J. R. R. Tolkien] dem christlichen | |
| Glauben zuwandte, beruft sich etwa auf die historische Belegbarkeit der | |
| Existenz von Jesus Christus. | |
| Dass dies auch für Mohammed und Buddha gelte, ihn das aber noch lange nicht | |
| zum Sohn Gottes mache, merkt Sigmund Freud an und wirft schließlich die | |
| vielbemühte Theodizee-Frage auf. Jenseits der vertrauten Gefilde des | |
| Religionsunterrichts wagt sich „Freud – Jenseits des Glaubens“ zu keinem | |
| Zeitpunkt. | |
| ## Pionierinnen der Kinderpsychologie | |
| Wenig ergründetes Terrain betritt der Film so einzig in einem Nebenstrang, | |
| der um Freuds Tochter Anna (Liv Lisa Fries) und deren komplexes Verhältnis | |
| zu ihrem Vater kreist. Wie Matthew Brown und St. Germain andeuten, haderte | |
| ausgerechnet der Apologet der Akzeptanz der eigenen Triebe mit dem | |
| lesbischen Begehren seiner Tochter und ihrer Beziehung zu Dorothy Tiffany | |
| Burlingham (Jodie Balfour). Die beiden Frauen waren allerdings nicht nur | |
| Partnerinnen, sondern auch Pionierinnen der Kinderpsychologie. | |
| Wer weiß: Vielleicht wäre es an der Zeit, Sigmund Freud im Filmischen eine | |
| wenig Ruhe und Figuren wie Anna Freud ein wenig mehr Raum zu gönnen. Denn | |
| ebenso wenig, wie es der Vater verdient hat, für jedes noch so platte | |
| Spekulationsstück bemüht zu werden, wird es dem Schaffen der Tochter | |
| gerecht, es immer nur auf eine Randnotiz zu reduzieren. | |
| 22 Dec 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Arabella Wintermayr | |
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