# taz.de -- Spaziergänge im Hambacher Forst: Der Waldmeister | |
> Seit 2014 lädt Michael Zobel monatlich zu Waldspaziergängen in die | |
> rheinischen Braunkohlereviere. Nummer 100 soll der letzte sein. | |
Bild: Ohne seinen Hut ist Zobel nicht zu denken | |
HAMBACHER WALD taz | Wieder so ein glutheißer Tag in diesem Sommer. Zum 99. | |
Mal ist Michael Zobel unterwegs, Sonntagsspaziergang im Hambacher Wald. Gut | |
60 Leute sind gekommen, nicht besonders viele, aber es ist halt noch | |
Ferienzeit. Manchmal waren es auch 600 oder ein paar Tausend. | |
Seit 2014 lädt Zobel, 63, der Naturführer und Waldpädagoge aus Aachen, | |
einmal im Monat zu seinen Führungen, meist mit seiner Partnerin Eva Töller, | |
„die eigentliche Ideengeberin“, wie Zobel sagt. | |
Mit seinen knapp zwei Metern Größe und dem Hut auf den Resthaaren ist Zobel | |
eine natürliche Autorität. Seine klare, warme Stimme unterstreicht das. Er | |
argumentiert stringent und ist voller bitterer Anekdoten. Zobel kennt all | |
die politischen Verstrickungen in den Braunkohlerevieren: die | |
jahrzehntelang devote Landespolitik, die Gier der Dorfverheizer von RWE, | |
die die örtliche Zivilgesellschaft (über wohltätige Gaben für Sportvereine | |
und Schulprojekte) immer billig auf ihre Seite zog. Der studierte Geologe | |
ist ein Lexikon des Widerstands, des politischen Streits und der | |
ökologischen Feinheiten. | |
An diesem Sonntag im August gibt er die letzte Tour im Hambi, wie Zobel | |
überraschend kundtut. Zukünftig wolle er „andere Sachen hier machen und | |
Aktionen“. Fortbildungen laufen schon, erzählt er. Er will Multiplikatoren | |
schulen, die „den vielfach verloren gegangenen Kontakt zur Natur wieder | |
herstellen“ [1][und die mal in seine Fußstapfen treten]. Und so hat der | |
heutige Tag etwas von Bilanzwanderung, Zobel erzählt vom Best-of im Wald | |
und vom Worst of: Wie mal der Polizeipräsident mitgelaufen ist und die | |
RWE-Betriebsräte, die ihn, Eva und die MitstreiterInnen „als | |
Arbeitnehmerfeinde Nummer eins“ bezeichnet hätten, verbohrt und | |
lernresistent. | |
## RWE will bald Wasser aus dem Rhein in die Gruben pumpen | |
Oder der Besuch des RWE-Försters, der für den Ersatzforst auf der | |
gigantischen Abraumhalde Sophienhöhe zuständig ist. „Der wollte die Rote | |
Waldameise umsiedeln. Umsiedeln will RWE halt auch bei Tieren.“ Geklappt | |
habe es nicht, auch nicht bei den Bechsteinfledermäusen. 142 geschützte | |
Tierarten leben hier im Hambi, erzählt Zobel, davon „zwölf Fledermausarten, | |
das ist sensationell viel für so einen kleinen Wald“. 500 Hektar hat der | |
„Stieleichen-Hainbuchen-Maiglöckchen-Wald“ noch, von einst fast 5.000. | |
Noch mehr lässt die Zahl 450 schaudern. So tief ist das Hambacher Loch in | |
Metern, drei Kölner Dome würden hier übereinander hineinpassen. Und 450 | |
Millionen Kubikmeter Wasser darf RWE jedes Jahr abpumpen. Damit komme, | |
vergleicht Zobel, ganz Düsseldorf inklusive Industrie über vier Jahre lang | |
aus. „Es ist ein Wahnsinn.“ Und ab 2030 soll durch riesige Röhren aus dem | |
Rhein jahrzehntelang Wasser hierher gepumpt werden, ergänzt Eva Töller, | |
weil die monströsen Löcher zu Seen werden sollen. „Haben wir in Zeiten der | |
Wasserknappheit nichts Besseres zu tun?“ | |
Michael Zobel berichtet von Kindern, die gern fragten: „Bist du der | |
Waldmeister?“ An diesem Sonntag ist der jüngste Teilnehmer 11 Jahre alt, | |
der älteste 83. Mehr als 80.000 Waldgäste kamen bis heute zu ihm, sagt er. | |
Seine Motivation? Klar, der Kampf gegen RWE, die Lügen der Politik, gegen | |
Naturvernichtung und Vertreibung, für Klimaschutz. „Es ist für mich wie | |
eine Berufung, noch mehr, seit ich Enkel habe. Wie sollen die mal leben? | |
Ich will Bilder zeigen, Geschichten vom 12.000 Jahre alten Wald erzählen.“ | |
Er habe immer wieder erlebt: „Wer zum ersten Mal an der Rodungskante stand, | |
kommt als anderer Mensch aus diesem zauberhaften Wald wieder heraus.“ | |
## Der Hambacher Wald trocknet aus | |
Zauberhaft? Das Wegegrün ist graugelb, selbst Brennnesseln hängen verdorrt | |
herunter, zahllose Bäume sind tot. Der Hambacher Wald wird nicht gerodet, | |
„aber er vertrocknet, es geht ihm phänomenal schlecht. Das wenige Wasser | |
sickert an den Seiten heraus, weil RWE ohne Sinn bis 50 Meter an die Kante | |
gegraben hat, auch nach der Bestands-Entscheidung.“ Man könne den Wald | |
leicht und kurzfristig bewässern, „aber RWE tut nichts und gräbt | |
stattdessen drumherum, für Kiesgruben. Warum gehört das denen immer noch, | |
[2][wieso wird das Gebiet nicht in eine Stiftung überführt?]“ Dann gehen | |
wir im Bewohnercamp gegen Spenden Kaffee trinken und veganen Kuchen essen. | |
Am 25. September lädt Zobel zu Spaziergang Nummer 100, sein Finale [3][in | |
Lützerath am Tagebau Garzweiler]. Voll wird es sicher auch drumherum, wo | |
seit Freitag das sechstägige Festival mit dem optimistischen Titel | |
„Unräumbar“ stattfindet. Am 1. Oktober beginnt die Rodungssaison, dann | |
drohen Kahlschlag, Räumung des Camps und das große Abbaggern. | |
KlimakämpferInnen fordern seit Langem ein Moratorium. „Aber aus | |
Düsseldorf“, sagt Zobel, „kommt nichts, da ist nur das große Schweigen der | |
schwarz-grünen Landesregierung.“ | |
Auch nach dem 100. werde es weiter Waldspaziergänge geben, aber nur mit | |
fester Buchung für Kirchengruppen, Lehrerkollegien oder Umweltverbände. | |
„Als Eva und ich 2014 angefangen haben“, erzählt Michael Zobel noch, „da | |
hieß es: Nützt doch nichts, in ein paar Jahren ist hier eh alles weg.“ Da | |
hatte ihn der Reporter des Fernsehsenders Arte tief im Hambi nach seinem | |
Traum gefragt: „Ich habe ihm gesagt, ich würde gern in zehn Jahren an genau | |
dieser Eiche hier von Ihnen wieder interviewt. Jetzt kann der Mann bald | |
kommen.“ | |
25 Sep 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Businessplaene-nach-dem-Tagebau/!5850327 | |
[2] /Nachnutzung-von-Tagebauflaechen/!5830309 | |
[3] /Widerstand-gegen-Kohle-in-Luetzerath/!5843280 | |
## AUTOREN | |
Bernd Müllender | |
## TAGS | |
RWE | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
NRW | |
Garzweiler | |
Schwerpunkt Hambacher Forst | |
Braunkohletagebau | |
Kohleausstieg | |
Iran | |
Schwerpunkt Atomkraft | |
Bistum Osnabrück | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Lützerath als Protestsymbol: Bewegung sucht Energie | |
Die Klimaaktivist*innen brauchen dringend Erfolge. Doch im Kampf | |
gegen den Abriss des Dorfes Lützerath lässt sich nicht viel gewinnen. | |
Proteste in Iran: Die Revolution wird wieder getwittert | |
In Iran demonstrieren seit Tagen Menschen gegen das Regime. Berichte aus | |
dem Land sind rar. Aber Videos in sozialen Medien geben einen Eindruck. | |
Bayerisches Atomkraftwerk Isar 2: Undichte Stelle wirft Fragen auf | |
Was hat es mit dem Leck in einem Ventil auf sich? Und warum müsste ein | |
Austausch vor November erfolgen, wenn das AKW länger laufen soll? | |
Sexualisierte Gewalt im Bistum Osnabrück: Bode schützte pädophile Priester | |
Die Uni Osnabrück wirft dem dortigen Bistum „schwere Pflichtverletzungen“ | |
vor: Rechte von Missbrauchsopfern wurden bis in die jüngste Zeit | |
missachtet. |