| # taz.de -- Soziologie-Professor über Technologie: „Die Zukunft ist noch bee… | |
| > Klaus Dörre spricht über die Folgen des technischen Fortschritts. Was | |
| > bedeutet er für Arbeit und Beschäftigte in den kommenden Jahrzehnten? | |
| Bild: Ein Roboter namens Gilberto, heute wahrscheinlich schon veraltet (Hannove… | |
| taz: Herr Dörre, erläutern Sie bitte an einem Beispiel, was „vierte | |
| industrielle Revolution“ bedeutet? | |
| Klaus Dörre: Vorstellbar ist Folgendes: Bei einem Mähdrescher verschleißt | |
| während der Ernte ein Motorteil. Per Mobilfunk und Internet meldet das | |
| Fahrzeug den bevorstehenden Ausfall selbstständig an den Hersteller. | |
| Weitgehend ohne menschliches Zutun beginnt dort die computergesteuerte | |
| Produktion des Ersatzteils. Innerhalb weniger Stunden kann es per Drohne | |
| beim Landwirt eintreffen. Bei dem Rationalisierungsschub, der gerade | |
| beginnt, sollen vernetzte Maschinen miteinander kommunizieren und | |
| menschliche Arbeit teilweise ersetzen. | |
| „Internet der Dinge“ ist das Stichwort. Mit Sensoren ausgestattete Kleidung | |
| könnte dann meine Gesundheitsdaten an die Arztpraxis schicken und eine | |
| persönliche Untersuchung überflüssig machen. Wie viele der heutigen | |
| Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel? | |
| Der US-Soziologe Randall Collins hält 80 Prozent der US-Arbeitsplätze für | |
| gefährdet – auch die Berufe der Mittelschicht mit qualifizierter | |
| Ausbildung. Die Oxford-Wissenschaftler Carl Benedikt Frey und Michael | |
| Osborne sehen Risiken für die Hälfte der Jobs in Industrieländern. | |
| Vermutlich sind beides jedoch Horrorszenarien. Sabine Pfeiffer von der | |
| Universität Hohenheim ist vorsichtiger: Sie meint, dass zwölf Prozent der | |
| heutigen Arbeitsplätze rationalisierungsgefährdet seien. Sie betont, dass | |
| Fabriken niemals menschenleer sein würden. Es gäbe dauernd etwas zu | |
| reparieren und zu überwachen. | |
| Und was denken Sie? | |
| Wir erleben gerade einen Quantensprung, weil beispielsweise die | |
| Leistungsfähigkeit des Internets und die ausgetauschten Datenmengen rasant | |
| wachsen. Wie sich das auf die Beschäftigung auswirkt, können wir noch nicht | |
| wissen. Die Vergangenheit sagt uns darüber nichts Genaues. | |
| Wir tappen im Dunkeln? | |
| Ich möchte es positiv formulieren. Die Zukunft ist noch beeinflussbar. Wir | |
| haben Optionen. Die meisten Bürger lehnen es vermutlich ab, dass sie im | |
| Altenheim von Robotern versorgt werden. Nicht alles, was technisch möglich | |
| erscheint, wird auch gemacht. | |
| Die erste industrielle Revolution fand im 18. und 19. Jahrhundert statt. | |
| Als zweite gilt die Elektrifizierung. Wie war es bei der dritten Stufe, als | |
| vor 50 Jahren die Computer eingeführt wurden – ist da die Arbeitslosigkeit | |
| in entwickelten Industrieländer gestiegen? | |
| Im globalen Maßstab gab es wohl keine eindeutigen Arbeitsplatzverluste. In | |
| einzelnen Ländern kam es jedoch immer wieder zu Wachstumskrisen und | |
| steigender Arbeitslosigkeit, die durch die Rationalisierung mitverursacht | |
| wurden. In Deutschland beispielsweise verzeichnen wir seit 1991 eine | |
| Abnahme des Arbeitsvolumens. Die Gesamtzahl der geleisteten und bezahlten | |
| Arbeitsstunden sinkt. | |
| Ist es nicht eine gute Sache, wenn verbesserte Technik und steigende | |
| Produktivität uns ermöglichen, weniger zu arbeiten und trotzdem genug zu | |
| verdienen? | |
| Grundsätzlich ja. Aber wir haben es mit einer Polarisierung zu tun. Gut | |
| qualifizierte und bezahlte Leute arbeiten oft länger als der Durchschnitt | |
| der Beschäftigten, während schlechter ausgebildete Arbeitskräfte weniger | |
| Stunden leisten als sie eigentlich möchten. | |
| Wie könnte man den materiellen Gewinn des Fortschritts gleichmäßiger | |
| verteilen? | |
| Ein Modell bestünde darin, dass die produktiven Exportsektoren der | |
| deutschen Wirtschaft einen höheren Teil ihrer Gewinne als heute abführen, | |
| damit man beispielsweise die Beschäftigten in Altenpflegeheimen besser | |
| bezahlen kann, ohne sie teilweise durch Pflegeroboter zu ersetzen, die | |
| zweimal am Tag die Medikamente ans Bett bringen. Diesen Finanztransfer | |
| könnte man mit Hilfe der Steuerpolitik organisieren. | |
| 20 Jan 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Hannes Koch | |
| ## TAGS | |
| Arbeit | |
| Technologie | |
| Cebit | |
| Haushaltsgeräte | |
| Roboter | |
| Wissenschaftskommunikation | |
| Roboter | |
| Roboter | |
| Oxford | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Smart Living: Ganz schön durchschaubar | |
| Industrie und Handel freuen sich über die zunehmende Vernetzung von | |
| Haushaltsgeräten. Doch die Nutzer werden dabei so gläsern wie noch nie. | |
| Technische Revolutionen: Gut, dass es Waschmaschinen gibt! | |
| Das Internet ist die wichtigste Erfindung aller Zeiten? Unsinn, sagt der | |
| Ökonom Chang Ha-joon. Ein einfaches Haushaltsgerät ist viel bedeutender. | |
| Maschinen geben Sprachunterricht: Roboter mit Lehrauftrag | |
| Roboter könnten bald Sprachunterricht geben. Ob sie auch zu emotionalen | |
| Bindungen fähig sind, wird an der Universität Bielefeld erforscht. | |
| Öffentlichkeit in der Wissenschaft: Lust auf Zukunft und Gestaltung | |
| Wissenschaftskommunikation gehört an den Unis zu den expandierenden | |
| Bereichen. Zunehmend wird versucht, den „Bürger“ direkt zu erreichen. | |
| Roboter im OP-Saal: Hand in Hand mit dem Chirurgen | |
| Heute sind Chirurgen vor allem Handwerker und Roboter ihre Werkzeuge. Davon | |
| profitieren Mediziner und Patienten gleichermaßen. | |
| Roboter hilft sich selbst: Kaputt? Egal, weitermachen! | |
| Roboter auf Mission im Atomkraftwerk oder Weltall dürfen nach einem Schaden | |
| nicht einfach ausfallen. Mit einer neuen Technologie funktionieren sie | |
| trotzdem. | |
| Debatte Roboter: Die automatisierte Zukunft | |
| Roboter und Computer übernehmen immer mehr Arbeit. Davon profitieren | |
| Aktionäre, Arbeiter verlieren. Das könnte zu sozialen Konflikten führen. | |
| Foxconn und das Maschinenzeitalter: Roboter statt Arbeiter | |
| Wegen steigender Löhne will der Apple-Zulieferer Foxconn seine Mitarbeiter | |
| durch Maschinen ersetzen. Besser werden die Arbeitsbedingungen bislang | |
| nicht. | |
| Der Soziologe Negt über Gewerkschaften: "Der Symbolvorrat ist aufgezehrt" | |
| Der Soziologe Oskar Negt sagt: Schwarz-Gelb kann für die Gewerkschaften | |
| auch eine Chance sein. Sie müssen in der fragmentierten Arbeitswelt ihre | |
| Fixierung auf die Betriebe überwinden. Nur wie? |