# taz.de -- Smart Living: Ganz schön durchschaubar | |
> Industrie und Handel freuen sich über die zunehmende Vernetzung von | |
> Haushaltsgeräten. Doch die Nutzer werden dabei so gläsern wie noch nie. | |
Bild: Ist diese Küche komplett vernetzt? | |
BERLIN taz | Marco Maas spricht neuerdings mit einer schwarzen Säule, die | |
auf seinem Wohnzimmerregal steht. „Alexa“, sagt er dann zum Beispiel | |
„livingroom light 50“. Ein paar Sekunden später dimmen die Lampen im | |
Wohnzimmer ihre Helligkeit um die Hälfte. Magie? Eher das Internet der | |
Dinge in Gestalt einer fast komplett vernetzten Wohnung. | |
Die Vernetzung von Alltagsgegenständen wie Heizungsanlagen, elektrischen | |
Zahnbürsten oder eben Lampen, ist eines der großen Zukunftsthemen der | |
Digitalisierung. „Wir rechnen mit 1,5 bis 2 Millionen vernetzten Haushalten | |
für das Jahr 2020“, sagt Gunther Wagner vom Wirtschaftsprüfer Deloitte. Die | |
Telekom, die selbst Smart-Home-Produkte anbietet, geht davon aus, dass im | |
Jahr 2022 in einem durchschnittlichen Haushalt über 500 vernetzte Geräte | |
stehen werden. Ein Wachstumsmarkt, auf den sich Industrie und Handel | |
gleichermaßen freuen. Nur: Was wird die Vernetzung des Wohnens für die | |
Menschen heißen? | |
Die Zukunft ist heute schon in Hamburg-Altona zu besichtigen. Im fünften | |
Stock, mit Blick über das Viertel, hat Maas, Geschäftsführer einer Agentur | |
für Datenjournalismus und Datenvisualisierungen, auf 60 Quadratmetern alles | |
vernetzt, was sich nicht schnell genug in der Abstellkammer versteckt hat. | |
Von der Lampe bis zur Heizung, von der Waage bis zur Stereoanlage. 118 | |
Geräte sind es derzeit. Tendenz steigend. | |
Begonnen hatte es 2014, als Maas aus einer Insolvenzmasse günstig an ein | |
per Smartphone steuerbares Lichtsystem herankam. Zu den Lampen kamen | |
schnell Bewegungsmelder, damit das Licht tatsächlich nur dann an ist, wenn | |
sich auch jemand in dem Raum aufhält. Dazu Helligkeitssensoren, damit nicht | |
tagsüber die Festbeleuchtung brennt. Mittlerweile hat er sein System so | |
detailliert eingestellt, dass im Flur nur eine Minimalbeleuchtung angeht, | |
wenn jemand nachts aufsteht. Ganz ohne Lichtschalter. „Wenn das smarte Haus | |
gut funktioniert“, sagt Maas, „dann vergisst du, dass du es hast.“ Weil | |
vieles von alleine funktioniert, und wenn nicht, reicht ein kurzer | |
Sprachbefehl. | |
## Vernetzung mit Nebenwirkungen | |
Doch die Vernetzung hat Nebenwirkungen. Wer in seiner Wohnung den | |
Lichtschalter betätigt, erzeugt normalerweise keine Datenspuren. Gehen | |
dagegen bei Maas die Lampen an- und aus, dann weiß das nicht nur der | |
Hersteller des Lichtsystems. Auch Maas’ Internetprovider sieht, dass ein | |
Befehl für das Gerät ausgeführt wurde, schließlich werden die Daten übers | |
Internet verschickt. | |
Das Gleiche gilt für andere Geräte, ob sie nun die Bewegung in der Wohnung | |
messen oder den CO2-Gehalt in der Luft, der Rückschlüsse darüber zulässt, | |
wie viele Personen sich in einem Raum aufhalten. Rund 600 Megabyte an Daten | |
schickt seine smarte Technik täglich übers Netz. Das entspricht etwa einem | |
Spielfilm in mittlerer Qualität. | |
Dass Maas diese Zahl überhaupt nennen kann, liegt daran, dass er eigens ein | |
Gerät eingebaut hat, das alle Daten aufzeichnet, die seine Technik | |
hinausschickt. Wenn also der kleine silberne Zylinder, der eigentlich die | |
Lautstärke messen soll, Gespräche mitschneidet, würde Maas das anhand der | |
Datenmenge merken. | |
Im Gegensatz zum Normalnutzer, der – wenn er nicht seine Freizeit damit | |
verbringt, Nutzungsbedingungen zu studieren – gar nicht weiß, was der | |
Hersteller des smarten Lichtsystems alles speichert und was er damit macht. | |
Ganz zu schweigen von dem Problem, dass Unbefugte aufgrund von | |
Sicherheitslücken an die Daten gelangen können – oder sich vielleicht | |
gleich ins Heimnetzwerk hacken. Und diese Daten sagen viel. | |
„Man wird aus den Bewegungsmustern in einer Wohnung eines Tages | |
Krankheitsbilder lesen können“, ist Maas überzeugt. Den ganzen Tag im | |
Schlafzimmer geblieben, mit ungewöhnlich häufigen Abstechern ins Bad? Klar, | |
oder? Ganz neue Möglichkeiten, die sich hier für Strafverfolger oder | |
Geheimdienste ergeben. Und für die Werbetreibenden. „Es ist nur eine Frage | |
der Zeit, bis es dafür Verwertungswege geben wird“, sagt Maas. Das Display | |
der vernetzten Waage etwa, das gleich ein Diätprodukt anpreist. | |
## Lebenshilfe für ältere Menschen | |
Dass wir eines Tages dennoch – sehr stark oder nur etwas – vernetzt wohnen | |
werden, davon sind nicht nur Maas und Wagner überzeugt. Denn neben einem | |
Gewinn an Komfort und Kontrolle und einer Gefahr von Überwachung und | |
Kontrollverlust bietet die Vernetzung noch etwas anderes: Sicherheit, | |
gerade für ältere, allein lebende Menschen. Sensoren, mit Hilfe derer bei | |
einem Sturz automatisch ein Notruf abgesetzt wird. Armbänder, die | |
Vitalparameter wie den Puls überwachen und gegebenenfalls Alarm schlagen. | |
Bewegungssensoren durch die sich feststellen lässt, wenn jemand zwei Tage | |
lang das Schlafzimmer nicht verlassen hat. | |
Durch erhöhte Pulswerte, die ihr Fitness-Armband maß, kam eine Frau aus New | |
York kürzlich darauf, dass sie schwanger ist. Werte, die auch dem Anbieter | |
des Armbands vorliegen – eines Tages könnte also passende Werbung | |
auftauchen, noch bevor die werdende Mutter selbst von ihrer Schwangerschaft | |
weiß. | |
Was passiert, wenn das mit den Sensoren und Alarmen mal schiefgeht, hat | |
Maas an anderer Stelle erfahren. Nachdem ihm seine Tasche samt | |
Schlüsselbund geklaut wurde, stand er bereits auf der Polizeiwache, als | |
sein Smartphone meldete: Da bewegt sich etwas in der Wohnung. Mit dem | |
Schlüsseldienst standen daher auch gleich Beamte vor der Tür – deren Waffen | |
allerdings nicht zum Einsatz kamen. Bewegt hatte sich lediglich der | |
Staubsaugerroboter. | |
13 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
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