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# taz.de -- Teurer Schlüsseldienst: Gericht unterstützt Abzockerdienst
> Mehr als 660 Euro für den Schlüsseldienst? Zumindest für das Amtsgericht
> München ist das kein Wucher.
Bild: Wird teuer: Wenn der Schlüssel drinnen steckt und man selber draussen st…
Berlin taz | Ein Urteil des Amtsgerichts München sorgt bei
Verbraucherschützern und Schließexperten für Verwunderung. Es geht um den
Fall eines Mannes aus Johanneskirchen, der an einem Sonntagabend im
September 2018 in seiner Wohnung eingesperrt war, weil das Türschloss
defekt war. Der Mann rief einen Schlüsselnotdienst an, der ihm zunächst
keine konkreten Preise nennen, sondern sich erst ein Bild über die Lage
machen wollte.
Vor Ort schob der Mitarbeiter dem Mann dann einen Kostenvoranschlag unter
der Tür durch: Darauf verlangte er netto 189 Euro für den Einsatz, je 20
Euro Pauschale für An- und Abfahrt sowie einen Feiertagszuschlag von 189
Euro. Am Ende musste der Mann mehr als 660 Euro allein fürs Türöffnen
bezahlen. Obendrein bekam er noch ein neues Schloss eingebaut. Insgesamt
belief sich die Rechnung auf 863 Euro.
Laut Amtsgericht München (AZ. 171 C 7243/19) handelt es sich bei dem Fall
aber nicht um Wucher. Das geht aus einem Urteil hervor, dass das Gericht am
Freitag veröffentlichte. Die Süddeutsche Zeitung hatte zuerst über den Fall
berichtet.
Der Grund für die Entscheidung: Der Mann habe sich nicht in einer
Zwangslage befunden, die gemäß § 138 Abs.2 BGB für den Tatbestand des
Wuchers vorausgesetzt wird. Das Gericht begründete das damit, dass der Mann
in seiner Wohnung “Kontakt zur Außenwelt“ gehabt habe und demnach auch
andere Schlüsseldienste anrufen hätte können. Er sei nicht gezwungen
gewesen, das Angebot der beklagten Firma anzunehmen – und hätte deren
Mitarbeiter auch einfach wieder wegschicken können.
## Ausgesperrt oder eingesperrt?
“Diese Aussage finde ich ausgesprochen verwunderlich“, sagt Jürgen
Speermann vom Bundesverband Sicherheitstechnik. Ob die 863 Euro für die
Türöffnung nun Wucher sind oder nicht, will er nicht kommentieren – man
müsse im Einzelfall auch immer den Aufwand berücksichtigen. Allerdings
hätte das Gericht seiner Meinung nach die Zwangslage des Mannes anerkennen
müssen. Speermann verweist auf ein Urteil, das der Bundesgerichtshof Ende
Mai veröffentlicht hat (AZ 1 StR 113/19). Demnach begründet “bereits das
Ausgesperrtsein aus der eigenen Wohnung eine Zwangslage, ohne dass weitere
besonders bedrängende Umstände hinzutreten müssen“.
Allerdings gilt dieses BGH-Urteil eben nur fürs Ausgesperrtsein. Fürs
Eingesperrtsein sollten allerdings die gleichen Regeln gelten, findet
Michelle Jahn vor der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. “Wenn jemand
in seiner Wohnung eingesperrt ist, befindet er sich meiner Meinung nach in
einer Zwangslage.“ Der Mann hatte vor Gericht ausgesagt, dass er am
nächsten Morgen zur Arbeit erscheinen haben müsse. Als der Mitarbeiter des
Schlüsseldienstes bei ihm eintraf, war es bereits nach Mitternacht. Auf das
Argument, dass der Mann ja auch noch andere Angebote einholen hätte können,
entgegnet Jahn, dass Verbraucher in dem Moment, in dem ihre Tür nicht mehr
funktioniert, oft in einer Paniksituation seien. “Man steht unter Druck –
da hat man nicht noch Zeit, stundenlang im Internet zu recherchieren.“ Sie
findet die Entscheidung des Gerichts ebenfalls verwunderlich.
Grundsätzlich seien Verbraucher immer in einer Zwangslage, wenn die Tür
nicht mehr aufgeht – ob nun von außen oder von innen. Allerdings könne man
den Schlüsseldiensten nicht pauschal vorwerfen, die Notlage der Menschen
ausnutzen – damit der Tatbestand des Wuchers erfüllt ist, müsse das
“bewusst“ passieren. Im Fall des Manns aus München liege das nahe –
schließlich hatte der Mitarbeiter ihm den Kostenvoranschlag unter der Tür
durchgeschoben und ihm Folgendes mitgeteilt: Unterschreibt er nicht, bleibt
die Tür zu.
## Solange der Kunde zahlt...
Damit man von Wucher sprechen kann, muss allerdings auch geprüft werden,
inwieweit ein Rechtsgeschäft sittenwidrig ist – sprich, ob der Preis von
863 Euro nun angemessen war, oder nicht. Das Amtsgericht München verweist
auf den Grundsatz der Vertragsfreiheit, wonach es grundsätzlich den
Parteien überlassen werden müsse, eine angemessene Vergütung zu bestimmen.
“Wenn ein Anbieter dauerhaft überteuerte Angebote macht, wird er entweder
seine Preisvorstellungen reduzieren müssen oder aber vom Markt
verschwinden.“ Sprich: Solange der Kunde zahlt, sind die überteuerten
Preise des Schlüsseldienstes rechtlich erlaubt.
“800 Euro hört sich für mich klar so an, als sei eine Notlage ausgenutzt
worden“, sagt hingegen Denis Masur vom interkey Fachverband Europäischer
Sicherheits- und Schlüsselfachgeschäfte. Zwar gibt auch er zu bedenken,
dass man immer den Aufwand der Türöffnung im Einzelfall betrachten müsse.
Diese dürfe am Wochenende aber maximal 350 Euro kosten. “Alles andere ist
Abzocke.“ Laut Verbraucherzentrale sollten Schlüsseldienste im Regelfall am
Wochenende sogar nur bis zu 140 Euro kosten – Anfahrt eingerechnet. “Sobald
mehr als das Doppelte verlangt wird, ist es Wucher“, sagt Jahn.
## Ratschläge der Verbraucherzentrale
Masur betont, dass nicht alle Schlüsseldienste krumme Geschäfte drehen,
allerdings gebe es einige schwarze Schafe, die mit einfachsten Mitteln die
Türen öffneten und horrende Preise verlangten. Das Problem: Für Verbraucher
ist es oft schwer, die Seriosität der Anbieter einzuschätzen.
“Abzockefirmen geben viel für Eigenwerbung aus“, sagt Masur. So tauchten
dubiose Firmen beim Googeln meist weit oben auf und wirkten
vertrauenswürdig.
Deshalb raten sowohl die Verbraucherzentrale als auch der Verband Interkey
dazu, sich bei jedem Umzug sofort einen Schlüsseldienst in der Nähe zu
suchen – und dort am besten persönlich vorbeizugehen und sich eine
Preisliste geben zu lassen. Außerdem empfehlen sie, einen Schlüssel bei den
Nachbarn zu deponieren.
Für den Fall, dass man dennoch einen Schlüsselnotdienst aus dem Internet
braucht, rät Jahn, einen kühlen Kopf zu bewahren und mehrere Anbieter zu
kontaktieren – auch wenn man in der Situation zuerst in Panik ist. Von den
Firmen sollte man dann auf jeden Fall das Impressum überprüfen und sich
vorab schriftlich einen Kostenvoranschlag zusenden lassen.
Dem Mann aus München, der geklagt hatte, wird das allerdings nicht mehr
helfen: Zwar legte er gegen die Entscheidung des Amtsgerichts vor dem
Landgericht München Berufung ein – allerdings ohne Erfolg. Das Urteil ist
somit rechtskräftig.
13 Jul 2020
## AUTOREN
Sandra Röseler
## TAGS
Verbraucher
Verbraucherschutz
Urteil
München
Schwerpunkt Coronavirus
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