# taz.de -- Technische Revolutionen: Gut, dass es Waschmaschinen gibt! | |
> Das Internet ist die wichtigste Erfindung aller Zeiten? Unsinn, sagt der | |
> Ökonom Chang Ha-joon. Ein einfaches Haushaltsgerät ist viel bedeutender. | |
Bild: Dieser Junge aus Bagdad macht es vor: Alle sollten Waschmaschinen lieben! | |
Tomatensauce auf der weißen Bluse. Verschwitzte Sportkleidung. Die | |
Buddelhosen mit Matschflecken. Der Wäscheberg wird größer. Und größer. Und | |
irgendwann, spätestens wenn der Wäschekorb voll ist und der Kleiderschrank | |
leer – muss man die schmutzigen Klamotten waschen. „Ich habe keine Zeit“ | |
zählt nicht. Es muss einfach gemacht werden. Außer man will nackt auf die | |
Straße gehen. | |
Wie gut, dass es Waschmaschinen gibt! Sortieren, in die Trommel schmeißen, | |
Waschmittel rein, Knopf drücken – fertig. Dann ist Ruhe, je nach Waschgang | |
eine, anderthalb Stunden. Mit Aufhängen dauert das Ganze netto maximal zehn | |
Minuten. Ein Vorgang, der unsere Mütter, Großmütter – eine große Zahl | |
unserer weiblichen Ahnen – Tage kostete. Bis in die 1960er Jahre hinein | |
wurde Woche um Woche der Waschtag ausgerufen und Mutter schrubbte, | |
bürstete, spülte, spülte wieder und wieder, bleichte. | |
Bereits 1691 erfand der Engländer John Tyzacke die Waschmaschine, 255 Jahre | |
später ging in den USA die erste vollautomatische Waschmaschine in Serie. | |
Seit 1951 werden vollautomatische Waschmaschinen auch in Deutschland | |
hergestellt. Damals machte die Maschine eine Menge Zeit frei. Zeit, die | |
Hausfrauen anders verwenden konnten – etwa für Bildung. | |
Und Bildung heißt: Den Unterschied kennen. Und Wege finden, sich aus | |
Knechtschaft zu befreien. So haben technische Neuerungen wie Waschmaschine, | |
Kühlschrank und Staubsauger (neben medizinischen wie der Pille), erheblich | |
zur Emanzipation beigetragen. Wenn man so will, erweiterte das automatische | |
Schleudern den 68er-Slogan der Frauenbewegung „Das Private ist das | |
Politische“ um einen technischen Aspekt. Staubsauger, Bügeleisen und | |
Waschmaschine scheinen nicht Symbole der Unterdrückung zu sein, sondern der | |
Befreiung. | |
## Keine Wertschätzung für Waschmaschinen | |
Dennoch ist Hausarbeit heute immer noch hauptsächlich Frauensache. | |
Durchschnittlich 164 Minuten am Tag verbrachten Frauen in Deutschland 2014 | |
mit Hausarbeit. Männer bearbeiteten nur die Hälfte der Zeit ihre | |
Wäscheberge, Geschirrstapel und Staubflusen. | |
Jeden Tag werden Haushaltsgeräte benutzt. Doch sie sind in unserer | |
Wahrnehmung unsichtbar geworden. Man könnte auch sagen: Sie werden nicht | |
mehr wertgeschätzt. Im Gegensatz zu neusten Erfindungen, etwa das Internet | |
oder das Smartphone. Vor Elektrofachgeschäften stehen nicht tausende | |
Menschen stundenlang an, um die neuste Miele-Waschmaschine zu bekommen. Es | |
werden auch keine Bücher mit dem Titel geschrieben „Ich bin dann mal am | |
Waschbrett“. | |
Dass wir so denken sei eine Folge des Kapitalismus, sagt der südkoreanische | |
Wirtschaftswissenschaftler Chang Ha-joon. In seinem Buches „23 Lügen, die | |
sie uns über den Kapitalismus erzählen“, schreibt er: „Die Waschmaschine | |
war revolutionärer als das Internet.“ | |
Laut einer TNS Emnid Umfrage vom April 2015 gehört für tausende Befragte | |
die Waschmaschine mit 44 Prozent zu einer der wichtigsten Erfindungen. Vor | |
dem Internet mit 27 Prozent. Von den befragten Frauen sahen sogar die | |
Hälfte die Maschine vor dem Internet mit 18 Prozent. | |
## Unterwegs mit der Generation Waschbrett | |
Ha-joons These ist unsere Autorin Elisa Britzelmeier in der [1][taz.am | |
wochenende] nachgegangen. Sie hat Menschen getroffen, die sich mit dem | |
Waschen auskennen. Mit der Generation Waschbrett hat sie in einem | |
„Jugendzentrum für Senioren“ über das Internet gesprochen, mit einem | |
Programmierer dreckige Kleidung gewaschen und sich in einem | |
Elektrofachgeschäft in der Waschmaschinenabteilung umgeschaut. | |
Natürlich heißt das nicht, dass das Internet nicht wichtig ist. Auch ohne | |
das Netz wäre die Welt nicht mehr wie sie ist (etwas, das der kürzlich | |
verstorbene David Bowie bereits im Jahr 1999 in einem Interview | |
[2][verblüffend präzise beschrieb]). | |
Menschen könnten nicht in Kontakt bleiben. Oder hätten nie miteinander | |
kommuniziert. Geflüchtete, die ihre Familie vermissen. Manga-Fans auf zwei | |
verschiedenen Kontinenten, die sich in einem Forum austauschen. Der | |
Arabische Frühling, als Twitter-Revolution gefeiert, hätte so nicht | |
stattgefunden. Protest hätte nicht die Qualität, die er heute hat. Zuletzt | |
machten sich beispielsweise prominente Feministinnen unter dem Hashtag | |
#ausnahmslos gegen sexuelle Gewalt und Rassismus stark. | |
Was meinen Sie? | |
Hat die Waschmaschine die Gesellschaft mehr verändert als das Internet? Was | |
war bedeutender? | |
Diskutieren Sie mit! | |
Die Titelgeschichte „Technik, die begeistert“ von Elisa Britzelmeier lesen | |
Sie in der [3][taz.am wochenende vom 30./31. Januar 2016]. | |
29 Jan 2016 | |
## LINKS | |
[1] /!p4662/ | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=bdL3NR9Yno0 | |
[3] /Ausgabe-vom-30/31-Januar-2016/!161720/ | |
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