# taz.de -- Solidarisches Grundeinkommen: Den Spieß umdrehen | |
> Das Solidarisches Grundeinkommen schaffe sinnlose Jobs, so die Kritik. | |
> Der SGE-Bewerber Klaus Meier lotet den Spielraum des Pilotprojekts aus. | |
Bild: Der ehemalige Taxifahrer Klaus Meier hat einen Job erfunden, den es so no… | |
Klaus Meier mochte das Taxifahren: Er arbeitete seit 1986 in dem Beruf. | |
Doch in den letzten Jahren seiner Berufstätigkeit wurde das Taxigeschäft | |
immer prekärer. An manchen Tagen verdiente Meier nur noch vier Euro die | |
Stunde. Er schmiss den Job – und ist seit 2017 erwerbslos. Meier ist damit | |
ein Kandidat für das sogenannte Solidarische Grundeinkommen (SGE). | |
Das SGE ist ein Pilotprojekt des Landes Berlin und eine Idee des | |
Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD). Es soll Menschen, die | |
mindestens ein Jahr, aber weniger als drei Jahre erwerbslos sind, einen Weg | |
zurück in den Arbeitsmarkt ermöglichen. Der öffentliche Dienst und freie | |
Träger melden beim Senat Stellen an, die sie gerne besetzen würden, für die | |
aber kein Geld da ist – zum Beispiel Mobilitätshelfer*innen bei der BVG | |
oder Quartiersläufer*innen. Die Stellen werden dann vom Land Berlin nach | |
dem jeweils branchenüblichen Tarif finanziert. | |
„Das Projekt setzt bei Arbeitslosen direkt beim Übergang in Hartz IV an“, | |
sagt Jürgen Schupp, Arbeitsmarktexperte beim Deutschen Institut für | |
Wirtschaftsforschung. Das Besondere daran sei, dass das SGE keine | |
befristeten Stellen finanziere, wie es etwa bei den Ein-Euro-Jobs der Fall | |
war. Stattdessen haben die Arbeitnehmer*innen innerhalb der Betriebe | |
Aufstiegschancen. „Ob das auch gelingen wird, muss empirisch geprüft | |
werden“, sagt Schupp. Wer nach fünf Jahren noch keine reguläre Stelle | |
bekommen hat, dem garantiert das Land eine Beschäftigung im öffentlichen | |
Dienst. | |
Im September haben Arbeitgeber im Rahmen eines | |
Interessenbekundungsverfahrens bereits 1.800 Stellen angemeldet. 200 davon | |
sind mittlerweile freigegeben und können jetzt von den Jobcentern | |
vermittelt werden. Insgesamt sollen es 1.000 Stellen werden. | |
Bei der Prüfung wird geschaut, ob die Jobs „zusätzlich“ sind, das heißt, | |
dass sie niemandem auf dem ersten Arbeitsmarkt eine Stelle wegnehmen und | |
lediglich unterstützende Arbeiten sind. Sie sollen außerdem | |
gemeinwohlorientiert sein und in eines der zehn „Jobcluster“ passen, die | |
der Senat definiert hat. Dazu gehören: Obdachlosenlots*innen, Besuchs- und | |
Betreuungsdienste und Mobilitätshelfer*innen. | |
Kritik an der neuen Maßnahme setzt bereits bei deren Bezeichnung an. Der | |
Name „Solidarisches Grundeinkommen“ sei irreführend, findet etwa der | |
emeritierte Armutsforscher Christoph Butterwegge: „Das ist ein Lohn für | |
Arbeit und hat mit einem Grundeinkommen nichts zu tun. Der Name ist nur | |
PR.“ Außerdem sei das SGE ein Tropfen auf den heißen Stein. Es löse allein | |
schon wegen des geringen Budgets nicht das eigentliche Problem und sei auch | |
keine Alternative zu Hartz IV. Gerade Langzeitarbeitslose, die Hilfe am | |
dringendsten benötigen, würden ausgeschlossen. | |
„Für eine Gruppe von Menschen kann es aber durchaus eine Verbesserung sein, | |
wieder in einen Arbeitsplatz eingebunden zu sein und nach Tarif bezahlt zu | |
werden“, so Butterwegge. Für diejenigen hingegen, die sich eine berufliche | |
Entwicklung wünschten, sei es kontraproduktiv, da sie in einer Sackgasse | |
landen könnten. | |
## Eine Chance für beide Seiten? | |
Klaus Meier gehört zu Letzteren. Als Mobilitätshelfer Fahrgäste im | |
öffentlichen Verkehr zu unterstützen, dem kann er nichts abgewinnen: „Das | |
ist eine echte Herausforderung, da jeden Morgen, im Schichtdienst | |
möglicherweise, pünktlich aufzutauchen und seine Arbeitszeit abzureißen.“ | |
Er könne sich da nicht weiterentwickeln, fürchtet Meier. Von anderen | |
Jobclustern wie Kitahelfer oder Schulorganisationsassistenz komme aufgrund | |
seiner Vorbildung nichts infrage. Für Meier fühlt es sich an, als würden | |
Leute ausgesiebt: „Diejenigen, die den Scheißjob als Mobilitätshelfer | |
aushalten, dürfen dann auch als Busfahrer arbeiten.“ | |
BVG-Sprecherin Petra Nelken weist den Vorwurf zurück. Viele Erwerbslose | |
würden sich auf reguläre BVG-Stellen einfach nicht bewerben, obwohl viel | |
ausgeschrieben werde. Deswegen sei das Pilotprojekt eine Möglichkeit, neue | |
potenzielle Arbeitnehmer*innen „kennenzulernen“: „Das ist eine Chance | |
für beide Seiten.“ Schupp ergänzt: „Das SGE ist für die Arbeitgeber eine | |
risikoarme Möglichkeit, neue Leute einzustellen.“ | |
Meier hat aber einen anderen Plan: Er möchte den Spieß umdrehen. Statt dass | |
das Jobcenter ihm eine Palette an Jobs auftischt, die er für sinnlos hält, | |
hat er einen Job erfunden, den es bisher so noch gar nicht gibt: den | |
Taxisoziallotsen. Und er hofft, dass er die Stelle mit SGE-Geldern | |
finanziert bekommt. Der Taxisoziallotse soll Taxifahrer*innen helfen, ihre | |
Rechte gegenüber den Taxiunternehmen durchzusetzen und sich womöglich nach | |
alternativen Jobs umzusehen. | |
## Gewerkschaften erreichen Taxifahrer*innen kaum | |
Der Konkurrenzdruck im Taxigewerbe wurde in den letzten Jahren immer | |
größer, auch, weil das Gewerbe immer weiter liberalisiert wurde und | |
Unternehmen wie Uber auf den Markt drängten. Außerdem soll der | |
Taxisoziallotse helfen, im Dschungel der Sozialleistungen den Überblick zu | |
behalten. Denn gewerkschaftliche Arbeit habe die meisten Taxifahrer*innen | |
bisher kaum erreicht, sagt Meier. | |
Er hat für sein Vorhaben einen freien Träger gesucht, der die Förderung für | |
ihn beantragt. Jetzt muss er abwarten. Der Träger ist das Berliner | |
Arbeitslosenzentrum (BALZ). Ein Mitglied des Vorstands des Vereins sagte | |
der taz: „Wir wollten das SGE erst nicht in Anspruch nehmen, da wir | |
qualifizierte Leute brauchen, die normalerweise nicht für den niedrigen | |
SGE-Lohn arbeiten wollen.“ In Herrn Meiers speziellem Fall habe das BALZ | |
eine Ausnahme gemacht, da es einen Bedarf für den Taxisoziallotsen sehe. | |
Es sei durchaus möglich, dass das SGE solche neu geschaffenen Stellen | |
fördere, falls sie von den 10 Jobclustern abgedeckt würden, bestätigt die | |
Pressesprecherin der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales, | |
Regina Kneiding. Der Taxisoziallotse würde in die Kategorie der | |
Soziallotsendienste fallen. Jürgen Schupp findet: „In Berlin gibt es immer | |
neue Herausforderungen, und wenn da neue Beschäftigungsfelder mit Hilfe des | |
SGE entdeckt werden, ist das begrüßenswert.“ | |
10 Oct 2019 | |
## AUTOREN | |
Anina Ritscher | |
## TAGS | |
Arbeitslosigkeit | |
Taxigewerbe | |
Grundeinkommen | |
Bedingungsloses Grundeinkommen | |
Taxisbranche | |
Bedingungsloses Grundeinkommen | |
Hartz IV | |
Bedingungsloses Grundeinkommen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Serie: Was macht eigentlich …?: Der Taxisoziallotse | |
Klaus Meier ist einer von tausend Erwerbslosen, die vom Solidarischen | |
Grundeinkommen des Senats profitieren. Den neuen Job hat er selbst kreiert. | |
Uber erschwert den Taxis das Geschäft: Taxifahrer fühlen sich uberfahren | |
Seit zwei Jahren ist das Unternehmen Uber auf Berlins Straßen unterwegs. | |
Die Taxifahrer der Stadt treibt das in finanzielle Not. | |
Solidarisches Grundeinkommen in Berlin: Die Nicht-Überwindung von Hartz IV | |
Das „Solidarische Grundeinkommen“ ist angelaufen. Erwerbsloseninitiativen | |
halten die Idee des Regierenden Bürgermeisters für einen schlechten Scherz. | |
Rückforderungen des Jobcenters: Unverschuldet in die Bredouille | |
Fast 4.000 Euro muss eine Bremerin an das Jobcenter zurückzahlen. Der | |
Bremer Erwerbslosenverband hat täglich mit solchen Fällen zu tun. | |
Solidarisches Grundeinkommen: Der Müller-ÖBS kommt | |
Der Senat hat das Beschäftigungsprogramm für bis zu 1.150 Arbeitslose | |
beschlossen. Erreichen soll es Menschen, die seit drei Jahren arbeitslos | |
sind. |