# taz.de -- Solange-Konzert in Hamburg: Blackpower statt Entertainment | |
> Mit ausgeklügelter Choreographie: Der US-amerikanische R&B-Star Solange | |
> spielt an zwei Tagen in der Hamburger Elbphilharmonie. | |
Bild: Solange Knowles, hier in Paris | |
Vorab [1][ein Tweet:] „pls come fitted in ya finest all black“. Solange | |
hatte gerufen, und so waren sie gekommen, in schönstem Schwarz. Strahlende | |
Gestalten in Abendgarderobe, perfekt frisiert, fast alle unter dreißig. | |
Auffallend viele People of Color flanieren am Montagabend durchs Foyer der | |
Hamburger Elbphilharmonie, sie alle haben dieses Glitzern in den Augen, | |
zuweilen huscht ein beinahe ungläubiges Lächeln über ihr Gesicht. | |
„Witness! Composed and Directed by Solange Knowles“ ist der erste von zwei | |
Abenden dieser Weltpremiere an der Elbe überschrieben, und darin steckt | |
schon viel von dem Selbstbewusstsein der 1986 in Houston, Texas, geborenen | |
Künstlerin. Die Afroamerikanerin ist schon lange nicht mehr nur die kleine | |
Schwester der großen Pop-Diva Beyoncé, für die sie einst als Tänzerin | |
arbeitete. Solange ist nicht bloß eine begabte R&B-Sängerin, sie ist auch | |
Produzentin, Komponistin und Rapperin und nun also auch so etwas wie eine | |
Regisseurin. | |
Sie sei nicht länger daran interessiert, eine Liveshow nur als | |
Entertainment aufzuführen, erklärte sie vor einigen Jahren. Sie wolle mit | |
ihrem Publikum in Kontakt treten. Fortan absolvierte sie einige viel | |
diskutierte Shows in großen Kulturtempeln: im Opernhaus in Sydney, im New | |
Yorker Guggenheim Museum und in Londons Tate Modern. Und nun also: eine | |
Performance in der Elbphilharmonie. | |
## Zugriff auf Blasmusiktradition | |
Auch eine Dreiviertelstunde nach Einlass ist dabei zunächst einmal keine | |
Spur von der Künstlerin. Dann betritt die Band den Saal: 23-köpfig, | |
Keyboarder, Drummer, Bläser, Streicher, pinkfarben bis hinab zu den | |
Sneakers, dazu auf der höchsten Stufe acht Tänzerinnen in engen Gewändern, | |
die wie Badeanzüge anmuten. Als endlich die Protagonistin erscheint, mit | |
ernstem Gesicht, flankiert von zwei Sängerinnen, wird sie mit | |
ohrenbetäubendem Jubel empfangen. Nach einem überlangen Intro der Band | |
erklingt ihre über mehrere Oktaven reichende Stimme. Getreu dem Motto des | |
Abends eröffnet Solange mit „I’m a Witness“, nur langsam wird das helle | |
Saallicht gedimmt, während sich schrille Trompeten erheben. Ein wenig | |
steif, dieser Konzertbeginn. Zwar wird jeder Solange’sche Hüftschwung mit | |
lauten „Wows“ quittiert, doch ist der Marching-Band-Ansatz ihrer | |
Begleitmusiker zunächst seltsam spröde. | |
Schon im Alter von 16 Jahren hatte sie ihr Soloalbumdebüt veröffentlicht, | |
aber erst „A Seat at the Table“ (2016) verschaffte Solange weltweite | |
Anerkennung, einen Grammy und einen Ruf als sanfte Kämpferin für | |
Frauenrechte und gegen Rassismus. Die Musik: minimalistischer R&B und | |
spaciger Soul. Drei Jahre später erschien „When I Get Home“, ein | |
skizzenhaftes Album voller psychedelischer Jazzjams und kurzer Anklänge an | |
Trap und Neunziger-Jahre-Rap, ein musikalischer Stream of Consciousness mit | |
Songtexten, die sogar die Rätselhaftigkeit des Vorgängeralbums übertreffen. | |
In der Elbphilharmonie spielt Solange eine Art Best-of-Set, während sie ihr | |
Haar zu den Beckenschlägen des Drummers schüttelt, sich auf dem Boden wälzt | |
und mit ausladenden Schritten die Bühne abmisst. Kaum je sucht sie den | |
Kontakt zu ihren Tänzerinnen, deren Bewegungen sich in | |
Synchronschwimmer-artigen Moves erschöpfen, doch ihre eigene | |
Tanz-Choreografie ist brillant. | |
## Last ihr Haar in Ruhe | |
Wenn sie mit ernster Miene ihre Band fokussiert, sich dann mit einem Ruck | |
umwendet und dem Publikum ein „Don’t touch my hair“ entgegenschleudert, d… | |
erste Zeile ihrer gleichnamigen Empowerment-Hymne, dann ist das einfach | |
toll. Noch toller: Solange, wie sie mit dem linken Bein, das unter ihrem | |
pinkfarbenen Kleid herausschaut, auf eine Stuhllehne in der ersten Reihe | |
steigt, und mit Daumen und Zeigefinger auf einen imaginären Punkt im | |
Publikum feuert. | |
Die Möglichkeiten der 360-Grad-Bühne nutzt sie nicht, arbeitet weder mit | |
Videos noch besonderen Lichteffekten. Eine Performance mag dies nicht sein, | |
doch musikalisch steigert sich die Künstlerin stetig, bis hin zu einem | |
furios gospeligen „Cranes in the Sky“. Am meisten Jubel bringt ihr jedoch | |
„F.U.B.U.“ ein, kurz für „For us, by us“. | |
Eine Frau beugt sich zum Handkuss vor, als Solange hinab ins Parkett | |
steigt. Sie tanzt mit Besucherinnen, die die gleichen Erfahrungen gemacht | |
haben wie sie, den People of Color. „This shit is for us“ wird lauthals | |
mitgesungen – all das hier ist für ihre Fans, aber genauso für sie selbst. | |
Heute Abend gehört die Elbphilharmonie Solange. | |
18 Sep 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/solangeknowles/status/1171805272140124160 | |
## AUTOREN | |
Jan Paersch | |
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