| # taz.de -- Sinéad O'Connor mit 56 Jahren gestorben: Das Leid in der Stimme | |
| > Mit ihrer Version von „Nothing Compares 2 U“ wurde die Sängerin O’Conn… | |
| > weltberühmt. Ihr Leben war von Politik und psychischen Erkrankungen | |
| > geprägt. | |
| Bild: Sinead O'Connor bei einem Auftritt während des Wombad Festivals in Chile… | |
| Dublin taz | Ihre Stimme vergisst man nicht, wenn man sie einmal gehört | |
| hat. Sinéad O’Connor zog die Menschen mit ihrem Gesang in den Bann. Ich | |
| habe sie mehrmals live in ihrer Heimatstadt Dublin erlebt – einmal mit | |
| Glatze, einmal sehr bieder im Kostüm, einmal mit Hijab. | |
| Sechs Jahre lang, bis 2021, war sie mehr oder weniger in einer „Klapsmühle“ | |
| untergetaucht, wie sie es in einem Interview mit Simon Hattenstone vom | |
| Guardian nannte, fügte aber hinzu, dass nur die Patienten das Wort benutzen | |
| dürfen. Sie war manisch-depressiv. Doch vor zwei Jahren erklärte man sie | |
| als stabil und sie konnte die psychiatrische Einrichtung verlassen. | |
| Berühmt ist sie 1990 mit einer Cover-Version von Princes „Nothing Compares | |
| 2 U“ geworden. Das Lied stand lange auf dem ersten Platz in den weltweiten | |
| Charts. Eines Tages rief [1][Prince] an und sagte, er wolle sie treffen. Er | |
| ließ sie von einem Chauffeur abholen, sperrte sie in sein Haus, bestand auf | |
| eine Kissenschlacht und schlug sie dann mit einem harten Gegenstand nieder, | |
| den er im Kissen versteckt hatte. Schließlich gelang ihr die Flucht. | |
| Nach „Nothing Compares 2 U“ hatte sie nie wieder einen Song unter den Top | |
| 10. Dafür war sie nicht kommerziell genug, sie legte sich zu oft mit den | |
| Produzenten an, brachte aber immer wieder wunderschöne Alben heraus, ob | |
| Reggae oder Pop oder im traditionellen, gälischen Sean-Nós-Gesang. Und | |
| immer wieder wurde sie als Gastmusikerin eingeladen. | |
| ## Immer war sie auch politisch | |
| Der Höhepunkt ist für mich der Titelsong „Release“ des zweiten Albums vom | |
| Afro-Celt Sound System. Dabei neigte sie immer dazu, sich kleinzumachen. | |
| „Ich bin Irin und ich bin in den siebziger Jahren aufgewachsen, als einem | |
| als gute Katholikin eingebläut wurde, dass man Scheiße sei und keineswegs | |
| stolz auf sich sein durfte.“ | |
| Musik war für sie Therapie, schrieb sie in ihrer Autobiografie | |
| „Erinnerungen“, die vor zwei Jahren erschienen ist. Aber sie war immer auch | |
| politisch: Auf dem Album „Universal Mother“ spricht sie davon, dass die | |
| irische Hungersnot Mitte des 19. Jahrhunderts in Wahrheit ein von der | |
| englischen Regierung angeordneter Genozid war. O’Connor trat der | |
| [2][irisch-republikanischen Partei Sinn Féin] bei und trat vehement für die | |
| irische Vereinigung ein. | |
| Sie hatte mit dem Schreiben der Autobiografie bereits 2015 begonnen, erlitt | |
| dann aber mehrere Zusammenbrüche, die in einem Hilfeschrei mündeten, den | |
| sie per Video aus einem Motel in den USA auf Facebook veröffentlichte. Es | |
| war nicht nur ihre [3][psychische Erkrankung], sagte sie später, sondern | |
| sie hatte darüber hinaus Gallensteine. | |
| O’Connor stellte das Buch erst in der Klinik fertig. Ihre Geschichte, die | |
| aus vielen kleinen Vignetten besteht, ist trotz allem in weiten Teilen | |
| lustig, aber es wird auch deutlich, wie verletzlich sie war, vor allem, | |
| wenn sie beschreibt, wie sie von ihrer Mutter physisch und sexuell | |
| misshandelt worden sei. | |
| ## Toxische Erziehung der Mutter | |
| Sie wurde am 8. Dezember 1966 geboren und wuchs in Glenageary auf, einem | |
| vornehmen Vorort der irischen Hauptstadt. Sie hatte vier Geschwister, | |
| darunter den Schriftsteller Joseph O’Connor, der die Mutter als „zutiefst | |
| unglücklich und gestört“ beschrieben hat. | |
| Die Eltern trennten sich, als Sinéad O’Connor acht Jahre alt war. An dem | |
| Tag, als der Vater auszog, sperrte die Mutter ihre Kinder ins Gartenhaus. | |
| Als es dunkel wurde, bettelte O'Connor, ins Haus gelassen zu werden, aber | |
| die Mutter blieb hart. „Das war der Augenblick, in dem ich offiziell den | |
| Verstand verloren habe und seitdem unter Agoraphobie leide“, schreibt | |
| O’Connor. | |
| Mit 13 begann sie zu klauen. „Ich wurde Kleptomanin, wie meine Mutter.“ Sie | |
| stahl auf Bestellung ihrer Schulfreunde. Mit 14 wurde sie geschnappt und in | |
| eine Besserungsanstalt gesteckt. Eine der Nonnen vom Aufsichtspersonal | |
| kaufte ihr eine Gitarre, um Ruhe vor dem rebellischen Teenager zu haben. | |
| ## Erleichtert über den Tod der Mutter | |
| Als sie 18 war, starb ihre Mutter bei einem Autounfall. Sie sei erleichtert | |
| gewesen, sagte O'Connor: „Meine Mutter war eine böse Person. Sie war vom | |
| Teufel besessen.“ Weil sie sehr viel physische Ähnlichkeit mit ihrer Mutter | |
| hatte, rasierte sie sich den Kopf, was später zu ihrem Markenzeichen wurde. | |
| 1999 ließ sie sich in einem Hotelzimmer des französischen Wallfahrtsorts | |
| Lourdes von Bischof Cox zur Priesterin ordinieren. Cox war früher | |
| Hafenpolizist in Dun Laoghaire bei Dublin gewesen, wurde dann | |
| Tridentiner-Bischof – und umgehend exkommuniziert. Die Tridentiner sind | |
| eine Abspaltung von der katholischen Kirche, sie lesen ihre Messe in Latein | |
| mit dem Rücken zur Gemeinde, so wie es auch bei Katholiken üblich war, bis | |
| Papst Johannes XXIII. die Pfaffen wenden ließ. | |
| Dabei sei sie nicht gerade eine Vorzeigekatholikin, meinte O'Connor: „Vier | |
| Kinder von vier verschiedenen Männern, und nur mit einem davon war ich | |
| verheiratet, und ich habe drei andere geheiratet, von denen keiner der | |
| Vater eines meiner Kinder ist.“Acht Monate lang war sie mit dem | |
| australischen Bassisten Steve Cooney verheiratet, dann ließ sie sich | |
| scheiden: „Steve ist großartig, es ist nicht seine Schuld, sondern meine“, | |
| sagte sie. „Es war eine extrem glückliche Ehe.“ Ihre vierte und letzte Ehe | |
| mit einem Mann, den sie in den sozialen Medien mit einer Annonce gesucht | |
| hatte, dauerte nur sieben Tage. | |
| ## Den Papst vor laufender Kamera zerrissen | |
| Sieben Jahre vor ihrer Ordination zur Priesterin hatte sie aus Protest | |
| gegen die klerikale [4][sexuelle Gewalt gegen Kinder] ein Foto von Papst | |
| Johannes II. vor laufender Kamera im US-Fernsehen zerrissen, was ihr ein | |
| lebenslanges Auftrittsverbot bei NBC einbrachte. Erboste Katholiken | |
| zerstörten ihre Platten daraufhin mit einer Dampfwalze. Als sich die Kirche | |
| viele Jahre später bei den Opfern der pädokriminellen Priester | |
| entschuldigte, bezeichnete O’Connor das als inadäquat: Der Vatikan sei ein | |
| „Nest von Teufeln und eine Zufluchtsstätte für Kriminelle“. | |
| Später konvertierte sie zum Islam und nannte sich Shuhada Sadaqat: „Was ich | |
| am Islam mag, ist die Tatsache, dass er anti-religiös ist, ebenso wie Jesus | |
| eine militant anti-religiöse Figur war. Die Religion ist das Schlimmste, | |
| was Gott passieren konnte.“ Der Islam sorge dafür, dass man weder Geld | |
| verehrt, noch stiehlt, sondern sanft mit seinen Brüdern und Schwestern | |
| umgehe. | |
| Voriges Jahr nahm sich ihr 17-jähriger Sohn Shane das Leben, [5][worauf | |
| O’Connor mit dem Gedanken spielte, es ihm gleichzutun]. Sie hatte bereits | |
| mehrere Suizidversuche hinter sich. Einmal schluckte sie eine Menge | |
| Tabletten und wandte sich an Gott: „Okay, entscheide du.“ Drei Tage später | |
| wachte sie aus dem Koma auf und meinte: „Gott denkt offenbar, dass ich | |
| solch eine Nervensäge bin, dass er mich auch nicht will.“ Am Mittwoch hat | |
| er es sich anders überlegt, Sinéad O’Connor ist nur 56 Jahre alt geworden. | |
| Voriges Jahr hatte sie gesagt: „Sie haben oft versucht, mich zu begraben. | |
| Sie wussten nicht, dass ich ein Samen bin.“ Wir sind gespannt. | |
| 27 Jul 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ralf Sotscheck | |
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