# taz.de -- Nachruf auf Sängerin Astrud Gilberto: Melancholisch, weltabgewandt | |
> Astrud Gilberto, die brasilianische Sängerin des Evergreens „The Girl | |
> from Ipanema“ und große Stimme der Bossa Nova, ist gestorben. | |
Bild: Hat den Strand von Ipanema bald Richtung USA verlassen: Astrud Gilberto | |
Ihre Karriere begann mit einem Urknall: Gleich ihre erste professionelle | |
Aufnahme, „The Girl from Ipanema“, eine englischsprachige Version des Songs | |
„Garota de Ipanema“ von Antônio Carlos Jobim und Vinícius de Moraes, wurde | |
1964 zum Welthit, erhielt einen Grammy als „Song des Jahres“ und etablierte | |
die brasilianische Bossa nova neben der britischen Invasion und dem Soul | |
von Tamla Motown als dritte große prägende Kraft der Pop-Explosion der | |
1960er. | |
Astrud Weinert, eine von drei Töchtern eines in Deutschland geborenen | |
Englischprofessors, hatte 1960 den brasilianischen Sänger João Gilberto | |
geheiratet (Trauzeuge war übrigens der Schriftsteller Jorge Amado), der mit | |
seinem gehauchten und geflüsterten Gesang [1][der Bossa nova] ihr | |
charakteristisches Erkennungszeichen implementiert hatte und zu der Zeit in | |
seiner Heimat schon eine Legende war. | |
Außerhalb Brasiliens begannen sich [2][damals vor allem US-Jazzmusiker] für | |
diese neuartige, rhythmisch und harmonisch so reiche Musik zu | |
interessieren. Der Saxophonist Stan Getz hatte schon mehrere Versuche | |
gemacht, Bossa nova dem US-Publikum nahezubringen. Aber erst das 1963 | |
eingespielte Album „Getz/Gilberto“ führte dann zum Durchbruch. | |
## Entscheidende Zutat | |
Die entscheidende Zutat war dabei nicht [3][die Stimme von João Gilberto] | |
(dem Gilberto im Albumtitel), sondern die melancholische, weltabgewandte | |
Mädchenstimme von Astrud, die den englischen Text sang, nachdem João den | |
portugiesischsprachigen Originaltext intoniert hatte. Der Produzent Creed | |
Taylor entschied sich schließlich, einen Edit des Albumtracks anzufertigen, | |
Joãos Part zu eliminieren und das Ganze als Single herauszubringen. | |
Ihre Ehe mit João war zu diesem Zeitpunkt schon am Ende und auch die | |
folgende Beziehung mit Stan Getz, der laut den Erinnerungen des | |
Journalisten und Textdichters Gene Lees bei Creed Taylor durchgesetzt | |
hatte, dass Astrud für ihren Beitrag zum „Girl from Ipanema“ keinen Cent | |
bekam, hielt nicht lange. | |
Astrud Gilberto versuchte sich in den Folgejahren mit wechselndem Erfolg | |
als eine Art Mittlerin zwischen den musikalischen Entwicklungen in | |
Brasilien und des US-Pop, sang einerseits Titel von [4][Marcos Valle] und | |
Milton Nascimento, andererseits von den Beatles und [5][Burt Bacharach] und | |
arbeitete mit Arrangeuren wie Eumir Deodato und Marty Paich. | |
Anfang der 1970er Jahre fuhr sie ihre Aktivitäten deutlich zurück und | |
veröffentlichte kaum noch neue Musik. Zu den Ausnahmen gehört ein Album mit | |
James Last (1986). In Brasilien pflegte man Astrud Gilberto etwas gehässig | |
als One-Hit-Wonder abzutun und wegen ihrer geringen gesanglichen | |
Variationsbreite zu verspotten. | |
## Müheloses Gelingen | |
Das hatte womöglich aber auch mit dem Neid darauf zu tun, dass es einer | |
Brasilianerin, die nicht schon zuvor lange Lehrjahre in den Nachtclubs von | |
Rio absolviert hatte, so mühelos gelungen war, den Weltmarkt zu erobern, um | |
dann als Gesicht und Stimme der Bossa nova gehandelt zu werden. | |
In Großbritannien erfuhr die Künstlerin größere Wertschätzung und war ein | |
prägender Einfluss auf Sängerinnen wie Sade, Basia und Alison Statton, die | |
Mitte der 1980er Jahre einen neuen Versuch unternahmen, die Stilistiken der | |
Bossa nova im Popkanon zu etablieren. Astrud Gilberto starb am 5. Juni in | |
ihrer langjährigen Heimat Philadelphia im Alter von 83. | |
7 Jun 2023 | |
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## AUTOREN | |
Detlef Diederichsen | |
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