# taz.de -- Shortlist zum Deutschen Buchpreis: Erinnerung an das Literarische | |
> Von Vereinheitlichung der Literatur kann keine Rede sein. Die diesjährige | |
> Shortlist zum Deutschen Buchpreis steht für eine erzählerische | |
> Erneuerung. | |
Bild: Die ganze Bandbreite des Erzählens: die zum Deutschen Buchpreis nominier… | |
Wer Thomas Hettches „Herzfaden“ aufschlägt und erst mal darin blättert, | |
darf sich gleich ein bisschen wundern. Die Abschnitte sind abwechselnd in | |
zwei unterschiedlichen Farben gesetzt, Rot und Blau. | |
Das ist mehr als eine Spielerei. Vielmehr klingelt da sofort etwas. Michael | |
Endes „Unendliche Geschichte“ (eine inzwischen verjährte, aber wichtige | |
Zentralerzählung der alten Bundesrepublik) war in zwei Farben gedruckt. | |
Michael Endes „Jim Knopf“-Romane wiederum waren zentral für den Ruf der | |
Augsburger Puppenkiste. Und genau einen Roman über die Augsburger | |
Puppenkiste (und damit zugleich über die alte Bundesrepublik) erzählt | |
Hettche in „Herzfaden“. | |
Keineswegs nur aufgrund dieses formalen Aspekts steht Hettches Buch auf der | |
diesjährigen Shortlist zum Deutschen Buchpreis. Aber das Formale | |
transportiert eben gleich etwas vom erzählerischen Durchdringungswillen | |
dieses Buches. Was auffällt: Um diesen Willen scheint es den Juror*innen | |
auf dieser Liste insgesamt zu gehen. | |
Die marketingoffiziellen und nach außen gerichteten Erneuerungsbewegungen | |
in der deutschsprachigen Literatur liefen zuletzt eher über das | |
Inhaltliche: Geschichten von Arbeiterkindern erzählen, von Migrant*innen, | |
Frauenschicksale erzählen. Darunter und daneben hat es zuletzt aber auch – | |
[1][untergründig durchaus spürbar] – formale Erneuerungsbestrebungen | |
gegeben: über Erzähltechniken nachdenken, nicht alles in Romanformen | |
pressen, die Bandbreite an Ausdrucksformen experimentell nutzen. | |
Diese Shortlist ist nun in vielem die Liste, in der diese Bestrebungen an | |
die Oberfläche kommen. Sie ist eine Erinnerung an das Literarische oder | |
eher: eine Einladung zum Literarischen. Und das wirklich Schöne ist, dass | |
dabei inhaltliche und formale Aspekte zusammenkommen. | |
## Von wegen Historienschmöker | |
Das gilt keineswegs nur für Thomas Hettche. Dorothee Elmiger bedient sich | |
bei ihrem Buch „Aus der Zuckerfabrik“ essayistischer Techniken. Anne Weber | |
erzählt in [2][„Annette, ein Heldinnenepos“] die Geschichte der | |
französisch-algerischen Widerstandskämpferin Anne Beaumanoir gleich ganz in | |
Versen; und es funktioniert. | |
Christine Wunnicke schreibt in „Die Dame mit der bemalten Hand“ einen | |
historischen Roman, aber nicht als dicken Historienschmöker, sondern als | |
konzentrierte Sache. Bov Bjerg erzählt seinen Herkunfts-, Aufstiegs- und | |
Depressionsroman „Serpentinen“ sich mosaikartig aus schlaglichtartig | |
aufblitzenden Szenen zusammensetzend. | |
Und Deniz Ohdes [3][Aufstiegsgeschichte „Streulicht“] ist auf den ersten | |
Blick das konventionellste Buch der Liste; auf den zweiten Blick entwickelt | |
aber gerade der Versuch, auf jegliche erzählerischen Tricks zu verzichten, | |
eine ganz eigene experimentelle Kraft. | |
Am 12. Oktober wird einem dieser Bücher der Deutsche Buchpreis verliehen. | |
Immer wieder hatte es Sorgen gegeben, dieser Preis würde zur | |
Vereinheitlichung und Verflachung der Literatur führen. Wer auch immer den | |
Preis gewinnt, mit dieser Shortlist kann man schon mal sagen: Nö, von | |
Verflachung kann keine Rede sein. Eher im Gegenteil. | |
15 Sep 2020 | |
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## AUTOREN | |
Dirk Knipphals | |
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