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# taz.de -- Separatismus in Bayern: Eine ketzerische Idee
> Die Loslösung von Deutschland treiben nur wenige Menschen in Bayern aktiv
> voran. Den Gedanken an die Unabhängigkeit mögen trotzdem viele.
Bild: In ihren Bräuchen autonom und eigenwillig sind die Bayern ohnehin: Leonh…
MÜNCHEN taz | Es ist noch nicht allzu lange her. Da war Deutschland
geteilt. Nicht politisch, sondern wettermäßig. Im Norden schneite es,
während im Süden die Sonne schien. Der Münchner Merkur widmete dieser
Wetterlage ein Titelfoto. Darunter hieß es, man möge doch nicht allzu
hämisch sein gegenüber den „Preißn“, denn bald würde das Wetter auch im
Süden wieder schlechter. Das ist an sich nett gemeint, könnte man sagen. Es
lässt sich aber auch anders lesen: Offenbar ist es um die bayerische
Solidarität gegenüber dem Rest von Deutschland nicht so gut bestellt. Warum
sonst sollte man an diese wohl erinnern müssen?
„Die Bayern sind schon ein sehr eigenes Volk“, sagt Richard Loibl, nicht
ohne sofort darauf hinzuweisen, dass es „die Bayern“ eigentlich gar nicht
gibt; dass man vielmehr unterscheiden müsse, zwischen Altbayern, Schwaben
und Franken. Es ist einer dieser wunderschönen Sonnentage mit strahlend
blauem Himmel in München, an denen es womöglich anderswo in Deutschland
schneit. Loibl sitzt auf der Terrasse des Cafés Tambosi am Odeonsplatz und
trinkt einen doppelten Espresso. Er ist Direktor des Hauses der bayerischen
Geschichte, und als „Berufsbayer“, wie er scherzhaft sagt, war er gerade
auf einem Termin in der Münchner Residenz.
„Das ist ein geschichtsträchtiger Platz für Bayern“, sagt Loibl, „der S…
der bayerischen Könige“. Dieser Zeit der Souveränität und
Eigenstaatlichkeit trauert man in Bayern immer noch nach. Mag es also sein,
dass Wilfried Scharnagl, diese grau gewordene Eminenz der CSU, einst
Intimus von Franz Josef Strauß und langjähriger Chefredakteur des
Bayernkuriers, Recht hat? „Bayern kann es auch allein“ lautet der Titel
seines Buches, das er im vergangenen Jahr schlagzeilenreich
veröffentlichte. Seither fragt man sich im Rest von Deutschland: Gibt es
tatsächlich Menschen in Bayern, die sich trennen wollen?
## 1.500 Jahre Bayern
„Dazu ist Bayern längst viel zu stark verwoben mit Deutschland.“ Loibl ist
skeptisch. Was es aber unbestritten gebe, seien „bayerische Traumata“. Die
lägen in der Geschichte des Freistaates begründet. „Die ersten bayerischen
Herzöge wurden in den historischen Quellen um 500 erwähnt. Bayern blickt
also auf 1.500 Jahre Geschichte zurück.“
Zweimal stand die Eigenständigkeit Bayerns zur Debatte. Einmal 1871, als
Bayern dem deutschen Kaiserreich beitreten sollte. Ein zweites Mal im Mai
1949. Damals lehnte der bayerische Landtag das Grundgesetz ab – nicht ohne
anschließend wesentlich dazu beizutragen, dass der Föderalismus und damit
die Eigenständigkeit der Bundesländer darin verankert wurden. Im Bundestag
stimmten die Bayern schließlich für die Rechtsgültigkeit der Bonner
Verfassung. Eine Sowohl-dagegen-als auch-dafür-Politik, wie sie die CSU bis
heute pflegt.
„Das ist ein alter bayerischer Trick“, sagt Loibl und lächelt. So könne
Bayern seine gefühlte Eigenständigkeit ohne schwerwiegende Konsequenzen
demonstrieren. Die Bayern seien schließlich auch gute Geschäftsleute:
„Tradition da, wo sie uns nützt, zum Beispiel im Tourismus“, erklärt er.
„Wenn der Fortschritt einträglicher ist, wirft man die Tradition über
Bord.“
## Stirbt die bayerische Sprache aus?
Die Traumata der Bayern scheinen nicht nur politischer Natur zu sein. Horst
Münzinger ist ein ruhiger, freundlicher Mann, dessen Herz stark an seiner
Heimat hängt. Besonders die bayerischen Dialekte haben es ihm angetan.
Seine E-Mails unterschreibt er mit „An scheena Gruaß“. Als Vorsitzender des
Fördervereins Bairische Sprache und Dialekte sagt er oft und mit großem
Bedauern: „Die bayerische Sprache ist vom Aussterben bedroht.“
Um diesen Prozess aufzuhalten, besucht Münzinger, der einmal Bankvorstand
war, Schulen und hält Vorträge. Was er sich wünscht, ist, dass bereits
Kindergartenkinder wieder Bayerisch lernen, und zwar alle. Der Wunsch
entspringt keinem bornierten Konservatismus, der sich gegen das Fremde
sträubt. Münzinger ist ein aufgeschlossener Mann, der sich für vieles
interessiert und gerne reist. Wenn er nicht gerade für die bayerische
Sprache kämpft, führt er Reisegruppen durch den Oman.
„Viele Eltern wagen nicht, mit ihren Kindern in der Mundart zu reden, aus
Angst, dass die dann als ungebildet gelten könnten“, erklärt er und steuert
seinen Kleinwagen in besonnenem Tempo von München aus ins fast hundert
Kilometer entfernte niederbayerische Vilsbiburg. Die neunten Klassen einer
Realschule stellen dort die Ergebnisse ihrer Projektarbeiten vor. Eine
Gruppe hatte ihn zu den Ursprüngen der bayerischen Sprache befragt.
„Die waren so gut, die Burschn“, freut sich Münzinger noch immer. Wenn es
um die Sprache geht, ist ihm kein Weg zu weit und keine Schulaufführung zu
piefig. Es ist das Bild des ungebildeten Bayern, das er zu bekämpfen sucht.
Die oberbayerische Idylle hätten die Gäste aus Preußen immer genossen, sagt
Münzinger, „aber die ländliche Bevölkerung, deren Sprache sie nicht
verstanden, auf die haben sie ein bisschen herabgeschaut“.
## Alkoholfreies Weizen
Karl Steininger zeichnet ein ganz anderes, ein sehr stolzes Bild von
Bayern. Der Mann mit den wildwachsenden Augenbrauen ist Landeshauptmann der
bayerischen Gebirgsschützen, einer Art oberbayerischem Bauern- und
Bürgermilitär, das im Kaiserreich sämtliche militärische Funktionen verlor
und heute ausschließlich Traditionspflege treibt. 47 verschiedene Kompanien
gibt es, jede mit eigener Tracht. „Ich gehöre zur Kompanie Gotzinger
Trommel“, sagt Steininger und zeigt in einem Heft eine Figur mit braunem
Rock, blauer Weste, Lederhose und konisch zulaufendem Trachtenhut. Im
Pschorr, einem bayerischen Wirtshaus an der Münchner Schrannenhalle, ist
Steininger in Zivil. Er trägt Trachtenjanker mit Hirschhornknöpfen. Vor ihm
steht ein alkoholfreies Weißbier.
12.000 Mitglieder haben die Gebirgsschützen bayernweit. Wenn die bayerische
Staatsregierung einen ausländischen Staatsgast empfängt, stehen die
Gebirgsschützen Spalier. Verpflichtet auszurücken sind die Gebirgsschützen
aber nicht. „Wenn wir Zeit haben“, sagt Steininger und lacht dabei so
spitzbübisch, dass es ihn schüttelt. Traditionspflege und Loyalität zur
Staatsregierung sind für ihn und seine Männer Ehrensache und nichts, wozu
man sie verdonnern kann.
Über die Abspaltung Bayerns hat Steininger durchaus schon mal nachgedacht.
Eine abschließende Lösung hat er dafür nicht. „Das wäre eine ketzerische
Idee“, sagt er und rückt auf der hölzernen Wirtshausbank konspirativ näher.
„Das ist wie mit dem König: Brauchen tut man ihn nicht mehr, aber schön
wär’s schon.“
## Von Scharnagl profitiert
Es sind Menschen wie Karl Steininger, auf die Florian Weber zählt. Der
kahlköpfige Mann im beigen Trachtenjanker ist Landesvorsitzender der
Bayernpartei – der einzigen Partei, die die Eigenstaatlichkeit des
Freistaates tatsächlich fordert. Knapp 6.000 Mitglieder führt die
Regionalpartei in ihrer Kartei. Bei der letzten Landtagswahl kam sie auf
1,1 Prozent. Derzeit sammeln sie Unterschriften, um bei der Landtagswahl im
Herbst antreten zu dürfen. Weber gibt sich optimistisch: „Im Jahr 2012
konnten wir eine Mitgliedersteigerung von 35 Prozent verzeichnen“, sagt er,
wohl wissend, dass ihm dieser Erfolg nicht gebührt. „Herrn Scharnagls Buch
hat unser Thema in die Öffentlichkeit gebracht.“ Doch dessen Forderungen
gehen ihm nicht weit genug.
Weber sucht seine Vorbilder lieber außerhalb Bayerns, bei den
separatistisch gesinnten Flamen, Schotten und Basken. Von der
Eigenstaatlichkeit Bayerns verspricht er sich in erster Linie einen
Zugewinn an Demokratie. „Ich weiß, dass das für viele Menschen sonderbar
klingt“, sagt er. „Aber wenn man die Idee mal durchdenkt, dann steckt viel
Wahrheit darin.“ Je kleiner die politische Einheit, umso näher seien die
Menschen an den politischen Entscheidungen.
Anders als Steininger hat Weber einen Plan, wie die Eigenstaatlichkeit
Bayerns gehen könnte. Dazu müsste seine Partei allerdings in der
Staatsregierung sein. „Dann würden wir eine Volksabstimmung initiieren, bei
der die Menschen über die Loslösung Bayerns abstimmen könnten.“ Doch dafür
fehlen Weber die Mehrheiten.
In der sogenannten Bayernstudie hat die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung 2011
ermittelt, dass 20 Prozent der Bayern für ein eigenstaatliches Bayern sind.
21 Prozent können sich ein eigenes Bayern vorstellen. Knapp 60 Prozent sind
also ganz eindeutig für einen Verbleib Bayerns bei Deutschland. Das weiß
auch Florian Weber. „Gegen eines bin ich natürlich machtlos“, sagt er und
lächelt dabei sehr gütig. „Wenn jemand sagt, ich fühle mich als Deutscher,
kann ich nichts machen.“
31 Mar 2013
## AUTOREN
Marlene Halser
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