# taz.de -- Schwarze Unirektorin in Südafrika: Eine Universität für alle | |
> Selbst 25 Jahre nach dem Ende der Apartheid haben in der Regel die Weißen | |
> die Macht – auch an den Hochschulen. Mamokgethi Phakeng ändert das. | |
Bild: Mamokgethi Phakeng sitzt im Hörsaal zwischen den Stühlen | |
KAPSTADT taz | An einem Samstag steht Mamokgethi Phakeng in einem Hörsaal | |
und holt kurz Luft. Sie umfasst ihr Mikrofon fester. Rund 20 Minuten hat | |
sie schon geredet. Im Publikum sind Schülerinnen und Schüler, die aus dem | |
ganzen Land angereist sind, um sich den Campus der University of Capetown | |
(UCT) anzuschauen, um mit Dozenten zu sprechen, aber auch, um sie | |
kennenzulernen: | |
Mamokgethi Phakeng, 52 Jahre alt, eine zierliche Frau mit kurzen Haaren, in | |
einem Township im Norden von Pretoria geboren und [1][nun Rektorin der | |
Universität]. Vize-Kanzlerin genauer gesagt, denn so lautet der | |
entsprechende Titel im englischen Sprachraum. Entscheidend aber: eine | |
Schwarze an der Spitze der prestigeträchtigsten Uni Südafrikas. | |
Phakeng trägt eine weiße Bluse, schwarze Jeans, schwarze Chucks. Die | |
schwarze Fliege hat sie heute Morgen noch aus dem Schrank ihres Manns | |
geklaut, wird sie später erzählen. Ihr Outfit ist elegant, gleichzeitig | |
cool. | |
„Wir möchten eine Universität für alle sein“, sagt sie. Das Publikum jub… | |
und klatscht. Habt ihr noch Fragen? Sie lässt ihren Blick durch den Hörsaal | |
schweifen. Manche der Schüler haben keinen Platz mehr gefunden und stehen, | |
ein paar sitzen auf den Stufen des Auditoriums. Für viele von ihnen ist die | |
UCT ein großer Traum. Im letzten Jahr landete die Hochschule bei einem | |
Ranking, das 1.000 Universitäten weltweit verglich, auf Platz 156 – vor | |
allen anderen Universitäten auf dem afrikanischen Kontinent. | |
## Chefin der Veränderung | |
In einem Land, in dem die Hälfte der Menschen von weniger als fünf Dollar | |
am Tag leben, ist ein Besuch der renommiertesten Universität noch immer der | |
sicherste Weg aus der Armut. | |
„Was sagen Sie dazu, dass die Universität den Ruf hat, Schwarze zu | |
diskriminieren?“, will ein Schüler wissen. „Transformation hat für uns | |
oberste Priorität, an der UCT ist jeder willkommen, unabhängig von seiner | |
Hautfarbe oder Herkunft“, sagt Phakeng. Sie blickt dem Schüler fest in die | |
Augen: „Und es ist auch meine Aufgabe, diese Transformation weiter | |
voranzutreiben.“ | |
Die Frage habe sie nicht überrascht, sagt sie später, als sie auf dem Weg | |
zu ihrem Auto ist. Es gibt wahrscheinlich wenige Themen, die die UCT, aber | |
auch das ganze Land so umtreiben. „Das ungleichste Land der Welt“, titelte | |
das Times Magazin in seiner Mai-Ausgabe. | |
Das Ende der Apartheid und die ersten demokratischen Wahlen sind nun 25 | |
Jahre her – und dennoch hat sich in dem Land, in dem Nelson Mandela einst | |
die Vision einer Regenbogennation entwarf, eines nicht geändert: Wer arm | |
ist oder reich, entscheidet sehr oft die Hautfarbe. Die Weltbank schätzt, | |
dass den reichsten 10 Prozent etwa 70 Prozent des Vermögens gehören. Und | |
die meisten dieser Reichen sind weiß. | |
## Die Codes der Weißen | |
Mamokgethi Phakeng hat Mathematik in Johannesburg studiert. Sie liebt | |
Zahlen, das Logische. Sie ist eine der ersten schwarzen Frauen in Südafrika | |
[2][mit einem Doktortitel] in diesem Fach. | |
Seit fast einem Jahr steht sie nun an der Spitze einer Universität, deren | |
Kultur sie ändern soll. Aber wie kann man strukturellen Rassismus in einer | |
Institution bekämpfen, deren Geschichte und bisheriger Erfolg auf genau | |
diesem Rassismus basiert? Ein Problem, das die Hochschulen in Südafrika mit | |
den Chefetagen der großen Konzerne teilen: Auch dort sitzen immer noch | |
meistens Weiße in den schönsten Büros, verdienen das meiste Geld. Es gelten | |
ihre Gesetze, ihre Codes, ihre Sprache. | |
„Ich folge Ihnen auf Twitter, darf ich ein Foto von Ihnen machen?“ Eine | |
Schülerin tippt Mamokgethi Phakeng auf die Schulter. Die Vorlesung ist | |
vorbei, Phakeng legt den Arm um das Mädchen und strahlt in die Kamera. | |
Die Schülerin ist mit einer Freundin aus Johannesburg nach Kapstadt | |
gereist, 16 Stunden mit dem Bus, um an die UCT zu gelangen. Immer mehr | |
Zuhörer drängen sich nun nach vorn, stellen sich neben Phakeng und strecken | |
den Arm hoch für ein Foto mit dem Smartphone. Phakeng macht geduldig | |
Selfies, schüttelt Hände, beantwortet Fragen. | |
## #inclusive auf Instagram | |
Sie selbst macht auch Selfies und lädt sie später bei Instagram hoch. | |
[3][Ihr Twitteraccount] hat mehr als 100.000 Follower, bei Instagram folgen | |
ihr knapp 28.000 Leute. Sie dokumentiert ihr Leben: Fotos von ihren | |
Turnschuhen vor dem Laufen, sie auf einer Alumni-Veranstaltung, die | |
Feierlichkeiten in ihrem Township. Oder ihre zehn Weisheiten aus dem Jahr | |
2018. | |
Da schreibt sie zum Beispiel: „Punkt eins: Es liegt eine Stärke darin, | |
außerhalb des Establishments zu sein oder jemanden zu verkörpern, der als | |
naiv oder neu in dem Spiel der Kulturen ist – so kann man das Spiel nach | |
seinen eigenen Regeln spielen, nicht so, wie es, historisch gesehen, immer | |
gespielt wurde.“ | |
„Punkt acht: Urteile niemals über Menschen auf Grundlage ihrer Herkunft. | |
Nicht alle Weißen sind gegen dich als eine schwarze Akademikerin. Und | |
Überraschung, Überraschung, nicht alle Schwarzen sind für dich. Was ich | |
sicher weiß: Beurteile die Menschen lieber auf Grundlage ihrer Werte.“ | |
Es ist Marketing in eigener Sache: Sie hat es geschafft, als Schwarze und | |
Frau, das möchte sie mit jedem Post zeigen. Phakeng hat keine der teuren | |
privaten Eliteschulen besucht, in ihrer ersten Schule fand der Unterricht | |
unter einem Baum statt – und doch ist sie jetzt hier, an Afrikas bester | |
Universität, die mit ihr nun eine Universität für alle Südafrikaner werden | |
soll: #inclusive ist ein Hashtag, den sie besonders oft benutzt. | |
## Die Bildungskrise überfordert | |
Gerade bei der Bildung wirken die Folgen der Apartheid nach. Wer keine | |
renommierte Universität besucht, wem die nötigen Punkte in den | |
Abschlussklausuren fehlen, für den wird es viel schwieriger, nach der | |
Schule einen Job zu finden. Während 50 Prozent der Weißen eine Hochschule | |
besuchen, sind es bei schwarzen Schulabgängern gerade mal 17 Prozent eines | |
Jahrgangs. | |
Schuld ist auch das öffentliche Schulsystem, es gehört zu den schlechtesten | |
der Welt. Eine Studie aus dem Jahr 2016 offenbarte, dass 78 Prozent der | |
Grundschüler in Südafrika in der vierten Klasse immer noch nicht richtig | |
lesen können. | |
Die Regierung ist überfordert mit der Bildungskrise, an den öffentlichen | |
Schulen fehlen gut ausgebildete Lehrer. Wer, wie viele Schwarze, kein Geld | |
für eine Privatschule hat, für den stehen die Chancen auf ein Studium | |
deutlich schlechter. | |
„Die Kultur der UCT schloss Schwarze lange Zeit aus“, sagt Mamokgethi | |
Phakeng. An diesem Morgen sitzt sie in ihrem geräumigen Büro und scrollt | |
sich unentschlossen durch die Frühstücksangebote einer Fastfoodkette. Wenn | |
sie aus dem Fenster schaut, über den Parkplatz hinweg, sieht sie viel Grün: | |
hohe Bäume und mit Efeu bewachsene Gebäude, die Universität wurde bereits | |
1829 gegründet, ist eine der ältesten Afrikas. | |
## Neue Willkommenskultur | |
An der UCT lehren nur 48 schwarze südafrikanische Professoren von insgesamt | |
241. In manchen Fachbereich arbeitet kaum ein Schwarzer. „Du änderst etwas, | |
indem du anders bist“, sagt Phakeng. Das Einstellen von schwarzen | |
Professoren und Dozenten, das Anwerben von schwarzen Studierenden sei das | |
eine, aber viel wichtiger sei es, das Gefühl zu ändern, das viele Schwarze | |
haben: hier auf dem Campus nicht willkommen zu sein. | |
Dass es an der UCT auch für Phakeng nicht einfach werden würde, spürte sie | |
schnell, „besonders der Beginn war hart“, sagt sie. Im Sommer 2016 | |
wechselte sie hierher, davor war sie Vizepräsidentin für Forschung und | |
Innovation an der Universität in Pretoria. „Ich hatte nicht den Eindruck, | |
dass man mich hier wollte“, sagt sie. Niemand habe sie in ihrem Büro | |
besucht oder zum Mittagessen eingeladen. | |
Es waren schwierige Zeiten für die Hochschule: 2015 brachen an der UCT und | |
[4][im ganzen Land Studierendenunruhen] aus. Die zum großen Teil schwarzen | |
Studierenden forderten die Abschaffung der Studiengebühren und die | |
Dekolonisierung der Bildung. Immer wieder eskalierte auf dem Campus die | |
Gewalt zwischen Studierenden und Sicherheitsmännern. Als der damalige | |
Präsident Jacob Zuma die Deckelung der Studiengebühren zusicherte, | |
beruhigte sich die Situation. | |
Im Herbst 2017 dann, eine Woche bevor die Stelle der Rektorin | |
ausgeschrieben wurde, rief der damalige Rektor der UCT Phakeng zu sich: Wir | |
müssen reden, sagte er. Es kursiere eine E-Mail, die suggeriere, dass | |
Phakengs Doktorarbeit gefälscht sei. Sie war geschockt, aber auch wütend. | |
Als sie das erzählt, deutet sie auf ein gerahmtes Bild an der Wand, ihre | |
Promotionsurkunde. | |
## Zu gute Chancen | |
Phakeng ließ sich die E-Mail schicken, die an mehr als 40 | |
Universitätsmitglieder ging, an Vertreter des Managements, Professoren und | |
Dozenten. Die Absender: ein Sponsor der Universität und ein ehemaliger | |
Professor, beide weiß. Erst als eine Woche später die Ausschreibung für die | |
Position der Rektorin veröffentlicht wurde, verstand sie, warum diese | |
E-Mail verfasst worden war: Sie hatte gute Chancen auf den Posten. | |
„Sie hatten Angst, dass eine Schwarze und noch dazu eine Frau die | |
wichtigste Universität in Südafrika führen würde.“ Erst ein offizielles | |
Statement des damaligen Rektors beendete das Gerücht. | |
Und dennoch: Bis heute ist sie manchmal in Meetings die einzige Schwarze am | |
Tisch. | |
## Der lange Kampf | |
Im unteren Stockwerk der mathematischen Fakultät in einem kleinen, | |
schmucklosen Raum sitzt Tiri Chinyoka, er ist Vorsitzender des Black | |
Academics Caucus – einer Interessenvertretung der schwarzen Akademiker an | |
der UCT. Es ist Samstagnachmittag, am Morgen ist er noch die | |
Seminarunterlagen der vergangenen Woche durchgegangen, nun ist er | |
erschöpft. | |
Chinyoka ist seit 2012 Mathematikdozent an der UCT und erlebt seitdem, wie | |
die Universität mit der Transformation ringt. „Eine einzelne Person wie | |
Phakeng kann die Universität nicht ändern“, sagt er. | |
2014 gründeten Chinyoka und seine schwarzen Kollegen die Vereinigung. Sie | |
merkten, dass sie sich zusammenschließen müssen, damit ihre Stimmen gehört | |
werden. Für Chinyoka ist der Kampf noch lange nicht vorbei: „Noch immer | |
wird an der UCT ein Großteil der wichtigen Entscheidungen von Weißen | |
gefällt – trotz einer Schwarzen an der Spitze.“ Für ihn geht die | |
Transformation viel zu langsam: „Der Wille bei denen, die Macht haben, | |
fehlt“, sagt er. | |
Er wird wütend, wenn er erzählt, mit welchen Sorgen schwarze Studierende zu | |
ihm ins Büro kommen, die offensichtlich oder subtil diskriminiert und | |
ausgeschlossen werden: Studierende, die in Gruppenarbeiten bei gleicher | |
Arbeit schlechtere Noten bekommen als ihre weißen Kommilitonen, denen ins | |
Gesicht gesagt wird, dass sie nie einen Abschluss bekommen werden. | |
Dann gibt es Studierende, die ihr bisheriges Leben in Wellblechhüten | |
verbracht haben, die noch nie eine Theateraufführung oder eine Oper besucht | |
haben und nun in Architekturkursen Strand- und Opernhäuser entwerfen | |
müssen. Das ganze Studium, die Stundenpläne und Inhalte seien für Weiße | |
gemacht, mit der Lebenswelt vieler Schwarzen haben sie nicht viel zu tun, | |
sagt er. | |
## Der Vorwurf der „Kokosnuss“ | |
Ein Mitarbeiter der Universität habe neulich mitteilen lassen, er könne | |
sich nicht mit Chinyoka in einem Raum aufhalten, seine Hautfarbe sei ein | |
Problem, erzählt er weiter. Er habe Phakeng den Vorfall gemeldet. Bis heute | |
aber arbeitet der Kollege an der Universität, passiert sei nichts. | |
Chinyoka ist enttäuscht: „Sie passt sich zu sehr an die weiße Kultur an.“ | |
Es sei immer das Gleiche, wenn Schwarze in Machtpositionen gelangten. Die | |
Hoffnung sei groß, aber am Ende würde nicht viel passieren. „Kokosnuss“ i… | |
die abwertende Bezeichnung, die man in Südafrika für solche Menschen | |
benutzt, außen schwarz, innen weiß. | |
„Transformation braucht Zeit“, sagt Loretta Feris. Feris, schwarze kurze | |
Haare, 52 Jahre, ist an diesem Morgen auf dem Sprung, ihr Büro liegt ein | |
Stockwerk über dem von Phakeng. Feris ist stellvertretende Vizekanzlerin | |
für Transformation an der UCT, wenn man so will, der ausführende Arm von | |
Phakeng. | |
Gleich trifft sie sich mit privaten Wohnheimanbietern, sie hofft, dass sie | |
ihr ein gutes Angebot machen können. Auf dem Campus gibt es lange nicht | |
genug Plätze, gerade für Schwarze, die sich keine Wohnung leisten können, | |
ist das ein großes Problem. | |
## Symbol gegen diffuse Angst | |
Als Feris vor zehn Jahren als Jura-Professorin an der UCT anfing, sah sie | |
so gut wie nie schwarze Studierende auf dem Campus. Ein paar saßen | |
vereinzelt in ihren Vorlesungen, blieben aber die Ausnahme. Seitdem sei | |
viel passiert, sagt sie. Heute seien immerhin 50 Prozent der Studierenden | |
schwarz, auch wenn das noch lange nicht die gesellschaftliche Verteilung | |
widerspiegelt. | |
Dass sie eine schwarze Rektorin haben, ist für Feris viel mehr als ein | |
Symbol: „Schwarze, aber auch weiße Studierende und Lehrende erleben, dass | |
gute Führung nichts mit der Hautfarbe oder dem Geschlecht zu tun hat, | |
sondern mit Fähigkeiten.“ Phakeng beweise jeden Tag, dass die diffuse Angst | |
vieler weißer Professoren, dass eine Transformation auf Kosten der Qualität | |
der Hochschulen gehe, unbegründet sei. | |
Die Verbesserung der Wohnheimsituation, die Änderung der Lehrpläne, auf | |
denen Kant, Hegel und Goethe stehen und keine afrikanischen Philosophen, | |
und die gezielte Rekrutierung von schwarzen Professoren und Dozenten – | |
Feris zählt die Themen auf, an denen sie gerade arbeitet. Letztes Jahr hat | |
sie ein Essenprogramm ins Leben gerufen, das jeden Mittag mehr als 600 | |
Studierende mit Broten versorgt. | |
40 Prozent der 15- bis 24-Jährigen in Südafrika wachsen in einem Haushalt | |
auf, in dem keiner der beiden Elternteile arbeitet – ein sehr großer Teil | |
davon ist schwarz. Manche Studierende schicken einen großen Teil des | |
Stipendien-Geldes nach Hause, weil die Eltern kaum Geld für | |
Grundnahrungsmittel haben. Die Abbrecherquote unter Schwarzen ist doppelt | |
so hoch wie unter Weißen. | |
## „Born free“ und trotzdem in Gefahr | |
Hinzu kommt ein enormer Druck: Wer an der UCT scheitert, hat oft das | |
Gefühl, seine ganze Familie zu verraten. Sechs Studierende begingen | |
zwischen 2014 und 2017 Selbstmord. Phakeng ließ die Fälle untersuchen: Alle | |
sechs waren schwarz. | |
„Wie geht’s euch?“, fragt Phakeng eine Handvoll Studierende an diesem Abe… | |
in der Eingangshalle von Woolsack, einem Studierendenwohnheim auf dem | |
Universitätsgelände. Es ist der Wahlabend. Die Studierenden strecken | |
Phakeng ihre Zeigefinger entgegen, der dunkle Punkt auf dem Nagel beweist: | |
Sie waren gerade wählen, einige zum ersten Mal. Sie gehören zu der | |
Generation, die als „born free“ beschrieben wird – das Leben derer, die | |
nach 1994 geboren wurden, sollte nicht durch ihre Hautfarbe bestimmt sein, | |
in der Theorie jedenfalls. | |
„Wir brauchen nachts einen Jamie“, sagt ein Student, „wie sollen wir bei | |
Dunkelheit von der Bibliothek nach Hause kommen?“ Jamie, so heißt der blaue | |
Bus, der die Studierenden über den weitläufigen Campus transportiert. „Das | |
ist echt ein Sicherheitsproblem, wir können nicht laufen“, sagt er. Phakeng | |
tippt sich eine Notiz in ihr Handy. „Ich kümmere mich drum.“ | |
Eine Studentin erzählt, dass ihr von einem Mitarbeiter im Wohnheim verboten | |
wurde, Xhosa zu sprechen, eine Sprache, die in Südafrika neun Millionen | |
Menschen sprechen. „Wir sind doch nicht in England“, kommentiert Phakeng. | |
Die UCT soll eine afrikanische Universität werden, auf deren Campus man | |
alle Sprachen des Landes hört, nicht nur, wie in Apartheidzeiten, Englisch. | |
„Ich spreche auch meine afrikanische Muttersprache, dann können sie mich | |
gleich feuern. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es da ein Gesetz gibt“, | |
sagt Phakeng. | |
Seit sie Rektorin ist, hat Phakeng sich angewöhnt, ab und an bei den | |
Studierenden vorbeizuschauen, ohne sich anzukündigen. „Ich liebe junge | |
Leute, mit ihrer Energie geben sie mir Kraft, selbst in ihrer Wut.“ | |
## Zwischen den Stühlen | |
Es ist dunkel geworden und Phakeng lenkt ihren Mercedes durch die kurvigen | |
Straßen, die den Campus überziehen. Auf dem unteren Teil des Geländes wohnt | |
sie mit ihrem Mann und zwei ihrer Söhne. Aber bevor sie nach Hause kann, | |
hat sie noch einen Termin. | |
„Die schwarzen Studierenden haben hohe Erwartungen und denken, ich stünde | |
jetzt auf der Seite des weißen Managements. Das Management sieht mich | |
wiederum als Verbündete der Studierenden“, sagt Phakeng. Manchmal habe sie | |
das Gefühl, es keinem recht machen zu können. | |
Sie läuft über das Universitätsgelände, ihre Absätze klackern auf dem | |
Asphalt. Dann deutet sie auf die efeubewachsenen Gebäude, das riesige | |
Rugby-Feld. „Es ist schön, oder?“, sagt sie. | |
Drei Männer in schwarz-roten Talaren warten vor dem Hörsaal auf sie. Sie | |
umarmt sie der Reihe nach. Ein Fotograf macht Fotos, Phakeng macht ein | |
Selfie. Einer der drei Männer wird heute ihr neuer Kollege: Shadreck | |
Chirikure hält gleich seine Antrittsvorlesung in afrikanischer Archäologie. | |
Im Hörsaal trtt Phakeng zuerst ans Rednerpult. Früher wurde verneint, dass | |
es überhaupt eine afrikanische Geschichtsschreibung gebe, afrikanische | |
Geschichte sei ein schwarzes Loch gewesen, sagt sie. „In Zeiten, in denen | |
wir auch über die Dekolonisierung des Curriculum diskutieren, ist Shadreck | |
Chirikure mehr als willkommen.“ Das Publikum klopft auf die Bänke. | |
„Ganz Afrika ist hier“, twittert sie später und postet ein Foto von sich, | |
umringt von ihren drei Kollegen. Alle sind schwarz. | |
27 Aug 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.uct.ac.za/main/about/management/vice-chancellor | |
[2] https://www.news.uct.ac.za/article/-2019-07-23-hon-doc-for-maths-trailblaze… | |
[3] https://twitter.com/fabacademic?lang=de | |
[4] /Studentenprotest-in-Suedafrika/!5344471 | |
## AUTOREN | |
Linda Tutmann | |
## TAGS | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Südafrika | |
Bildung | |
Apartheid | |
Gleichberechtigung | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Südafrika | |
Kolonialismus | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Afrika | |
Südafrika | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Südafrikas Ex-Präsident verurteilt: Jacob Zuma muss ins Gefängnis | |
Jacob Zuma, Ex-Chef der Befreiungsbewegung ANC, schaffte es, das Image | |
Südafrikas umzudrehen. Sein Name steht für Machtmissbrauch und Korruption. | |
Professur für Geschichte der Sklaverei: Unerzählte Geschichten erzählen | |
Olivette Otele wird Professorin für Geschichte der Sklaverei. Für die erste | |
Schwarze Geschichtsprofessorin Großbritanniens gibt es viel zu tun. | |
Ausländerfeindliche Morde in Südafrika: Afrika empört über Pogrome | |
Schon 12 Menschen wurden durch ausländerfeindliche Gewalttaten in Südafrika | |
getötet. Nigeria will deswegen seine Landsleute evakuieren. | |
Nach Ausschreitungen in Südafrika: Nigeria protestiert gegen Gewalt | |
In Südafrika gibt es eine Welle von Übergriffen gegen Ausländer. In | |
Nigeria, von wo viele der Angegriffenen stammen, sorgt das nun für Aufruhr. | |
Morde in Südafrika: Der Mythos des „White Genocide“ | |
Wie aus Morden an weißen Farmern in Südafrika der globale rechtsextreme | |
Mythos entstanden ist, der „weißen Rasse“ gehe es an den Kragen. | |
Autorin über afrikanische Literatur: „Die meisten Leser sind in Schulen“ | |
In Afrika gelten Bücher als etwas Fremdes, Importiertes, sagt Hilda | |
Twongyeirwe. Mit dem Verband für Autorinnen will sie das zu ändern. | |
Studentenprotest in Südafrika: Straßenschlacht statt Seminar | |
Unruhen an den Universitäten weiten sich aus. Die Regierung will die | |
Studiengebühren erhöhen. Studenten fordern ihre Abschaffung. |