# taz.de -- Morde in Südafrika: Der Mythos des „White Genocide“ | |
> Wie aus Morden an weißen Farmern in Südafrika der globale rechtsextreme | |
> Mythos entstanden ist, der „weißen Rasse“ gehe es an den Kragen. | |
Bild: Denkmal für ermordete weiße Farmer in Ysterberg, Südafrika | |
Johannesburg/Pretoria/Vanstadensrus taz | Orangen könnten das mal gewesen | |
sein. Vielleicht auch Zitronen. Es ist nicht mehr genau zu erkennen, was | |
die Früchte in der Schale auf der staubigen Anrichte einmal waren. Seine | |
Stiefmutter wird sie in die Schale gelegt haben, sagt Thabo Bruwer. | |
Vielleicht an jenem Montag. Bruwer steht im Wohnzimmer eines Bungalows, in | |
dem seit dem 25. Juni 2018 niemand mehr lebt. An diesem Tag wurden Bruwers | |
Stiefmutter und sein Vater ermordet. | |
Zwei Männer aus dem 30 Kilometer entfernten Nachbarort sollen die | |
68-jährige Marian Bruwer mit einem Kopfschuss getötet haben. Bevor sie | |
starb, hatte man ihr ins Bein geschossen. „Die Männer wollten, dass sie | |
ihnen die PIN für die Kreditkarte verrät“, sagt der Stiefsohn und beruft | |
sich auf die Ermittlungen der Polizei. Choppie Bruwer, der Ehemann, muss | |
bei alldem zugesehen haben, so die Rekonstruktion der Ermittler. Die Täter | |
hatten den 78-jährigen Farmer im Schlafzimmer an einen Stuhl gefesselt, | |
seiner Frau gegenüber. Nur wenig später starb auch er, ebenfalls durch | |
einen Kopfschuss aus nächster Nähe. | |
Laut der offiziellen Polizeistatistik wurden zwischen Frühjahr 2017 und | |
2018 in Südafrika 20.336 Menschen ermordet. Das sind knapp 36 Morde pro | |
100.000 Einwohner im Jahr. In Deutschland liegt die Rate bei 1,18. | |
Marian und Choppie Bruwer sind zwei von 20.336 Toten. Dass über ihre | |
Ermordung auf einer kleinen Farm in der Provinz Freestate mehr gesprochen | |
und berichtet wird als über die meisten anderen Fälle, hat Gründe, die für | |
diese Geschichte von entscheidender Bedeutung sind: Marian und Choppie | |
Bruwer sind weiß, sie gehören der Minderheit der Buren an, Nachkommen der | |
hauptsächlich niederländischen Kolonisten. Die beiden mutmaßlichen Täter | |
sind dagegen schwarz. | |
In Südafrika gibt es seit einiger Zeit eine Diskussion darüber, welche | |
Bevölkerungsgruppen besonders gefährdet sind – initiiert und am Laufen | |
gehalten von konservativen bis rechtsradikalen weißen Gruppierungen. | |
Genährt wird diese Erzählung von den „Farmmorden“, jenen Verbrechen, zu | |
denen auch das an Marian und Choppie Bruwer zählen. Viele dieser Taten | |
weisen ein ähnliches Schema auf. Die Farmen, auf denen die Taten geschehen, | |
liegen meist einsam in diesem weiten Land, das in großen Teilen aus | |
hügeligen Halbwüsten besteht. Oft ist das nächste Haus viele Kilometer | |
entfernt. Die Täter müssen nicht befürchten, gestört zu werden. | |
## „Der große Austausch“ | |
Die Opfer sind Menschen, die Land besitzen. Ein mit historischer Bedeutung | |
aufgeladenes Gut, über das in Südafrika eine wütende Debatte entbrannt ist, | |
die sich um Gerechtigkeit, Kolonialismus und Reparationen dreht. Um | |
Forderungen, die innerhalb der weißen Bevölkerung Ängste schüren. Oft gibt | |
es im Tatablauf ein sadistisches Moment, eine Art Folter oder Qual. Auf | |
dieses Moment stützen sich Spekulationen über politische Motive der Täter, | |
Spekulationen, die immer wieder von rechts vorgebracht werden. | |
Dass auch schwarze Farmer unter den Opfern sind, wird oft verschwiegen. Wie | |
viele solche Morde es gibt, ist umstritten, weil unterschiedliche | |
Institutionen verschiedene Daten erheben. | |
Aber es gibt noch eine weitere, eine internationale Ebene: Morde wie an dem | |
Ehepaar Bruwer befeuern eine Erzählung, die Rechtsextreme weltweit teilen: | |
Der „weißen Rasse“ gehe es an den Kragen. Wenn man nicht bald etwas | |
unternehme, wenn man nicht selbst zum Kampf rüste, sterbe diese Gruppe | |
Menschen aus. Südafrika sei das Negativbeispiel, das zeige, was auch den | |
USA und Europa bevorstehe. | |
Seit der rechte französische Autor Renaud Camus die Idee des „White | |
Genocide“ 2011 in seinem Essay „Der Große Austausch“ aufgriff, bezieht s… | |
die völkisch-nationalistische Bewegung weltweit darauf, um Hass gegen | |
Migrant:innen und Muslime zu schüren. Auf Deutsch wird Camus’ Schrift | |
von Götz Kubitschek vertrieben, einem neurechten Netzwerker, in dessen | |
Akademien AfD-Leute wie Björn Höcke mit Aktivisten der Identitären Bewegung | |
zusammentreffen. Rechte Terroristen in der ganzen Welt begründen ihre | |
Anschläge mit dieser Verschwörungstheorie, Anders Breivik ebenso wie der | |
Attentäter von Christchurch. | |
Eine der Stimmen, die diese Erzählung von Südafrika aus über die ganze Welt | |
verbreiten, ist die von Simon Roche. Anfang März hatte er einen Auftritt | |
bei der US-Website „Infowars“, die rechtsextreme Verschwörungstheorien in | |
den USA zirkulieren lässt. Man kann den Auftritt auf [1][YouTube] ansehen. | |
Zwanzig Minuten lang darf Roche, Mediengesicht einer christlich-völkischen | |
Gruppierung namens „Suidlanders“, sprich „Seitlanders“, dort von | |
Stromausfällen in Südafrika, einer bevorstehenden Choleraepidemie, | |
bedrohlicher Zuwanderung und dem „Rassenkrieg“ schwadronieren, in den bald | |
alles unausweichlich münden werde. Südafrika sei der Kanarienvogel in der | |
Kohlemine, sagt Roche; ein Bild, das er gern bemüht: Der Kanarienvogel | |
warnt die Minenarbeiter, wenn der Sauerstoff knapp wird – er stirbt als | |
Erster. | |
## Spender aus dem Ausland? „Nice Try“ | |
„Was derzeit in Südafrika passiert, ist unsere Zukunft“, sagt der | |
Moderator, während Roche sein Horrorszenario heraufbeschwört. Während des | |
Interviews werden Bilder von brennenden Straßenbarrikaden eingeblendet, | |
dazu Schwarze, die Steine werfen. Der Moderator ruft mehrfach dazu auf, für | |
Roche und die Suidlanders zu spenden: „Denn diese Menschen in Südafrika | |
kämpfen um ihr Leben.“ | |
Einen Monat später wirkt Simon Roche entspannt und alles andere als | |
gefährdet. Der Mann mit dem zauseligen Bart beugt sich über eine | |
Straßenkarte Südafrikas, die auf der Motorhaube seines Pick-ups liegt. Mit | |
dem Zeigefinger fährt er nach, was im Fall eines „Rassenkriegs“ die | |
Außengrenze eines Gebietes sein soll, das seine Organisation beanspruchen | |
will. Gerade eben sei er von einer mehrwöchigen Tour zurückgekehrt, sagt | |
Roche. 6.000 Kilometer habe er dabei zurückgelegt und sich die | |
„Verteidigungszonen“ angesehen, über die seine Organisation angeblich | |
verfügt. | |
Im Norden fährt Roches Zeigefinger die Grenze zu Botswana entlang, folgt im | |
Südosten ein Stück dem Oranje-Fluss, zeigt auf die Orte Bethulie im | |
Südosten und Upington im Südwesten. Das Gebiet sei relativ unfruchtbar und | |
daher wenig besiedelt, erklärt Roche. Was er meint: Sollte es zum Tag X | |
kommen, müssen die Suidlanders dort nur wenige Unerwünschte, sprich | |
Schwarze, vertreiben. Und warum diese Größe? „Das entspricht etwas weniger | |
als einem Achtel Südafrikas, also dem weißen Bevölkerungsanteil.“ | |
Konkreter will Roche nicht werden. Andeutungen und Heimlichtuerei gehören | |
zum Geschäft des 48-Jährigen, der die Suidlanders als head of talking, wie | |
er sich selbst nennt, vertritt. | |
Gerade weil die Suidlanders in Südafrika als Organisation am äußersten | |
rechten Rand wenig Beachtung finden, suchen sie Aufmerksamkeit auf | |
internationaler Ebene. Unter anderem um Spenden zu akquirieren. Das gibt | |
Roche offen zu. Nur wie viel die Organisation damit einnimmt und wer zu den | |
Spendern aus dem Ausland gehört, will er nicht sagen. „Das glaube ich, dass | |
das eine Reporterin einer linken Zeitung gern wissen möchte“, sagt er und | |
lächelt. „Nice try.“ | |
## Inszenierte Wachsamkeit | |
[2][Medienberichten] zufolge waren in der Vergangenheit | |
US-Neonaziorganisationen unter den Spendern. Allein 40.000 Dollar sollen | |
die Suidlanders zudem über die mittlerweile gelöschte rechte | |
Crowdfundingplattform FreeStartr eingenommen haben. | |
45 Kilometer westlich von Johannesburg haben die Suidlanders an diesem Tag | |
Mitte April eine „Evakuierungsübung“ organisiert. Etwa siebzig Wagen, meist | |
Pick-ups und Kleinbusse, parken auf einem weitläufigen Grundstück. Es gibt | |
hier einen kleinen Weiher zum Angeln, eine Shooting Ranch und mehrere | |
Paintballanlagen. Viele Suidlanders sind mit ihren Familien angereist, | |
haben Zelte und Grillfleisch mitgebracht. | |
Normalerweise fielen die Treffen der Organisation kleiner aus, hatte Roche | |
im Vorfeld gesagt. Wenn die Presse anwesend sei – außer der taz ist noch | |
eine Dokumentarfilmerin gekommen –, wolle man sich aber bestmöglich | |
präsentieren. Was also im Folgenden beschrieben wird, ist Teil einer | |
Inszenierung, die aber Rückschlüsse auf das Selbstbild der Suidlanders | |
zulässt. | |
Für die Mitglieder war bereits die Anreise Teil der Übung. Sie mussten in | |
Konvois über vorgegebene Routen fahren – so wie es der Evakuierungsplan für | |
den Ernstfall vorsieht. Am Eingang zum Gelände kontrolliert ein Mann die | |
Ausweise und verteilt blaue Zettel mit Registrierungsnummern. Immer wieder | |
sprechen Menschen mit ernstem Gesicht in Walkie-Talkies. Auf dem Gelände | |
selbst haben die Suidlanders ein Feldlager improvisiert. Neben einem | |
„Kommunikationszelt“ ragt eine Antenne in den Himmel, das „Headquarter“ | |
wird von Sicherheitsleuten mit schwarzen Sonnenbrillen bewacht. | |
Die meisten Mitglieder haben sich mittlerweile auf einem Platz versammelt. | |
Die Sonne scheint, die Stimmung ist heiter. Einige Frauen haben Tische | |
aufgebaut und schnippeln Gemüse fürs Abendessen. Plötzlich prescht ein | |
weißer Pick-up über die rote Sandpiste und hält auf die Menschen zu. Die | |
Gespräche verstummen. „Security!“, rufen sofort einige Männer. Abrupt kom… | |
der Wagen zum Stehen. Eine Tür schwingt auf, mit einem Schrei lässt sich | |
eine junge Frau neben dem Wagen zu Boden fallen. Schnell wird klar, dass es | |
sich um eine Übung handelt. Das Szenario hier: Ein verwundetes Mitglied | |
kommt am Tag der Evakuierung in einem der Suidlanders-Lager an. | |
„Sanitäter!“, rufen die Männer. Frauen und Männer kommen herbeigeeilt, | |
binden der Frau das Bein ab. Wenig später wird sie auf eine Trage gehoben | |
und auf der Ladefläche eines weiteren Pick-ups zu einem Sanitätszelt | |
abtransportiert. | |
## Gute Kontakte zur AfD | |
Roche, stets von zwei kläffenden Jack-Russell-Terriern umrundet, wird immer | |
wieder von Fans begrüßt. Viele wollen ihn persönlich für seine Arbeit | |
loben, mit ihm beten, ein Selfie machen. Um Aufmerksamkeit zu erregen, | |
betreibt Roche einen YouTube-Kanal für die Suidlanders. Um Spenden | |
einzutreiben, tourte er 2017 durch die USA. Dort traf er den ehemaligen | |
Ku-Klux-Klan-Chef David Duke und marschierte bei der rechtsextremen | |
Demonstration in Charlottesville mit, bei der eine Gegendemonstrantin | |
getötet wurde. Fotos zeigen Roche in der ersten Reihe der Demo. Wer die | |
Klientel ist, bei der die Botschaft der Suidlanders verfängt, weiß Roche | |
genau. | |
Das zeigen auch die Kontakte zu Rechten in Deutschland. Im Spätsommer 2018 | |
bekam er Besuch von dem AfD-Bundestagsabgeordneten Petr Bystron. Bystron | |
sitzt für die AfD im Auswärtigen Ausschuss und war auf einer vom Bundestag | |
finanzierten [3][Reise in Südafrika] mit dabei. Offenbar nutzte er die | |
Gelegenheit, bei Roche vorbeizuschauen. Roche lobt Bystron als „feinen | |
Gentleman mit ausgesprochen guten Manieren“. Am Lagerfeuer habe man | |
gesessen. Bei Karoo-Lamm und Rotwein sei daraus ein Treffen von Menschen | |
geworden, „die sich gut verstanden und viel Spaß zusammen hatten“. | |
Inhaltlich sei ihm die AfD zu zahm. „Typisch für konservative Parteien in | |
Europa und den USA, geimpft von linker politischer Korrektheit.“ | |
Wie viele Mitglieder die Suidlanders zählen, ist nicht bekannt. 150.000, | |
behauptet Roche. Eine offizielle Mitgliederliste führe die Organisation | |
nicht. „Im aktuellen Zeitgeist kommt es nicht gut an, bei einer rechten | |
Organisation im Verzeichnis zu stehen“, sagt er. „Das berücksichtigen wir.… | |
Eine Frau namens Henriett, die nur ihren Vornamen nennen möchte, erklärt | |
bei dem Campingtreffen die Struktur der Organisation. Die Mitglieder seien | |
dezentral in Nachbarschaftsgruppen organisiert, die sich untereinander | |
vernetzen und angehalten sind, regelmäßige Treffen zu organisieren. | |
Henriett, 50 Jahre, schwarzes T-Shirt, das lange Haar unter einer | |
Baseballkappe versteckt, steht einer Region vor und betreut 200 Familien, | |
wie sie sagt. Sie hilft dabei, die richtigen Vorräte anzulegen, zur | |
Vorbereitung auf den Tag X, an dem die Organisation entscheidet, dass ein | |
normales Leben für die Suidlanders in Südafrika zu gefährlich wird. Glaubt | |
man Simon Roche, steht dieser Tag unmittelbar bevor. | |
Vor einigen Wochen schon habe die Organisation Alarmstufe Orange | |
ausgerufen, die zweithöchste Stufe. „Wir befinden uns in einer riesigen | |
verdammten Krise größten Ausmaßes.“ Was er damit genau meine, könne er | |
nicht ausführen. Als Beweis für seine These zitiert er vor allem Julius | |
Malema, den Spitzenpolitiker der linkspopulistischen schwarzen Partei | |
Economic Freedom Fighters (EFF). Es ist ein Zitat aus dem Jahr 2016. Malema | |
sagte damals: „Sie [die Weißen; Anm. d. Red.] haben friedliche Afrikaner | |
vorgefunden. Sie haben sie getötet. Sie haben sie abgeschlachtet wie Tiere. | |
Wir rufen nicht dazu auf, Weiße abzuschlachten, zumindest im Moment nicht. | |
Wozu wir aufrufen ist die friedliche Besetzung des Landes, und dafür sind | |
wir niemandem eine Entschuldigung schuldig.“ | |
## 70 Prozent des Landes gehören den Weißen | |
Es ist dieses „zumindest im Moment nicht“, das Roche und andere als | |
Ankündigung eines Massakers an Weißen interpretieren. Dass Malema auch | |
versöhnliche Töne anschlägt, bleibt unerwähnt. Bei einer | |
Wahlkampfveranstaltung in Bloemfontain [4][sagte er kurz vor der Wahl am 8. | |
Mai]: „Die Weißen wissen, dass es nie zu einem Bürgerkrieg in Südafrika | |
kommen wird. Die Weißen wissen, dass wir sie niemals töten werden. Sie | |
haben einfach nur Angst vor dem, was das Wort ‚Gleichberechtigung‘ | |
bedeutet.“ Aber das sind Zitate, die den Suidlanders nicht dienlich sind. | |
Julius Malemas Partei ist vor allem im extrem benachteiligten Teil der | |
schwarzen Bevölkerung beliebt – unter anderem deshalb, weil er für eine | |
rigorose Umverteilung von Land plädiert. Bei den Parlamentswahlen am 8. Mai | |
errangen seine EFF knapp 11 Prozent der Stimmen und trieben damit die | |
Regierungspartei ANC von links in die Enge. So ist es maßgeblich Malemas | |
Partei zuzuschreiben, dass das vom ANC geführte Parlament im Februar 2018 | |
beschloss, die Verfassung und den Paragrafen 25, der das Eigentumsrecht | |
regelt, daraufhin zu prüfen, ob entschädigungslose Enteignungen im | |
öffentlichen Interesse erlaubt sind. | |
Knapp 14 Prozent aller Haushalte in Südafrika, die allermeisten schwarz, | |
lebten 2017 laut Statistik in informellen Siedlungen, die ohne Genehmigung | |
errichtet wurden – auf Land, das jemand anders gehört. 70 Prozent des | |
Landes in Privatbesitz gehören Weißen. | |
Bei der „Evakuierungsübung“ folgen Henriett und die restlichen Suidlanders | |
derweil einem Vortrag über Stevia-Pflanzen und den Nährstoffgehalt von | |
Wachteleiern. Für den Fall einer Evakuierung haben die Mitglieder geübt, im | |
Konvoi zu einem „Safe House“ der Organisation zu fahren. Henriett ist | |
diejenige, die dann dafür sorgen muss, dass niemand zurückbleibt, wie sie | |
sagt. | |
„Notfall-SMS landesweit“ und „Buren Notfall-Kanal“ heißen ihre Chatgru… | |
Die Nachrichten dort reichen von Bildern von demonstrierenden schwarzen | |
Menschen mit GPS-Koordinaten über Zitate von namentlich nicht genannten | |
schwarzen Politikern, die Reparationen fordern und damit drohen, alle | |
Weißen aus dem Land zu vertreiben. Es ist eine rechte Echokammer, in der | |
alles schlimmer erscheint, als es wirklich ist. | |
## Im Schlafzimmer wird ihm schwindlig | |
Zurück zu Thabo Bruwer, der bei einem „Farmmord“ Vater und Stiefmutter | |
verlor. Zusammengesackt sitzt er in der khakifarbenen Montur aus Hemd, | |
kurzer Hose und Sonnenhut, die viele weiße Farmer tragen, im Gartenstuhl | |
auf der Veranda seines leer stehenden Elternhauses. Er kann weder mit den | |
Suidlanders noch mit der Apokalypse, die sie beschwören, viel anfangen. | |
Eigentlich sei sein Vorname nicht Thabo, sagt Bruwer, sondern Gerhardes | |
Jakobus. Den Spitznamen hätten ihm die Jungs gegeben, mit denen er | |
aufgewachsen sei, die Söhne schwarzer Farmarbeiter. Thabo bedeute „Glück“ | |
auf Sesotho. | |
Rassismus sei hier nicht das Motiv gewesen, sagt Bruwer. Anderswo könne das | |
möglich sein, „Hier hatten sie es auf die Waffen abgesehen.“ Seine Vater | |
habe Rinder gezüchtet und Luzerne angebaut und an andere Bauern als | |
Viehfutter verkauft. „Deshalb hatte er immer Cash im Haus.“ Einer der | |
mutmaßlichen Täter habe die Farm gekannt, sagt Bruwer. „Der war mal einen | |
Tag bei uns als Arbeiter beschäftigt. Deshalb kenne ich ihn vom Sehen.“ | |
In dem dunklen Schlafzimmer, in dem die beiden Morde geschahen, will Bruwer | |
sich nicht lange aufhalten. „Da wird mir schwindelig“, sagt er und verlässt | |
den Raum schnell wieder. Sieben Gewehre und zwei Pistolen hatte sein Vater | |
im Safe gelagert. Mit einer der beiden Pistolen wurden das Ehepaar | |
exekutiert. Dann nahmen die Täter die Waffen mit, ebenso wie den silbernen | |
Chevrolet Spark, die Mobiltelefone und ein paar weitere Wertgegenstände. | |
Der Tipp zur Ergreifung der mutmaßlichen Täter kam von Leuten aus dem | |
Nachbarort, von Schwarzen. Wenig später wurden die beiden Beschuldigten | |
gefasst. Ein 19-jähriger vorbestrafter Mann hat die Beihilfe zur Tat | |
mittlerweile gestanden und wurde zu 20 Jahren Haft verurteilt. Der Zweite, | |
ein 27-jähriger Mann, bestreitet die Tat. Die Verhandlung steht noch aus. | |
## Wie ein Überfall abläuft | |
Offizielle Studien zu dem, was verurteilte Täter von „Farmmorden“ als | |
Motive für ihre Taten angeben, gibt es nicht. An der Universität in | |
Pretoria wird derzeit unter Inhaftierten erstmals eine solche Befragung | |
durchgeführt. Um belastbare Schlüsse zu ziehen, sei es aber noch zu früh, | |
sagt der Studienleiter gegenüber der taz.Für Johan Burger ist trotzdem | |
klar, worum es bei den „Farmmorden“ geht. Der 69-Jährige war 37 Jahre lang | |
Polizist und stand in seinen letzten fünf Dienstjahren einem Komitee für | |
ländliche Sicherheit vor. Mittlerweile ist Burger am Institute for Security | |
Studies angestellt. „Im Grunde sind Farmmorde Hauseinbrüche, die tödlich | |
enden“, sagt der hagere Mann in seinem winzigen Büro in Pretoria. Und | |
Einbrüche kommen häufig vor. Für den Zeitraum 2017/18 zählt die Statistik | |
625 pro Tag. Sicherheit ist ein riesiger Markt, die Sicherheitsindustrie | |
eine der weltweit größten. | |
Wer hier ein Einfamilienhaus besitzt, schützt es in der Regel mit einer | |
meterhohen Mauer und Metallstacheln oder Glassplittern. Auch einen | |
Panikknopf, um sofort die Polizei oder einen Sicherheitsdienst zu | |
alarmieren, haben die meisten Hauseigentümer:innen. | |
„Bei Hauseinbrüchen haben wir zwei Stufen der Gewalt festgestellt“, sagt | |
Burger. „In Phase eins dringen die Täter ins Haus ein. Mit Gewalt und Lärm | |
machen sie dabei den Bewohnern klar, dass sie von jetzt an die Kontrolle | |
haben. In Phase zwei geht es darum, Informationen zu bekommen: Wo sind die | |
Wertgegenstände? Oder: Wie lautet der Code für den Safe? Dabei gehen sie | |
oft extrem brutal vor.“ Im Falle von „Farmmorden“ sei für Phase zwei | |
schlicht sehr viel mehr Zeit, sagt Burger. „Je mehr Zeit sich die Täter | |
lassen können, desto bösartiger werden sie.“ | |
Dann komme bisweilen ein Element von Bestrafung oder Vergeltung hinzu. | |
Kochend heißes Wasser, ein Bügeleisen, Vergewaltigung. „Die Kontrolle geht | |
von der einen auf die andere Person über, vor allem dann, wenn die | |
Hauseigentümer weiß sind“, sagt Burger. „Und das ist genau der Punkt, von | |
dem nun manche behaupten, es gehe um Rassismus oder ein politisches Motiv.“ | |
Eine Organisation, die bei den Tätern und selbst bei der Regierung von | |
politischen Motiven ausgeht, nennt sich AfriForum, eine Art Lobbyverein für | |
weiße Afrikaner. Die NGO, die von sich behauptet, Afrikas größte | |
Bürgerrechtsorganisation zu sein, kämpft gegen das Vorhaben der Regierung, | |
Land ohne Entschädigung zu enteignen. Zwar ist das entsprechende Gesetz | |
noch nicht beschlossen. AfriForum bietet aber schon jetzt rechtliche | |
Beratung für Grundbesitzer an, deren Land besetzt wurde, stellt Anwälte und | |
übernimmt Gerichtskosten. | |
## Keine seriösen Zahlen | |
„Töte den Buren. Die Mitschuld der Regierung an Südafrikas brutalen | |
Farmmorden“ lautet der Titel eines Buchs, das AfriForums stellvertretender | |
Geschäftsführer Ernst Roets veröffentlicht hat und gern bewirbt – in | |
Südafrika selbst, aber auch in den USA. Zwei Wochen war Roets im April in | |
Washington und New York auf Tour, erzählt er am Telefon. „Wir wollten mit | |
so vielen Menschen über die Gewalt auf südafrikanischen Farmen sprechen, | |
wie möglich.“ Beim State Department habe er vorgesprochen, verschiedene | |
Senatoren und Thinktanks besucht. | |
Bereits 2018 trat Roets in den USA als Gast in der Sendung „Tonight“ bei | |
Fox News auf. Im August schaltete sich Trump mit einem Tweet in die | |
Diskussion ein, der den Mythos vom „White Genocide“ endgültig in den | |
Mainstream katapultierte. „Ich habe Staatssekretär Mike Pompeo gebeten, | |
sich die Beschlagnahmung von Land und Farmen in Südafrika und die Tötung | |
von Farmern im großen Maßstab genau anzusehen“, schrieb Trump damals. | |
Es gehe darum, Druck auf die südafrikanische Regierung auszuüben, sagt | |
Roets. „Wir haben die Erfahrung gemacht: Erst wenn sie vom Ausland | |
kritisiert werden, nehmen sie uns ernst.“ | |
AfriForum berechnet immer wieder eine sogenannte Farmmordrate. Eine Zahl, | |
die seriöse Fact-Checker mit den vorhandenen Daten schlicht nicht für | |
berechenbar halten. AfriForum sagt zwar, man sei sich der Ungenauigkeit | |
bewusst, macht es aber dennoch und heizt damit Gerüchte an, dass weiße | |
Farmer die gefährdetste Gruppe in Südafrika seien. | |
220.000 Mitglieder hat AfriForum nach eigenen Angaben. Der | |
durchschnittliche Mitgliedsbeitrag liege bei 85 südafrikanischen Rand, so | |
die Organisation. 18.700.000 Rand nimmt AfriForum so monatlich ein. Etwas | |
mehr als 1 Millionen Euro. Die vermeintliche Bürgerrechtsorganisation kann | |
sich so ein ansehnliches Konsortium leisten, zu dem eine | |
Filmproduktionsfirma ebenso gehört wie private Strafverfolger, die Fälle | |
aufgreifen, die von staatlichen Behörden abgewiesen wurden. | |
## Swaar Gevaar, jetzt mit Internet | |
Aktuell baut AfriForum eine private Sicherheitsfirma auf. Das Büro ist in | |
einem Vorort von Pretoria. Wer es betreten will, muss sich ausweisen. Ein | |
Wachmann notiert die Nummer des Ausweises. | |
Guido Urlings, ein junger Mann aus Holland, der als Manager of Crime | |
Intelligence für AfriForum arbeitet, führt in einen Kellerraum des | |
gesicherten Gebäudes. Dort sitzt in einem fensterlosen Raum ein Mann am | |
Notfalltelefon. Vor ihm vier Bildschirme, auf denen er eingehende | |
Informationen notiert und Kontakt zu Rettungsbehörden herstellen kann. | |
Mitglieder, die im Notfall AfriForum kontaktieren, landen hier. Der | |
Vorteil: Sie müssen sich nicht direkt an Polizei, Feuerwehr oder | |
Rettungsdienst wenden. „Viele können nicht so gut Englisch und sprechen nur | |
Afrikaans. Deshalb werden sie am Telefon oft nicht verstanden“, erklärt | |
Urlings. „Bei uns spricht jemand Afrikaans mit ihnen. Da fühlen sie sich | |
gleich besser aufgehoben.“ Die Kontakte zu den Rettungsbehörden seien gut, | |
führt er aus. Man kümmere sich darum, dass auch private Kliniken einen | |
Rettungswagen oder einen Helikopter schickten, sollte das nötig sein. Habe | |
ein Mitglied kein Geld, komme AfriForum zum Teil für die Kosten auf. Seit | |
Neuestem gebe es eine App mit einem Panikbutton, der sofort die GPS-Daten | |
des Standorts übermittelt, sagt Urling nicht ohne Stolz. 30.000 Mitglieder | |
hätten sich diese bereits installiert. | |
Der Subtext von alldem: Auf die Behörden der immer wieder der Korruption | |
überführten ANC-Regierung ist kein Verlass. Also organisiert man sich | |
selbst – und erhält so aufrecht, was mit dem Ende der Apartheid eigentlich | |
hätte vorbei sein sollen: dass die weiße Bevölkerung eine Extrabehandlung | |
erfährt. Die Erzählung von den bedrohten weißen Farmern ist also auch eine | |
Erzählung, die Angst schürt und AfriForum Mitglieder verschafft. | |
Nach AfriForum gefragt, lacht Chantalle Van Zyl, als hätte man ihr einen | |
geschmacklosen Witz erzählt. „Erst präsentieren sie dir eine Bedrohung, und | |
dann bieten sie dir eine Lösung an“, sagt sie. Als Treffpunkt hat die | |
33-Jährige eine Donutkette in einem Einkaufszentrum in Johannesburg | |
gewählt. Gemeinsam mit sechs anderen betreibt sie die Facebook-Seite | |
„Busting the Myth of White Genocide in SA“. Die mehr als 13.000 Follower | |
bekommen dort Memes auf Kosten der Rechten zu sehen und Posts, die | |
Verschwörungstheorien entlarven. | |
Wegen der hohen Kriminalitätsrate seien alle Menschen potenziell bedroht, | |
Opfer eines Verbrechens zu werden, sagt Van Zyl, die aus Angst vor Rechten | |
ihren richtigen Namen nicht nennen will. „De facto sind Weiße aber besser | |
geschützt, weil sie sich im Gegensatz zu vielen Schwarzen hohe Mauern, | |
Alarmsysteme und private Sicherheitsfirmen leisten können.“ | |
## Die Tatortreiniger | |
Was hinter alldem stecke, sei die Internalisierung der Schuld der Weißen. | |
„Wenn du in Südafrika weiß bist, dann hast du im Lotto gewonnen. Du wohnst | |
in einer guten Gegend, deine Kinder gehen auf gute Schulen, du bist | |
einigermaßen bis sehr wohlhabend. Aber tief in Unbewussten weißt du, dass | |
das nur deshalb so ist, weil deine Vorfahren hier einmarschiert sind, | |
anderen Menschen das Land weggenommen und sie dann jahrhundertelang | |
unterdrückt haben.“ Statt sich dieser Schuld zu stellen, würden viele Weiße | |
diese externalisieren. „Die Weißen wissen, dass ihr Besitz nicht rechtmäßig | |
erworben ist. Deshalb fürchten sie, dass sich Schwarze eines Tages | |
zurückholen, was eigentlich diesen gehört.“ | |
Neu sei an dieser Angst im Grunde nichts. Weiße Nationalisten schürten | |
bereits in den 1940ern die Angst vor einer swart gevaar, einer schwarzen | |
Gefahr. Der große Unterschied: Damals gab es noch kein Internet. | |
Thabo Brewer sind diese Debatten einerlei. Allerdings ist auch er Mitglied | |
bei AfriForum. Nach dem Mord an seiner Familie schickte die Lobbygruppe die | |
Tatortreiniger vorbei und half bei den Ermittlungen. Zurück ins Leben | |
bringt das Brewers Familie nicht. | |
„All die Jahre haben wir uns nicht geschützt“, sagt er, nie sei etwas | |
passiert. Erst vor wenigen Jahren hätten sein Vater und seine Stiefmutter | |
die Gitter an den Fenstern des Bungalows installiert. „Vermutlich hat das | |
erst zu diesem Überfall geführt“, sagt Brewer. „Denn das bedeutet ja, dass | |
es drinnen etwas zu holen gibt.“ Auch einen Panikbutton hätten die beiden | |
besessen, sagt Brewer und winkt ab: „Aber die lagen tagein, tagaus auf der | |
Fensterbank. Mit sich getragen haben sie die Dinger nie.“ | |
5 Jul 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=c4OcUBIsEg4 | |
[2] https://angrywhitemen.org/2018/04/22/suidlanders-spokesman-simon-roche-has-… | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=uhBS5Mn38jo | |
[4] https://www.youtube.com/watch?v=iavPTfnqivQ | |
## AUTOREN | |
Marlene Halser | |
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werden. Die Radikalisierung des Täters wurde von Mitschülern bemerkt. | |
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Der mutmaßliche Täter von El Paso stützt sich auf Schriften, die in der | |
Nazi-Szene verbreitet sind. Auch in Europa sind die Texte bekannt. | |
Ergebnisse der Wahlen in Südafrika: ANC gewinnt und verliert | |
Südafrikas Wähler strafen ihre Regierung ab, wollen aber keinen Wechsel. Am | |
linken und rechten Rand gewinnen dennoch Protestparteien hinzu. | |
Präsidentschaftswahl in Südafrika: Kampf der Farben | |
Am Mittwoch wählt Südafrika einen neuen Präsidenten. Vermutlich wird es der | |
alte sein: Cyril Ramaphosa. Doch dessen ANC ist angeschlagen. | |
Bodenreform in Südafrika: Ramaphosa sieht Land | |
Südafrikas ANC stimmt für die entschädigungslose Verstaatlichung von Land. | |
Zwei Drittel des nutzbaren Bodens gehören Weißen. |