# taz.de -- Schröder-Dokumentation im Ersten: Putins Kumpel teilt aus | |
> Eine Doku zu Gerhard Schröder arbeitet sich am Zynismus des Altkanzlers | |
> ab. Sogar der Filmemacher ist genervt, doch es gibt erhellende Momente. | |
Bild: Gerhard Schröder mit seiner Frau So-yeon Schröder-Kim | |
Kommenden Sonntag wird [1][Gerhard Schröder] 80 Jahre alt. In einem | |
ARD-Geburtstagsporträt haut der Charmebolzen einen Kracher nach dem anderen | |
raus. Bei der SPD-Bundestagsfraktion handle es sich um „armselige Leute“, | |
bei der grünen Außenministerin Baerbock sei „Professionalität | |
unterentwickelt“, SPD-Generalsekretär Kühnert sei schlicht „ein armer | |
Wicht“, und last, not least: „Freundschaft gibt es schon mit Wladimir | |
Putin.“ | |
Auch beim Verhältnis zu China wird Schröder deutlich: „Wir machen | |
Realpolitik statt Moralpolitik“, „wir sind auf Augenhöhe im Gespräch“, … | |
wolle weiter im Dialog bleiben. Pardon – da ist was durcheinander geraten: | |
Die Chinapassagen sind gar nicht von Schröder, sondern vom bayerischen | |
Ministerpräsidenten Söder [2][nach dessen jüngsten Peking-Businesstrip.] | |
Das könnte die Frage aufwerfen, was Altkanzler Schröders amoralisches | |
eigentlich vom realpolitischen Politverständnis des Kanzleraspiranten Söder | |
unterscheidet: Müssen wir Schröders Statement, er fühle sich „überhaupt | |
nicht isoliert“, vielleicht ernst nehmen? Und hätte es nicht Gegenstand | |
eines immerhin einstündigen Films über ihn sein können, herauszuarbeiten, | |
welchen Traditionslinien deutscher Ostpolitik er folgt, was seine | |
politische Agenda, ja vielleicht sogar die weltanschauliche Unterfütterung | |
seines Wirkens ist? | |
## Fragen ohne Saft | |
Lucas Stratmanns Film [3][„Außer Dienst? Die Gerhard Schröder Story“] | |
versucht erst gar nicht, auf diese Ebene zu kommen. Stratmann knetet mit | |
seinen menschelnden Fragen an Schröder herum wie an einem Knäckebrot, aus | |
dem kein Saft kommt. In einer der Interviewszenen ist erhellend zu sehen, | |
wie er von seinem Protagonisten und sich selbst so genervt ist, dass er die | |
immer gleichen zynisch-schmunzelnden Antworten gar nicht mehr abwarten will | |
und sein Blick unkonzentriert ins Weite abdriftet. Das ist einfach | |
handwerklich schlecht gemacht. Interviews sind nicht dazu da, die Antworten | |
zu bekommen, die man sich erhofft. | |
Dementsprechend hat der Film einen Grundfehler, einige Durchhänger und | |
wenige Momente. Zum Beispiel den mit „Malerfürst“ und Schröderfreund Mark… | |
Lüpertz bei der Einweihung des von ihm gemachten und von Schröder | |
geförderten „Reformationsfensters“ in der hannoverschen Marktkirche im | |
Oktober vergangenen Jahres: Lüpertz meint zunächst noch recht forsch zu dem | |
neben ihm in der Kirche sitzenden Schröder: „Wieso wollen eigentlich alle | |
was von dir wissen, ich hab doch das Fenster gemacht!?“ Um dann gleich | |
zweimal glauben nachreichen zu müssen: „Gerhard, das war ein Scherz jetzt!“ | |
Da hat jedenfalls jemand nicht nur den Politpensionär, sondern auch noch | |
den Machtmenschen Schröder kennengelernt, der über alle lachen kann – nur | |
nicht über sich selbst. | |
## Aufschlussreicher Horst-Mahler-Text | |
Was der Film zeigt, ist Schröders wohl nur tiefenpsychologisch zu | |
entschlüsselndes Bedürfnis, immer wieder zu betonen, es sei sein Leben, das | |
er lebe – als ob ihm das irgendwer abspenstig machen könne; und als ob das | |
ein Argument wäre, das seine Handlungen ethisch legitimierte. Politik als | |
Performance eben, als egozentrisches Projekt des etwas aus sich Machens. | |
Drei Tage nach der Bundestagswahl 1998 erschien in der Süddeutschen Zeitung | |
ein Artikel eines seit den späten 1970er Jahren [4][guten Bekannten des | |
kommenden Kanzlers], der diesen Aspekt, aber auch eben grundsätzliche | |
Leitlinien schröderschen Agierens herauszuarbeiten suchte: Schröders | |
„Entschluß, Kanzler zu werden“, sei aus der Erfahrung gefolgt, „daß er … | |
den Medien ‚gut rüberkommt‘“. Im Wahlkampf habe er deutlich gemacht, „… | |
er Deutschland will“. Dieser „Friedensmacht“ Deutschland „könne | |
schicksalhaft die Aufgabe zufallen, Rußland geopolitisch in den | |
christlichen Kulturkreis einzubinden“. | |
Autor dieses überaus merkwürdigen Textes mit dem Titel „Geheimagent des | |
Weltgeistes“ war kein anderer als der ehemalige 68er-Anwalt und spätere | |
Neonazi Horst Mahler. Wer Schröder ernst zu nehmen bereit ist, wer die | |
verdrucksten Volten der Partei, der er sich immer noch zugehörig fühlt, der | |
SPD also, in der aktuellen Lage entschlüsseln will, erfährt hier mehr als | |
in einem Film, der niemanden überfordern will und sich gerade dadurch | |
verzichtbar macht. | |
4 Apr 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Gerhard-Schroeder-bei-russischem-Empfang/!5930543 | |
[2] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/soeder-roth-china-100.html | |
[3] https://www.ardmediathek.de/video/story/ausser-dienst-die-gerhard-schroeder… | |
[4] /Holocaustleugner-im-Gefaengnis/!5456713 | |
## AUTOREN | |
Ambros Waibel | |
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