# taz.de -- Schraubenzieher-Attacke in Regionalzug: Rassistisch, lebensbedrohli… | |
> Ein Fan der SS wurde wegen Körperverletzung gegen einen Senegalesen | |
> verurteilt. Von seiner Tötungsabsicht sei er zurückgetreten, meint das | |
> Gericht. | |
Bild: Attacke im Zug: Auf einer Fahrt des Nordwestbahn wurde Moussa L. im April… | |
Osnabrück taz | Den 16. April 2024 wird Moussa L.* nicht vergessen. Es ist | |
Abend, als der junge Senegalese im Regionalexpress 18 der Nordwestbahn | |
unterwegs ist. Zwischen Bersenbrück und Bramsche kommt es zu [1][einer | |
rassistische Attacke]. | |
Kasim S., ein in Osnabrück lebender schwedischer Staatsbürger | |
kosovoalbanischer Herkunft, zeigt mehrfach den Hitlergruß, ritzt | |
Hakenkreuze und SS-Runen in Rückenlehnen. Er provoziert Moussa L. massiv, | |
sagt, Deutschland sei sein Land, er könne hier machen was er wolle. L. | |
versucht zu deeskalieren, physischen Abstand zu herzustellen. Da sticht S. | |
mit einem Schraubenzieher auf ihn ein, immer wieder. | |
Kasim S. zielt auf Kopf, Hals und Herzgegend, auf den Oberschenkel, die | |
Schulter. Er beißt. Moussa L. hilft seine Körpergröße, seine Kraft, seine | |
Erfahrung in Selbstverteidigung. Er wehrt die Angriffe ab, wird dabei | |
mehrfach verletzt, bringt S. schließlich zu Boden. Zeugen helfen ihm. | |
[2][Die Anklage lautet auf versuchten Mord], Sachbeschädigung, Verwendung | |
von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Und auf Diebstahl, denn | |
S. hat an diesem Abend auch das Handy eines Zeugen entwendet. | |
## Kasim S. muss für mehr als vier Jahre in Haft | |
Am Mittwoch, sieben Monate später, hat die 6. Große Strafkammer des | |
Landgerichts Osnabrück das Urteil gesprochen: Kasim S., voll schuldfähig, | |
muss für vier Jahre und drei Monate ins Gefängnis, wegen gefährlicher | |
Körperverletzung. Hinzu kommen drei kleinere Geldstrafen. | |
Kasim S. wird in Hand- und Fußfesseln in Sitzungssaal 272 geführt. Den | |
Vorsitzenden Richter, der ihn oft persönlich anspricht, ignoriert er | |
demonstrativ. Bohrend fixiert er dagegen Moussa L., der ihm als Nebenkläger | |
gegenübersitzt, zuweilen auch das Publikum. Seine Körpersprache | |
signalisiert Anspannung, Ablehnung, Abwehr. | |
Dass der Richter sagt, er habe mit „bedingtem Tötungsvorsatz“ gehandelt, | |
seine Verletzungsabsicht sei „potenziell lebensbedrohlich“ gewesen und | |
geprägt von „rassistischer Gesinnung“, er habe eine „fremdenfeindliche | |
Anschauung“, scheint ihn nicht zu berühren. | |
Kasim S. sieht sich als Nachfahren eines Generals der 21. | |
Gebirgsjäger-Division „Skanderbeg“ der Waffen-SS, obwohl nur die unteren | |
Dienstränge des Großverbands aus muslimischen Albanern bestanden. Das | |
Hintergrundbild seines Mobiltelefons zeigt das Truppenkennzeichen der | |
Division, flankiert von SS-Doppelrunen. Die Division war an Terror gegen | |
die Zivilbevölkerung beteiligt, an Deportationen in Konzentrationslager. | |
Der rassistische Hintergrund der Tat sei ein „niederer Beweggrund“, und das | |
sei ein Mordmerkmal, sagt Rechtsanwalt Jan Sürig der taz, der Moussa L. | |
vertritt. Doch die 6. Große Strafkammer lässt den Vorwurf des versuchten | |
Mordes fallen. S. habe von L. abgelassen, „hinreichend freiwillig“, so das | |
Gericht, obwohl er ihn weiter habe attackieren können. S. sei in | |
Deutschland nicht einschlägig vorbestraft. Zudem sei L. nur oberflächlich | |
verletzt worden, seine Wunden seien schnell und folgenlos verheilt. Die | |
rassistische Motivation der Tat betont das Gericht allerdings stark. Es | |
berücksichtigt ihn deutlich als strafverschärfend. | |
An Moussa L., den er vorher im Großraumabteil von mehreren Sitzplätzen aus | |
beobachtet und auch heimlich fotografiert hatte, hat Kasim S. sich | |
abreagiert, weil L. Schwarz ist. S. ist nicht in der organisierten | |
Nazi-Szene vernetzt, er hat keinen Szene-Anwalt, im Publikum sitzen keine | |
Nazis. Aber er habe die rechte Ideologie verinnerlicht, sagt der Richter, | |
habe L. als „unwert“ gesehen. Auch auf dem Handy von Kasim S.: Ein halb | |
ausgefüllter AfD-Mitgliedsantrag. | |
## Der Angeklagte zeigte keine Reue | |
Während des Prozesses hat S. weit gehend geschwiegen. Geständig war er | |
nicht. Mehr noch: „Er hat nicht zu erkennen gegeben, dass er die Tat in | |
irgendeiner Art bereut“, sagt Sürig. | |
Kasim S. hat nun das das Recht auf Revision. In Haft bleibt er jedoch, | |
wegen Fluchtgefahr. In der Justizvollzugsanstalt Lingen hatte er einen | |
Ausbruchsversuch unternommen. Auch dort ist er mit Nazi-Schmierereien | |
aufgefallen. | |
„Wir sind enttäuscht über die Verurteilung des Täters zu gefährlicher | |
Körperverletzung“, schreibt eine Vertreterin des Osnabrücker Regionalbüros | |
Nordwest der [3][Betroffenenberatung Niedersachsen] der taz. In Anbetracht | |
der Brutalität des Angriffs und der Tatsache, dass der Täter die einzige | |
für ihn wahrnehmbare schwarze Person im Abteil gezielt ausgewählt habe, in | |
Anbetracht seiner „geschlossenen rassistischen, rechten Einstellung“, falle | |
das Urteil gering aus. „Rechte Gewalt sendet eine Botschaft an alle | |
Menschen, die potentiell von ihr betroffen sein können“, betont die | |
Betroffenenberatung. „In diesem Zusammenhang sendet das Urteil falsche | |
Signale an Betroffene rechter Gewalt.“ | |
*Name geändert | |
20 Nov 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Uebergriff-im-Zug/!6005571 | |
[2] /Nach-Schraubenzieher-Attacke/!6003546 | |
[3] https://betroffenenberatung.de/ | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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