# taz.de -- Schleppender Impffortschritt in Afrika: Langes Warten auf den Piks | |
> Unverändert kommt das Impfen in Afrika nur schleppend voran – erst 4 | |
> Prozent der Menschen sind voll immunisiert. Das liegt nicht nur an zu | |
> wenig Dosen. | |
Bild: Warten auf die Registrierung: Der Zugwaggon wurde zum Impfzentrum umfunkt… | |
COTONOU taz | Béatrice Aguessy lebt mit ihrer Familie in Cotonou, in Benins | |
Wirtschaftsmetropole. In ihrem kleinen Haus im Stadtteil Fidjrosse | |
quetschen sich fünf Kinder auf das alte braune Sofa und schauen sich eine | |
Serie im Fernsehen an. Beengte Wohnverhältnisse sind die Regel. Auch teilen | |
sich viele Menschen mit ihren Nachbarn Toilette und Dusche: für einen Virus | |
wie Corona gute Möglichkeiten zur Ausbreitung. Dennoch sind in Benin die | |
Fallzahlen gering. Nach Informationen der Gesundheitsbehörde der | |
Afrikanischen Union (AU) gab es 21.450 positive Tests. Allerdings wird | |
immer wieder über die Zuverlässigkeit derselben spekuliert. | |
Die Regierung will die Zahlen niedrig halten. Neben dem neuerlichen Verbot | |
von Veranstaltungen mit mehr als 50 Teilnehmer*innen und dem Schließen | |
von Diskotheken fordert Präsident Patrice Talon zum Impfen auf, um sich und | |
andere zu schützen. Eine Impfpflicht soll es künftig für medizinisches | |
Personal sowie Mitarbeiter*innen von Behörden geben. | |
Wird diese durchgesetzt, muss sich auch Béatrice Aguessy impfen lassen. Sie | |
ist Krankenschwester. Benin mit seinen 13 Millionen Einwohner*innen | |
hatte über das Covax-Programm – über die Plattform soll Impfstoff weltweit | |
gerechter verteilt werden – zunächst 144.000 Dosen AstraZeneca erhalten. | |
Die USA spendeten im Juli 302.400 Dosen von Johnson & Johnson. Einen | |
Impftermin in Cotonou zu bekommen ist kein Problem. Auch Aguessy hatte eine | |
Einladung, die sie aber ausgeschlagen hat: „Ich habe Angst. Ich bin doch | |
gesund, und mein Coronatest war negativ.“ Zu anderen Impfstoffen, etwa | |
gegen Polio, hat sie mehr Vertrauen. | |
Auf den Straßen Cotonous, aber auch in sozialen Medien wird ständig über | |
mögliche Nebenwirkungen gesprochen. Immer wieder heißt es, dass junge und | |
gesunde Menschen nach der Impfung gestorben seien. Genaue Informationen | |
darüber gibt es allerdings nicht und auch keine verlässlichen Zahlen. Auch | |
weiß niemand, wie viele Impfgegner*innen es tatsächlich gibt. | |
## Abwanderung von medizinischen Fachkräften | |
Auch in anderen Teilen des afrikanischen Kontinents ist das Vertrauen in | |
das Gesundheitssystem generell gering. In einer Umfrage (Wellcome Monitor) | |
mit 140.000 Befragten gab 2018 knapp jede*r Dritte in Afrika an, kein | |
Vertrauen in Krankenhäuser und Kliniken zu haben. Im weltweiten Vergleich | |
hatte man außerdem am wenigsten Vertrauen in medizinisches Personal. Vor | |
Ort wundert das wenig. Braindrain, also das Abwandern von Fachkräften, | |
schwächt den Sektor allerorts seit Jahrzehnten. | |
Nach Informationen der Hilfsorganisation WaterAid haben beispielsweise 17 | |
Prozent aller Gesundheitseinrichtungen keinen Zugang zu Wasser. Im | |
krisengebeutelten Sahelstaat Burkina Faso haben mehr als 822.000 Menschen | |
nur noch einen eingeschränkten Zugang zur Gesundheitsversorgung. | |
Die internationale Gemeinschaft versucht die Impfquote auf dem Kontinent zu | |
erhöhen. Nach AU-Angaben sind gerade einmal gut 4 Prozent der gut 1,2 | |
Milliarden Menschen komplett geimpft. Spitzenreiter ist Marokko mit knapp | |
50 Prozent. Südafrika liegt mit fast 18,5 Prozent an zweiter Stelle. | |
US-Präsident Joe Biden kündigte deshalb während eines virtuellen | |
Coronagipfels an, 500 Millionen weitere Impfdosen zu spenden. | |
Während der UN-Vollversammlung in New York hatte Generalsekretär António | |
Guterres am Dienstag kritisiert, dass 90 Prozent der Afrikaner*innen | |
weiter auf ihre erste Impfung warteten. Nach Angaben der | |
Weltgesundheitsorganisation sollen über Covax bis zum Jahresende 470 | |
Millionen Impfdosen geliefert werden. Dazu kommen bilaterale Zusagen, etwa | |
von der chinesischen Regierung, die auch als politisches Instrument gelten. | |
Wie viele Dosen tatsächlich geliefert werden, lässt sich nicht prüfen. | |
Für den Bundesstaat Kano im Norden Nigerias hätte Ibrahim Mualeem | |
Zikirullahi, Leiter des nichtstaatlichen Zentrums für Menschenrechte und | |
politische Bildung (CHRICED), gerne welche. Afrikas Riesenstaat mit den | |
rund 210 Millionen Einwohner*innen hat laut UNICEF – das | |
Kinderhilfswerks ist für die COVAX-Zuteilung zuständig – gut 11,1 Millionen | |
Impfdosen erhalten. | |
Die Zusammenarbeit mit den nigerianischen Behörden laufe gut, heißt es. | |
Viel zu wenig, kritisiert allerdings Zikirullahi die Zahlen: „Alleine in | |
Kano liegt die Bevölkerung bei 14 Millionen. Wir haben 44 Landkreise. Doch | |
bis Mitte August hatten gerade einmal zwei davon Impfstoffe erhalten.“ | |
Dabei wird seit Anfang März geimpft. | |
Dezentrales Impfen gilt als wichtig. Gerade im ländlichen Bereich müssen | |
viele Kilometer bis zum nächsten Impfzentrum zurückgelegt werden. Dafür hat | |
die ärmere Bevölkerung aber nicht das Geld. In manchen Ländern Afrikas | |
leben 40 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, das heißt, sie | |
verfügen über weniger als 1,9 US-Dollar pro Tag. | |
23 Sep 2021 | |
## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
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