# taz.de -- Salzburger Festspiele: Im Dampfkessel | |
> Theresia Walsers neues Stück „Die Empörten“ will schwarze Provinzsatire | |
> und politisches Sittenbild zugleich sein. | |
Bild: Caroline Peters als Bürgermeisterin in Theresia Walsers „Die Empörten… | |
Kaffeefilter und Titanhüften aus Irberstheim sind in der Welt ungefähr so | |
beliebt wie deutsche Autos vor dem Dieselskandal. Also sehr. Dass trotz | |
eines anhaltenden Arbeitskräftemangels auch in der tiefsten Provinz des | |
Wirtschaftswunderlandes BRD weiterhin prima produziert werden kann, hat | |
nicht zuletzt damit zu tun, dass die Bürgermeisterin der kleinen Kommune | |
Irberstheim von „meinen Flüchtlingen“ spricht und neu ankommenden Migranten | |
sofort einen Arbeitsplatz beschafft. Eigentlich ein ziemlich cleveres | |
sozialpolitisches Geschäftsmodell. | |
Corinna Schaad, so nennt [1][Theresia Walser] die Heldin ihres neuen | |
Theaterstückes „Die Empörten“, wandelt auf den Spuren von Angela Merkels | |
„Wir schaffen das“. Da kann es nicht ausbleiben, dass sie Wähler an die AfD | |
verliert. Die Bedrohung ist konkret, heißt Elsa Lerchenberg und wartet mit | |
rassistischen Sprüchen auf. Als dann auch noch ein Unbekannter mit dem Ruf | |
„Allahu Akbar“ in eine Menschengruppe rast, läuft die | |
Blut-und-Boden-Prophetin zur Hochform auf. | |
Theresia Walser will, dass die Bürgermeisterin und ihre Konkurrentin genau | |
in dieser Situation aufeinandertreffen. Schauplatz ist ein Provinzrathaus. | |
Mit von der Partie sind der Bruder und der engste Mitarbeiter der | |
Bürgermeisterin, die Gattin des einzigen Todesopfers beim Anschlag – und: | |
der tote Selbstmordattentäter. Der ist zu allem Überfluss auch noch ein | |
Halbbruder der Bürgermeisterin. | |
Walser schraubt das Ganze in Richtung einer schwarzen Satire aus der | |
ländlichen Mitte Deutschlands weiter. Das Todesopfer des Anschlags ist ein | |
in Deutschland geborener Muslim, dessen Frau nun zur Trauerfeier im Rathaus | |
auftaucht, während der enge Mitarbeiter der Bürgermeisterin nebenbei Reden | |
für die AfD-Apokalyptikerin schreibt. Das alles will derart entschieden | |
eine Metapher der aktuellen Situation in Deutschland sein, dass man | |
ziemlich gespannt ist, wie das auf der Bühne funktionieren soll. | |
## Inszenierung einer starren Versuchsanordnung | |
Die Uraufführung von „Die Empörten“ ist eine Koproduktion des | |
Staatsschauspiels Stuttgart mit den Salzburger Festspielen. Inszeniert hat | |
Burkhard C. Kosminski, der seit einer Spielzeit ziemlich erfolgreich das | |
Stuttgarter Staatsschauspiel leitet und zuletzt alle Uraufführungen neuer | |
Walser-Stücke besorgt hat. Gespielt wird in einem Amtszimmer (Bühne: | |
Florian Etti) mit viel dunklem Holz. Im Hintergrund gibt es Projektionen | |
schöner Berglandschaften und heimeliger Provinzdörfer. | |
Das erinnert an die Kultserie „Mord mit Aussicht“, deren Hauptdarstellerin | |
[2][Caroline Peters] die Bürgermeisterin spielt. Peters ist | |
Ensemble-Mitglied am Wiener Burgtheater und so mit ironischem Witz begabt, | |
dass sie schon mehrfach als Schauspielerin des Jahres ausgezeichnet wurde. | |
Hier sorgt sie dafür, dass Walsers Provinzsatire sich nicht zu zäh in die | |
Länge zieht. Sie spielt eine überdrehte Politikerin, die nur noch Wahlen | |
gewinnen will. | |
Walser schreibt ansonsten eher mit einer feineren Feder und legt ihre | |
Stücke existenzialistisch tiefgründiger an. In „Ich bin wie ihr, ich liebe | |
Äpfel“ zum Beispiel versammelte sie ehemalige Diktatorengattinen auf der | |
Bühne und ließ sie im Suppentopf ihrer Eitelkeiten schmoren. Die Figuren in | |
„Die Empörten“ allerdings sind einem derart hohen Druck im Dampfkessel des | |
politischen Überlebenskampfes ausgesetzt, dass sie wie festgewurzelt auf | |
einem schnell fixierten Empörungslevel verharren und Kosminski wohl dachte, | |
dann inszeniere ich doch gleich eine starre Versuchsanordnung. | |
Anke Schubert spricht die Texte der Muslimin Achmedi, als sei es eine | |
Pflichtaufgabe, während Silke Bodenbender der Elsa Lerchenberg den | |
gebremsten Charme einer Alice Weidel in der Spendenentzugsklinik gönnt. | |
Lediglich André Jung spielt den Adlatus der Bürgermeisterin so, dass man | |
den Eindruck hat, das Ganze könnte als Dialog dieses ungleichen Paares | |
wesentlich besser funktionieren: hier die meinungsstarke Bürgermeisterin | |
mit Napoleon-Komplex, dort ein verhuschter Butler mit diabolischen Zügen. | |
24 Aug 2019 | |
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## AUTOREN | |
Jürgen Berger | |
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