| # taz.de -- Spielfilm „Blinded by the Light“: Selbstermächtigung durch Pop… | |
| > Gurinder Chadhas „Blinded by the Light“ ist die Geschichte eines | |
| > pakistanischen Jugendlichen in London. Und dessen Liebe zu Bruce | |
| > Springsteen. | |
| Bild: Mit dem „Boss“ im Ohr fühlt Javed sich plötzlich mutiger, selbstgew… | |
| Wir waren alle schon mal dort. Oder, um es verständlicher auszudrücken: | |
| We’ve all been there. Verloren auf dem Schulhof herumstehend, scheue Blicke | |
| auf jemand werfend, von dem wir fest zu wissen glauben, dass er uns nicht | |
| einmal bemerkt. Voller widersprüchlicher, heftiger Gefühle, aber unfähig, | |
| sie auszudrücken: Wut und Selbstekel, Angst, Trotz und die große, große | |
| Sehnsucht danach, weit weg zu sein vom Schulhof, den eigenen Eltern, der | |
| eigenen Stadt. | |
| Und dann hört man einen Song, der irgendwie, sei es durch einen bestimmten | |
| Rhythmus, durch das Timbre einer Stimme, durch einen Satz, den man mehr | |
| fühlt als versteht, etwas von diesem Emotionswust aufnimmt, umsetzt, | |
| trifft. „Everybody’s got a hungry heart.“ Und prompt fühlt man sich | |
| wenigstens nicht mehr so allein. | |
| Für Javed (Viveik Kalra), so erzählt es Gurinder Chadha in „Blinded by the | |
| Light“, war es Bruce Springsteen. Idol, Inspiration, Komplize, Erlösung. | |
| Eines Tages stößt der 15-jährige Sohn pakistanischer Einwanderer in der | |
| Schule mit einem Mitschüler zusammen, dem ein Stapel Kassetten aus der Hand | |
| fällt. „Wer ist das?“, fragt Javed. „Der Boss!“, antwortet der andere. | |
| „Wessen Boss?“, fragt Javed. „Der Boss von uns allen“, heißt es darauf… | |
| verschwörerisch. Man schreibt September 1987, für Javed beginnt gerade | |
| wieder die Schule; sein aus Pakistan ins Vereinigte Königreich | |
| eingewanderter Vater wird nach fast 20 Jahren Autobauerei in Luton, | |
| Bedfordshire, entlassen. | |
| Die finanziellen Rückschläge, die die Familie dadurch erleidet, bedrohen | |
| Javeds Zukunftspläne. Er will an der Universität studieren und träumt davon | |
| zu schreiben. Aber bislang traut er sich noch nicht mal, seine | |
| selbstverfassten Gedichte jemandem zu zeigen. Geschweige denn seinem | |
| autoritären Vater zu widersprechen, wenn der anordnet, er solle sich an | |
| „die Juden“ in der Schule halten, das sei ein sehr erfolgreiches Volk, und | |
| nicht nach den Mädchen schauen, denn er werde ihm rechtzeitig eine gute | |
| Braut besorgen: „Überlass das ruhig mir.“ | |
| ## Das Hindernis zum Happy End | |
| Javeds eigene Agenda umfasst derweil drei Dinge als Nahziele: viel Geld | |
| verdienen, ein Mädchen küssen und raus aus dem Drecksloch (Luton) kommen. | |
| Auf Englisch könnten das gut die Zeilen eines von Bruce Springsteen | |
| gesungenen Popsongs sein. Weshalb es auch sofort, kaum, dass Javed die | |
| Kassetten in seinen Walkman gelegt hat, um ihn geschehen ist. Mit dem | |
| „Boss“ im Ohr fühlt Javed sich plötzlich mutiger, selbstgewisser, wacher. | |
| Den knallbunten Nylon-Blouson, ein typisches 80er-Jahre-Modeteil, tauscht | |
| er für eine zünftige Jeansjacke ein, um den Hals schnürt er sich ein Stück | |
| rotes Tuch und vom karierten Hemd reißt er die Ärmel ab. Und siehe da, nach | |
| und nach beginnen sich die Dinge in die richtige Richtung zu entwickeln. | |
| Das Mädchen, das Schreiben, das sich Absetzen von der als kleinlich | |
| empfundenen Welt des Vaters. Ein Springsteen-Konzert in Luton scheint dem | |
| Ganzen die Krone aufzusetzen. Wäre da nicht der geforderte dritte | |
| Drehbuch-Akt und sein letztes, notwendiges Hindernis auf dem Weg zum Happy | |
| End. | |
| Denn eigentlich könnte alles so schön sein in „Blinded by the Light“: eine | |
| Geschichte der Selbstfindung und Selbstermutigung durch Popmusik, die den | |
| richtigen Ton trifft zwischen Pathos und Ironie, zwischen Idealisierung und | |
| bitteren Erinnerungen an Ausgrenzung und Mangel. Hinzu kommt, dass der | |
| Stoff, so wie Chadha ihn inspiriert von wahren Erlebnissen aufgreift, noch | |
| durch interessante Seitenaspekte aufgefrischt wird. | |
| Da ist das 80er-Jahre-Zeitkolorit mit seinen heute geradezu clownesk | |
| wirkenden Frisuren und Klamotten. Da ist das sozial-historische Setting mit | |
| Luton als trostloser, alter Arbeiterstadt, in dem die große Anzahl von | |
| indischen und pakistanischen Einwanderern seit den Siebzigern für | |
| Konfliktstoff sorgt. Da ist die Reibung, die sich daraus ergibt, dass ein | |
| Pakistani-Einwanderer-Sohn in Großbritannien die Musik eines weißen Rockers | |
| aus den USA bevorzugt. Und die Frage nach dem Distinktionsgewinn: Was hat | |
| dieser Javed eigentlich davon, dass er seine Obsession auf einen Musiker | |
| richtet, dessen Break-out-Album („Born to Run“) bereits 1975 herauskam? | |
| Warum hört er nicht wie seine Klassenkameraden einfach Wham, Bananarama | |
| oder die Pet Shop Boys? | |
| ## Das Lachen und der wahre Schrecken | |
| Bezeichnenderweise geht „Blinded by the Light“ über die letzte Frage | |
| versöhnlerisch hinweg, noch bevor sie die Schärfe annehmen könnte, die doch | |
| so sehr zum Popdiskurs gehört. Zu scheu, die Unterschiede zwischen | |
| Springsteens Arbeiterhelden-Pose und dem elegant-blasierten | |
| Elektro-Pop-Vertretern der 80er zu benennen, lässt Regisseurin Gurinder | |
| Chadha ihren Helden einfach erkennen, dass eben jeder seins hören soll. | |
| Auch der Rest des Films wird von diesem nahezu eisernen Willen zum | |
| Feelgoodmovie gleichsam überschattet: der modische Clash zwischen | |
| Macho-70ern und androgynen 80ern genauso wie der zwischen Javed und seinem | |
| traditionellen Vater. | |
| Gleichzeitig ist „Blinded by the Light“ das rare Beispiel dafür, dass ein | |
| Film in seinen Einzelteilen mehr Eindruck macht als in deren Summe. Das | |
| gilt vor allem für die Szenen, in denen die Auseinandersetzungen mit der | |
| National Front geschildert werden. Tatsächlich war Luton eine der | |
| Hauptbrutstätten der britischen Neonazi-Szene und der Film nutzt hier den | |
| Humor einmal nicht zur Abschwächung, sondern zur Verschärfung der Dinge, | |
| etwa wenn er zeigt, dass gegen die Gewaltbereitschaft der Skins Ausweichen | |
| und Weglaufen zwar demütigende, aber doch rettende Strategien sind. | |
| Eine Nachbarsfamilie von Javed hat unter dem Briefschlitz ihrer Haustür | |
| vorsorglich schon Plastik ausgelegt, um den Urin der frech durchpissenden | |
| Neonazis schnell wegputzen zu können. Und während man als Zuschauer über | |
| solch starrsinniges praktisches Denken lacht, ist der wahre Schrecken der | |
| Situation doch klar präsentiert. | |
| Ähnliches gilt für Javeds traditionell gesinnten Migranten-Papa. Kulvinder | |
| Ghir verleiht ihm eine spießige Speckigkeit, die zusammen mit den Appellen | |
| an seine Kinder, doch ja den Kopf unten zu halten, völlig klarmacht, dass | |
| dem Sohn an diesem Vater alles peinlich sein muss: dessen Demut genauso wie | |
| seine ihm verstaubt und miefig erscheinende Kultur. | |
| Aber Ghir legt zugleich so viel Hingabe ans Vatersein in seine Figur und | |
| macht deren tatsächlich schmerzende Konflikte zwischen Sehnsucht nach einem | |
| besseren Leben für die Kinder und Bewahrung der eigenen Identität so | |
| sichtbar – dass sie fast tragische Größe annimmt. Springsteens Musik, das | |
| begreift man jenseits aller Feelgoodmovie-Versöhnlichkeit, ist eigentlich | |
| für jemanden wie diesen Vater geschrieben. | |
| 21 Aug 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Schweizerhof | |
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