# taz.de -- Ryan Gosling in „Only God Forgives“: Ödipus in Bangkok | |
> Es braucht den wohlwollenden Betrachter, damit Nicolas Winding Refns | |
> „Only God Forgives“ nicht zu Boden geht. Am Ende bleibt ein fragiles | |
> Stück Kino übrig. | |
Bild: In the clearing stands a boxer: Julian (Ryan Gosling) ist Betreiber eines… | |
Der dänische Regisseur Nicolas Winding Refn ist bekannt und berüchtigt | |
dafür, Filme zu drehen, die hochstilisiert und ultrabrutal sind. | |
„[1][Valhalla Rising]“ (2009) zum Beispiel setzt mit Szenen ein, in denen | |
Wikinger versklavte Kämpfer aufeinanderhetzen. In einer nordisch-kargen, | |
windgepeitschten Berglandschaft ringen sie miteinander, bis einer der | |
beiden tot ist, und die Sounddesigner bilden das Geräusch brechender | |
Knochen und splitternder Schädel effektvoll nach. Im weiteren Verlauf | |
weitet sich das düstere Gladiatorenspektakel dann zur nebelverhangenen, | |
mystischen Odyssee. | |
Und „[2][Drive]“ (2011) mit Ryan Gosling in der Rolle des namenlos | |
bleibenden Protagonisten mündet in einen Messerkampf, den man nur als | |
Schattenwurf auf dem Asphalt eines Parkplatzes sieht: eine raffinierte Form | |
der Gewaltdarstellung, von deren Diskretion man sich nicht täuschen lassen | |
sollte; denn vorher geht es mit Fäusten und Schusswaffen zur Sache. | |
In „[3][Only God Forgives]“ ist das nicht anders. Diesmal wählt Refn | |
Bangkok als Schauplatz, er nutzt Versatzstücke des ostasiatischen | |
Martial-Arts-Kinos, es gibt einige Kickboxszenen und die Figur des | |
Polizeikommissars Chang (Vithaya Pansringarm), der Schwerter, Essstäbchen | |
und andere spitze Gegenstände virtuos einzusetzen weiß, außerdem eine | |
Schießerei in einem Schnellrestaurant, bei der fast niemand überlebt. | |
Chang, dem der Anschlag gilt, gelingt es zu entkommen. | |
Während er durch das Labyrinth eines leeren nächtlichen Marktes flieht, | |
vertauschen sich die Rollen, er wird selbst zum Verfolger, und nicht zum | |
Spaß schaut sich die Kamera für ein paar Sekunden eine Pfanne siedenden Öls | |
aus der Nähe an. | |
## Türschwellen und Flure | |
Im Mittelpunkt steht Julian (Ryan Gosling), Betreiber eines Kickboxstudios | |
und in Drogengeschäfte verwickelt. Sein Bruder wird ermordet, nachdem er | |
eine Minderjährige vergewaltigt und getötet hat. Statt ihn zu rächen, wie | |
es die herrische Mutter (Kristin Scott Thomas) fordert, steht Julian | |
meistens an Türschwellen oder in Fluren, die an die Korridore David Lynchs | |
erinnern: Sie münden in existenzielles Dunkel. | |
Das Schlafwandlerische der Figur greift auf den Film über, er wirkt, als | |
hätte Refn ihn absichtsvoll in den Halbschlaf versetzt. Der Regisseur | |
zerstückelt die Rachegeschichte, taucht sie in rote Farbe und rotes Licht | |
und zerdehnt die einzelnen Teile. Die Brutalität paart sich mit | |
Oberflächenreizen, mit stilbewusster Künstlichkeit und einem fast | |
subsonischen Trommeln auf der Tonspur, für das Cliff Martinez | |
verantwortlich zeichnet (er komponierte auch den Soundtrack für „Drive“). | |
Die Figurenkonstellation ist schlicht und abgründig zugleich; das mag an | |
die Einfachheit böser, dunkler Märchen erinnern, läuft aber auch Gefahr, | |
plakativ und nichtssagend zu sein. | |
Zumal „Only God Forgives“ weder den Retroschick von „Drive“ hat, noch s… | |
so sehr ins Mystische weitet wie „Valhalla Rising“. Bemerkenswert ist hier | |
vor allem, wie der coole Hund von Hauptdarsteller konsequent gegen sein | |
Image besetzt ist. Ryan Gosling, zurzeit einer der gehyptesten Schauspieler | |
Hollywoods, gibt hier eine Figur, die von der Mutter nicht loskommt, in | |
Sachen Faustkampf nichts draufhat und im letzten Drittel des Films von so | |
vielen Hämatomen entstellt ist, dass sein schönes Gesicht nicht mal mehr zu | |
erahnen ist. | |
Kristin Scott Thomas verkörpert eine Albtraummutter, eine hexenartige Figur | |
mit orangefarbenen Nagelkrallen. Nachdem Julian ihr erklärt hat, was der | |
Bruder getan hat, bevor er getötet wurde, sagt sie lapidar: „Er wird schon | |
seine Gründe gehabt haben.“ | |
## In Richtung Komödie | |
Der Ödipus-Mythos macht im Hintergrund eine Menge Radau, was den Film | |
szenenweise in Richtung Komödie treibt, etwa dann, wenn die Mutter bei | |
einem Abendessen freimütig über die Größe der Schwänze ihrer Söhne sprich… | |
In einer Szene wühlt Julian in ihrem Unterleib herum: explizite Bilder für | |
die regressive Fantasie, in der Gebärmutter Zuflucht vor den Unbilden der | |
Welt zu finden. | |
Indem Refn diese fast archetypische Figurenanordnung mit den drastischen | |
Gewaltdarstellungen und dem exzessiven Stilbewusstsein kombiniert, geht er, | |
ähnlich wie in „Valhalla Rising“ und „Drive“, ein Wagnis ein. Diesmal … | |
das Ergebnis fragiler. So wie Julian unter den Schlägen Changs zu Boden | |
taumelt, ohne eine Chance zu haben, so geht auch der Film k. o., sobald das | |
Wohlwollen aus dem Auge des Betrachters weicht. Was bleibt, ist Achtung für | |
Refns Mut, in den Ring zu steigen. | |
„Only God Forgives“. Regie: Nicolas Winding Refn. Mit Ryan Gosling, Kristin | |
Scott Thomas, Vithaya Pansringarm u. a. Frankreich/Thailand u. a. 2013, 90 | |
Min. | |
18 Jul 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.youtube.com/watch?v=pUUzYo7NBk8 | |
[2] http://www.youtube.com/watch?v=P9yB4LUVeCI | |
[3] http://www.youtube.com/watch?v=MPxxe23il_Q | |
## AUTOREN | |
Cristina Nord | |
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