# taz.de -- The East-Regisseur über so ziemlich alles: „Aktivismus ist wie S… | |
> Zal Batmanglij berichtet von Alternativen zu zivilem Ungehorsam, die | |
> Kraft der Naivität, schockierende iPads – und seinen neuen | |
> Post-Occupy-Thriller. | |
Bild: Brit Marling (l.) und Shiloh Fernandez in „The East“. | |
taz: Herr Batmanglij, Ihr Film „The East“ erzählt von jungen Menschen, die | |
politisch aktiv werden und umweltverpestende Konzerne massiv bedrohen – ist | |
das die Richtung, in die politischer Protest gehen sollte? | |
Zal Batmanglij: Diese Art des Protests, die für mich weniger mit Gewalt als | |
vielmehr mit Aggression zu tun hat, ist schon interessant und | |
vielschichtig: Wenn meine Protagonisten sich auf eine Firmenparty | |
schmuggeln und den Mitarbeitern dort das von dem Pharmakonzern selbst | |
produzierte Gift unterjubeln, ist das ja nicht die klassische Darstellung | |
von Gewalt, an die wir im Kino gewöhnt sind: Prügel, Erschießen und so | |
weiter. | |
Aber es ist weit weg von friedlichem Demonstrieren. | |
Ja, das stimmt. Es ist körperlich, was dort passiert. Denn ich weiß einfach | |
nicht, ob friedlicher ziviler Ungehorsam einen wirklich weiterbringen kann | |
– es geht ja immer darum, ob man langsame Anpassungen oder einen | |
weltbewegenden Umsturz will. Und die Charaktere in meinem Film wollen den | |
Knall. Ich unterstütze das nicht persönlich, ich selber wäre schon | |
zufrieden, wenn ich mich selbst verstehen würde … | |
Ich sehe aber, dass die Umwelt, und das ist es ja, worum es in „The East“ | |
geht, ein Teil von uns allen ist. Wenn ich höre, dass „die Menschen den | |
Planeten zerstören“, kommt mir das immer merkwürdig vor – als ob „der | |
Planet“ weit weg wäre. Wir sind schließlich der Planet, also machen wir uns | |
selbst kaputt, wenn wir ihn zerstören. | |
Sie haben Ihren Charakteren aber persönliche und unterschiedliche Motive | |
gegeben, sich an den Aktivitäten zu beteiligen und nicht das vage | |
Wir-sind-die-Erde-Gefühl. | |
Stimmt, ich glaube eigentlich auch, dass immer noch ein persönlicher Grund | |
dahintersteht. Bei manchen ist es fast wie eine Therapie, andere haben nur | |
die politische Komponente im Kopf. Und manche sind einfach einsam, weil sie | |
gerade verlassen wurden, und hoffen, sie lernen im Occupy-Camp jemanden | |
kennen – die Motive können also zart oder extrem sein. Es bleiben trotzdem | |
persönliche Motive. | |
Die Gesellschaft scheint länderübergreifend politisch aktiver geworden zu | |
sein, angefangen mit Occupy bis hin zum Arabischen Frühling. Hat Sie das | |
thematisch beeinflusst? | |
Na ja, ich habe das Script zu „The East“ bereits vor dem Beginn der | |
Occupy-Bewegung geschrieben, aber als es losging damit, war mir klar, dass | |
ich hier etwas ausdrücke, das gerade in vieler Menschen Köpfe ist, dass es | |
allgemein eine große Frustration gibt. Ich finde aber immer wieder | |
erstaunlich, wie wenig unterm Strich bei diesen ganzen Aktivitäten | |
herauskommt. Occupy ist fast vergessen. | |
Ist die Globalisierung der Informationen auch ein Grund für die | |
Zeitgleichheit der Proteste? | |
Ich glaube eher, dass das ebenfalls die Effektivität der Proteste | |
verlangsamt. Ich sehe das wie in der Mode: Bis in die 90er, als die | |
Informationen noch nicht so einfach und überall flossen, unterschieden sich | |
die Moden je nach Jahrzehnt stark voneinander, seit den 90ern kann man sie | |
kaum noch auseinanderhalten. Meiner Ansicht nach haben die vielen | |
Veränderungen, also das Netzzeitalter, uns alle stark geschockt. | |
Ich würde uns als Gesellschaft manchmal gern beruhigend auf die Schulter | |
klopfen. Denn so ein iPad ist höchst schockierend! Ich weiß gar nicht, was | |
es wirklich bedeutet! Ich kann es zwar bedienen, aber habe keine Ahnung von | |
der Dimension, die dahintersteckt. | |
Was soll man denn machen? Keine modernen Geräte benutzen? | |
Weiß ich auch nicht. Ich kann die Globalisierung nur beobachten, nicht | |
ändern. Wenn ich heute nach Deutschland komme, spricht man hier zwar eine | |
andere Sprache, und ich weiß von der anderen Geschichte, aber alles andere | |
wirkt seltsam gleich. | |
Nützt es etwas, wenn ein Film ein paar dieser Fragen stellt? | |
Nein, ein Film kann nichts ändern. Er kann vielleicht manchmal Gedanken | |
anstoßen, aber das war’s. | |
Sind Sie selbst schon einmal angestoßen worden? | |
Ja, einer meiner wichtigsten Filme ist „Harold and Maude“. Den liebe ich, | |
denn die Politik der Güte finde ich immer noch am interessantesten, eben | |
weil sie so kompliziert ist, weil man so schnell kitschig werden kann oder | |
sentimental. Die Politik der Gewalt ist zwar aufregend, aber langweilig. | |
Wenn das alles nichts bringt, und auch Filme nichts bewirken, was kann man | |
denn dann tun? | |
Empathischer sein. Empathie ist für mich noch wichtiger als Liebe. Und | |
natürlich Bildung: Eine Theorie besagt, dass die wichtigste Protestbewegung | |
unserer Zeit, die 60er, nur so groß werden konnte, weil die | |
Nachkriegsgeneration besser ausgebildet war, und dass die Bildung momentan | |
wieder so schlecht ist, um das Volk ruhig zu halten. Das passt auch wieder | |
zu der Art, wie heute Wissen vermittelt wird: Wikipedia ist keine Bildung. | |
Und Sie sind nicht einfach nur zu alt für die neuen Medien? | |
Ich glaube, nicht. Wenn ich sehe, wie zum Beispiel gerade, zumindest in den | |
USA, über Edward Snowden diskutiert wird, dann ärgere ich mich: Niemand | |
redet über die Inhalte, alle wollen nur wissen, ob er ein Verräter ist, | |
wollen den Thrill seiner Flucht genießen. | |
In den USA gehören die Grünen zu den mehr oder weniger unwichtigen „Third | |
Partys“ – ist das auch ein Grund für die Story in Ihrem Film? | |
Bei uns gibt es eben dieses merkwürdige zentrale System, das das ganze Land | |
zusammenhalten soll. Aber eigentlich ist unser System kaputt, und das | |
denken auch die meisten anderen. Ich glaube, darum haben sie keine Lust, | |
sich eine Zukunft als Politiker auszumalen. | |
Und sind das dann die Menschen, die Ökoterroristen wie in Ihrem Film | |
werden? | |
Ja, Aktivismus ist ja ein bisschen wie SM: Man muss etwas Extremes tun, um | |
etwas zu fühlen. Das ist nicht falsch. Aber es ist ein Extrem. Auf Dauer | |
ist es eben nicht besonders effektiv. | |
Die „The East“-AktivistInnen denken, dass sie die Gesellschaft mit ein paar | |
Drohungen in Schach halten können, und unterschätzen dabei die Macht der | |
Konzerne. Weil sie naiv sind? | |
Das wurde mir schon öfter vorgeworfen. Und ja, es ist vielleicht naiv, aber | |
Naivität mindert die Wichtigkeit ihrer Forderungen nicht. Ich glaube sogar, | |
dass Naivität wichtig ist, weil sonst keiner mehr etwas machen würde. | |
In Ihrem letzten Film, „The Sound of Her Voice“, geht es ebenfalls um die | |
Beziehungen einer Gruppe inmitten eines größeren sozialen Systems – wieso | |
interessiert Sie das so sehr? | |
Weil ich glaube, dass der Mensch eigentlich für das Zusammenleben in großen | |
Gruppen geschaffen ist, und wir das nur vergessen haben. Ich glaube, wir | |
sehnen uns stark danach, wieder zu einer großen Gemeinschaft zu gehören, | |
das ist genetisch in uns angelegt. | |
Aber die meisten leben doch in Gruppen, auch wenn es nur Kleinstgruppen | |
sind? | |
Na ja, Sie wohnen doch bestimmt nicht mehr bei Ihren Eltern? Familien sind | |
nur klitzekleine Einheiten, und wenn die Kinder aus dem Haus gehen, sind | |
die Eltern traumatisiert. Ich finde, man sollte in Stämmen leben. | |
Wie kommen Sie darauf, dass die Menschen in Großfamilien oder Stämmen | |
glücklicher waren? Da gibt es doch auch jede Menge Gründe für Traumata. | |
Forschern zufolge sind die wenigen Gesellschaften, die heute noch so leben, | |
die glücklichsten und gesündesten. Ich will nicht klingen, als würde ich | |
eine niedliche Vorliebe für exotische Lebensformen pflegen, aber ich denke | |
wirklich, dass das die Art ist, wie Menschen eigentlich leben sollten. Man | |
muss sich sehen, um sich zu verstehen, jeden Tag zusammen verbringen. Mit | |
meiner Hauptdarstellerin Brit Marling habe ich auch eine Weile in einem | |
Gemeinschaftshaus zusammengelebt. | |
19 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
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iPad | |
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