| # taz.de -- Essayband zum Boxen: Mit der Wucht von fünf Tonnen | |
| > Der Machismo des Boxers hat eine Kehrseite im Masochismus. Das und noch | |
| > viel mehr erfährt man in Joyce Carol Oates' Buch „Über Boxen“. | |
| Bild: Der Boxer Muhammad Ali und der Schriftsteller Norman Mailer messen ihre K… | |
| Ein heißer Tag mit hoher Luftfeuchtigkeit ist der 30. Oktober 1974 in | |
| Zaire. Im Stadion der Hauptstadt Kinshasa fordert Muhammad Ali, 32 Jahre | |
| alt, den sieben Jahre jüngeren Weltmeister im Schwergewicht, George | |
| Foreman, heraus. | |
| Der Kampf geht als „rumble in the jungle“ in die Sportannalen ein, dauert | |
| acht Runden und endet mit einem Knock-out. Wenige Sekunden vor dem Gong | |
| geht Foreman zu Boden, nachdem ihn Ali mit einem Jab und einer Rechten hart | |
| am Kopf getroffen hat. | |
| Erstaunlich daran ist nicht nur, dass der Herausforderer auf seinen Gegner | |
| einredet, dass er stichelt und foppt, wann immer er kann, erstaunlich ist | |
| vor allem die sogenannte Rope-a-dope-Taktik. Ali hängt die meiste Zeit in | |
| den lose gespannten Seilen, während Foreman viele Körpertreffer landet. In | |
| der fünften Runde zum Beispiel: Gut zweieinhalb von drei Minuten lang | |
| steckt Ali Leberhaken ein, dann löst er sich überraschend von den Seilen, | |
| geht auf Foreman los und trifft ihn einige Male am Kopf. | |
| „Ich trainiere nicht wie andere Boxer“, erklärt er 1975 in einem Interview. | |
| „Zum Beispiel dürfen meine Sparringspartner etwa achtzig Prozent der Zeit | |
| versuchen, auf mich einzuprügeln. Ich halte mich zurück und krieg ein paar | |
| Fausthiebe auf Kopf und Körper, und das ist gut so: Körper und Gehirn | |
| lernen, solche Schläge auszuhalten, schließlich wird man in jedem Kampf ein | |
| paar Mal richtig schwer getroffen.“ | |
| ## Die Rope-a-dope-Taktik | |
| Die US-amerikanische Schriftstellerin Joyce Carol Oates versteht es | |
| spielend, populäre Kultur zu beschreiben und zu analysieren. 2005 widmet | |
| sie Muhammad Ali ein Essay, in dem sie unter anderem über die Taktik des | |
| Aushaltens nachdenkt. „Wie hat Ali das gemacht?“ fragt sie sich, „wie | |
| konnte sein Körper diesen wiederholten erbarmungslosen Schlägen | |
| standhalten? In der Rope-a-dope-Taktik triumphiert der nackte, zielbewusste | |
| Masochismus; doch ein solcher Triumph zieht unvermeidlich nicht | |
| wiedergutzumachende Schäden nach sich.“ | |
| Oates legt dar, unter welchen Umständen er sich die Taktik aneignet. Weil | |
| er den Kriegsdienst in Vietnam verweigert, wird er 1967 zu fünf Jahren | |
| Gefängnis und zu einer Geldbuße in Höhe von 10.000 Dollar verurteilt. „Wie | |
| unrühmlich reagierte das weiße Amerika“, schimpft die Autorin, „wie | |
| schamlos rassistisch bestrafte es Ali!“ Zwar tritt er die Haftstrafe nicht | |
| an, doch Boxlizenz und Weltmeistertitel werden ihm entzogen. | |
| Als er 1971 endlich wieder in den Ring steigt, ist er nicht mehr so schnell | |
| wie in der ersten Phase seiner Laufbahn, das muss er ausgleichen. Die Zeit, | |
| in der sein Körper am leistungsfähigsten gewesen wäre, ist ein blinder | |
| Fleck in seiner Karriere. Oates zitiert Angelo Dundee, Alis Trainer, mit | |
| den Worten: „Wir haben Muhammad Ali nie in Bestform gesehen.“ | |
| ## Dichte Beschreibung, treffsichere Analyse | |
| Das lesenswerte Essay über Ali liegt nun zusammen mit fünf weiteren Texten | |
| der Autorin in dem Band „Über Boxen“ auf Deutsch vor. Weil die Essays zu | |
| unterschiedlichen Zeiten entstanden sind und sich passagenweise thematisch | |
| überschneiden, hat das Buch manchmal etwas Redundantes. Vielleicht | |
| beschwört Oates auch einmal zu oft den archaischen, mystischen Charakter | |
| des Boxens. Doch das ist eine quantité négligeable angesichts der dichten | |
| Beschreibungen und treffsicheren Analysen. | |
| Ihre Fähigkeit, in der scheinbar ungezügelten Brutalität die Kunst und die | |
| Technik wahrzunehmen, ist frappierend, für sie ist das Boxen „ein Spiegel | |
| menschlicher Aggression“ und zugleich „das in höchstem Grade kontrollierte, | |
| ’spielerische‘ Ausleben dieser Aggressionen“. Diese Ambivalenz findet sich | |
| anderswo wieder. Der Machismo des Boxers, den Oates mit einer lustigen | |
| Namensliste von „The Manassa Mauler“ (Jack Dempsey) über „The Brown Bomb… | |
| (Joe Louis) bis „The Bronx Bull“ (Jake LaMotta) belegt, hat eine Kehrseite | |
| im Masochismus, im Aushalten und Einstecken der Schläge. | |
| Oates’ Argumente bauen nicht streng aufeinander auf, sie sind eher wie | |
| Wellen, die wieder und wieder anbranden und dabei unterschiedliche Sujets | |
| und Informationen anspülen. Dabei lernt man eine Menge, zum Beispiel, wie | |
| der gezielte Schlag eines Schwergewichtlers den Kopf seines Gegners treffen | |
| kann: mit der Wucht von fünf Tonnen. Dass viele Boxer aus Geldsorgen bei | |
| Preiskämpfen antreten, obwohl sie dazu körperlich nicht mehr in der Lage | |
| sind. | |
| Oder dass bis 1915 die Zahl der Runden nicht beschränkt ist; es gibt | |
| „Marathonkämpfe“, in denen Boxer „an die hundert Runden“ bewältigen; … | |
| Kampf im Jahr 1893 dauert „betäubende sieben Stunden“. Wer untrainiert ist | |
| und versucht, die Fäuste auch nur zwei mal drei Minuten lang oben zu | |
| halten, wird verblüfft sein, wie schwer die eigenen Arme werden. | |
| ## Rassismus rund um den Ring | |
| Ein Sujet spült „Über Boxen“ wieder und wieder an: den Rassismus der | |
| US-amerikanischen Gesellschaft, der vor dem Feld des Sports nicht Halt | |
| macht. Dass es überproportional viele schwarze Boxer gibt, erklärt Oates | |
| mit den mangelnden Aufstiegschancen und den schlechten Lebensbedingungen | |
| für schwarze Jugendliche. Boxen bietet einen Ausweg. Was nicht heißt, dass | |
| die Welt in und rund um den Ring frei von Rassismus frei wäre, im | |
| Gegenteil. | |
| Aus Furcht zu verlieren, lassen sich weiße Schwergewichtsboxer zu Anfang | |
| des 20. Jahrhunderts erst gar nicht auf afroamerikanische Herausforderer | |
| ein. Als Jack Johnson 1908 gegen den Champion Tommy Burns, einen weißen | |
| Kanadier, antritt, findet der Kampf in Sidney statt; und währenddessen, | |
| schreibt Oates, hallt „die Arena von Rufen wie ’Nigger‘ und ’schwarzer | |
| Geck‘“ wider. Johnson gibt sich nach seinem Sieg alles andere als | |
| bescheiden, unter anderem wagt er es, sich in der Öffentlichkeit mit weißen | |
| Frauen zu zeigen, das bringt das weiße Establishment maßlos gegen ihn auf. | |
| Eine Generation später gilt Joe Louis den US-Amerikanern zwar als Held, | |
| weil er 1938 den Deutschen Max Schmeling besiegt. Doch peinlich genau | |
| achten seine Berater darauf, dass er ein bescheidenes, nüchternes Image | |
| pflegt, das jede Assoziation mit Johnsons Flamboyanz verhindert. Es ist | |
| eine besonders bittere Ironie, dass Louis, der Champion, verarmt, sich als | |
| Wrestler verdingt, Drogen nimmt und am Ende seines 66 Jahre währenden | |
| Lebens in einem Casino in Las Vegas als „greeter“ arbeitet, als Grüßaugus… | |
| 8 Aug 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Cristina Nord | |
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