# taz.de -- Stephanie Bart über Boxer Trollmann: „Er hatte nur das Publikum�… | |
> Er war Sinto, Profiboxer, Frauenschwarm und NS-Opfer. Die Autorin hat | |
> einen Roman über Johann „Rukelie“ Trollmann geschrieben – und zeigt, w… | |
> er populär werden konnte. | |
Bild: 1907 geboren, 1944 im KZ Neuengamme ermordet: Boxer Trollmann. | |
taz: Frau Bart, Ihr Roman handelt von Johann „Rukelie“ Trollmann, einem | |
Profiboxer, der sehr populär war, der 1933 Deutscher Meister wurde und den | |
die Nazis im KZ ermordeten. Wie wurde ein Sinto-Boxer zum Star? | |
Stephanie Bart: Seine besondere Qualität war, dass er ein charismatischer | |
Mensch war. Der kam in den Ring, winkte kurz mit der Hand – und alle fanden | |
es toll und waren entzückt. Wenn unsereins kurz mit der Hand winkte, würde | |
man daran nichts Tolles finden. Außerdem sah er gut aus, das hilft | |
natürlich auch. | |
Er galt als eleganter Boxer. | |
Ja, wobei bemerkenswert ist, dass solche Boxer wie er, die sehr technisch | |
geboxt haben, in der Boxsportgeschichte zwar oft erfolgreich waren, aber | |
nicht geliebt wurden. Das Publikum will harte Kämpfe, will Blut sehen. | |
Trollmann aber hat technisch geboxt, und die Leute fanden ihn trotzdem gut. | |
Er hat es also verstanden, einen unpopulären Stil populär zu machen. | |
Warum war dieser einzigartige Boxer, als den Sie ihn beschreiben, über | |
Jahrzehnte vergessen? | |
Weil das nationalsozialistische Unrecht an Sinti und Roma nach 1945 | |
bruchlos fortgeführt wurde. In einem Urteil des Bundesgerichtshofs von 1956 | |
hieß es: „Die Zigeuner neigen zur Kriminalität, besonders zu Diebstählen | |
und zu Betrügereien. Es fehlen ihnen vielfach die sittlichen Antriebe zur | |
Achtung vor fremdem Eigentum, weil ihnen wie primitiven Urmenschen ein | |
ungehemmter Okkupationstrieb eigen ist.“ | |
Sie seien also nicht aus rassenideologischen Gründen verfolgt worden, | |
sondern wegen „ihrer asozialen Eigenschaften“, und das heißt: zu Recht. Mit | |
dieser höchstrichterlichen Begründung wurden Entschädigungsanträge bis in | |
die achtziger Jahre abgelehnt und wurde ein gesellschaftliches Klima | |
geschaffen, in dem einer wie Trollmann nicht wahrgenommen, geschweige denn | |
anerkannt werden konnte. | |
Seit den neunziger Jahren, im Grunde erst seit 2000, wird Trollmann endlich | |
wahrgenommen und gehrt: Es gibt ein Buch, das sich mit ihm beschäftigt, | |
einen Kinofilm über sein Leben, einige Boxhallen sind nach ihm benannt, es | |
gibt Gedenksteine. Wie denken Sie darüber? | |
Es ist gut und wichtig, dass an ihn erinnert wird. Allerdings heißt es oft, | |
Trollmann wäre ein großartiger Boxer zum falschen Zeitpunkt gewesen, gerade | |
so, als ob er ohne die Nazis hätte Karriere machen können. Das ist falsch. | |
Trollmann hat sich, zweieinhalb Jahre bevor die Nazis an der Macht waren, | |
um den Titel beworben und ist aus rassistischen Gründen und mit den | |
fadenscheinigsten Ausreden abgewiesen worden. | |
Erst als Erich Seelig, der jüdische Halbschwergewichtsmeister 1933, von den | |
Nazis vertrieben worden war, brauchte man Trollmann als Ersatz, es gab | |
sonst keinen, der es hätte machen können, und sein Preis für diesen | |
Ersatzeinsatz war der Titelkampf. Es ist natürlich Spekulation, aber ich | |
gehe davon aus, dass Trollmann ohne den Ausschluss der Juden und den | |
dadurch entstehenden Engpass den Titelkampf nie bekommen hätte. | |
Ist es denn falsch, Trollmann als Opfer zu sehen? | |
Ja und nein. Sie haben ihn am Ende umgebracht, insofern ist er Opfer, aber | |
er hat sie zuvor besiegt. Sie haben rassistische Gesetze erlassen und eine | |
KZ-Infrastruktur aufbauen müssen, um ihn zu töten, aber er hat sie mithilfe | |
gefärbter Haare geschlagen … | |
… In seinem letzten großen Kampf war Trollmann im Sommer 1933 gegen Gustav | |
Eder mit weiß gefärbten angetreten: als Karikatur eines arischen | |
Faustkämpfers, weil er wusste, dass er diesen Kampf verlieren musste. | |
Das Charakteristische an Trollmann ist, dass er die Opferrolle als | |
Angehöriger einer stigmatisierten Minderheit erst gar nicht angenommen hat. | |
Das klingt wie eine Analogie zu Muhammad Ali? | |
Mit dem wird Trollmann ja manchmal verglichen. Ali war politisch aktiv und | |
hatte eine Bürgerrechtsbewegung hinter sich. Er gehörte nicht einer | |
zahlenmäßig so kleinen Minderheit an, wie es damals Sinti und Roma im | |
Deutschen Reich waren. Trollmann hatte nichts und niemand hinter sich, | |
außer dem Publikum bei seinen Kämpfen. Boxerisch verwandt sind sie durch | |
ihre Beweglichkeit, das Tänzerische und vor allem darin, dass sie ihre | |
Gegner vermöge ihrer Klugheit besiegten. | |
Trollmann, ein deutscher Ali? | |
Ja, das kann man so sagen, man kann aber auch sagen, Ali, ein | |
amerikanischer Trollmann, dann liegt man immerhin chronologisch richtig. | |
Und was halten Sie von dem Vergleich Trollmanns mit Jack Johnson | |
(1878–1946). Der erste schwarze Schwergewichtsweltmeister ist doch der | |
Typus des unangepassten, rotzfrechen, souveränen und selbstbewussten | |
schwarzen Sportlers in Amerika? | |
Johnson hat wie Trollmann ohne Bürgerrechtsbewegung im Rücken gekämpft und | |
ebenfalls wie Trollmann, aber anders als Ali, keine „politischen | |
Statements“ gegeben. Andererseits hat Johnson keine Gelegenheit | |
ausgelassen, gegen die Gesetze der sogenannten Rassentrennung zu verstoßen. | |
Er war, wie Ali, aber anders als Trollmann, ich möchte fast sagen: auf eine | |
aggressive Art provokativ, während Trollmanns antirassistische Performances | |
immer auch Integrationsangebote an die Mehrheitsgesellschaft waren, also | |
weit freundlicher, versöhnlicher und obendrein unterhaltsam. | |
Hätten Sie Ihre Geschichte des „Deutschen Meisters“ auch entlang eines | |
anderen Sports erzählen können? | |
Wenn Trollmann Synchronschwimmer oder Eiskunstläufer gewesen wäre, hätte | |
ich sie auch erzählt. Aber es stellte sich heraus: Sie konnte es nur im | |
Boxen geben. Erstens wäre sie in einem Mannschaftssport nicht möglich | |
gewesen, dort hätte Trollmann nicht so unabhängig agieren können, wie es | |
für seine Aktionen erforderlich war. | |
Zweitens musste es ein Kampfsport sein, denn in anderen | |
Individualsportarten hätten wir nie diese sehr starken und eindeutigen | |
Bilder wie im Boxen bekommen, die so sehr und so präzise die rassistische | |
Ideologie zerlegen, und natürlich hätte in einer anderen Sportart als Boxen | |
die Pointe gefehlt, dass es ausgerechnet die für die Nazis wichtigste und | |
insofern die nationalsozialistischste Sportart war. | |
Können Sie sich eine eine heutige Auflage Trollmanns vorstellen? Das | |
deutsche Profiboxen wird von Migranten dominiert, von denen aber die | |
meisten unter eingedeutschten Namen antreten … | |
… aber das funktioniert nicht. Gucken Sie in die Foren im Netz, wo sich die | |
Boxfans tummeln. Da wird immer auf den, wie es dann heißt: richtigen Namen | |
verwiesen – und so behauptet, dass die angeblich keine Deutschen sind, auch | |
wenn sie, wie etwa Marco Huck und Felix Sturm, die deutsche | |
Staatsbürgerschaft haben. | |
Aber genau das könnte doch Stoff sein für eine Neuauflage vom rebellischem | |
Boxen, wie es Trollmann vorgeführt hat. | |
Ich halte das heute für komplett ausgeschlossen. Man muss sich klarmachen, | |
wie die Situation eines Boxers heute ist. Wenn er überhaupt an die mediale | |
Oberfläche gelangt, wenn wir also überhaupt von ihm erfahren, dann weil er | |
einen Vertrag mit einem großen Promoter hat, und den will er auf keinen | |
Fall verlieren, denn damit verliert er seine berufliche Existenz. Solche | |
Alleingänge, wie Trollmann sie gemacht hat, würden sein Aus bedeuten. | |
Spätestens mit Trollmanns Titelkampf war ohne Zweifel klar, dass seine | |
Boxkarriere beendet ist, und vor dem Titelkampf sah es nicht danach aus, | |
als ob er sich den verscherzen könnte, weil man ihn ohnehin jedes Mal | |
abgewiesen hat. | |
15 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Martin Krauss | |
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