| # taz.de -- Buch über Boxen im Nationalsozialismus: Der Sieg des „Zigeunerbo… | |
| > Der Faustkämpfer „Rukelie“ Trollmann wurde 1933 Deutscher Meister. Dann | |
| > geriet er als Sinto in die Mühlen der nationalsozialistischen Genozide. | |
| Bild: Profiboxer Trollmann im Jahr 1928 als Nordwest-Meister der Amateure. | |
| Dass „Deutscher Meister“, der zweite Roman von Stephanie Bart, auf der | |
| Longlist für den Deutschen Buchpreis fehlte, wurde im vergangenen Herbst | |
| vielfach bemängelt. Ist doch die Geschichte des Boxers Trollmann, eines | |
| Sinto, um die deutsche Meisterschaft 1933, absolut buchpreistauglich: Sie | |
| steht exemplarisch für ein Stück deutscher Geschichte und ist von der | |
| Autorin hervorragend recherchiert. | |
| Heinrich Johann „Rukelie“ Trollmann war in den früher 30er Jahren ein Star | |
| des gerade gesellschaftsfähig gewordenen Boxsports. Gut aussehend, immer im | |
| Flirt mit dem Publikum und mit einem eigenen, sehr beweglichen Stil machte | |
| er in der Szene Furore. Unerwartet hat er im Sommer 1933 die Chance, um den | |
| Titel des deutschen Meisters zu kämpfen, er, der „Zigeunerboxer“, der bei | |
| den Olympischen Spielen 1928 wegen seiner Herkunft übergangen wurde. | |
| Der wichtigste Titelanwärter ist als Jude emigriert und der beliebte | |
| Trollmann soll für Publikum und Eintrittsgelder sorgen. Dass er den Kampf | |
| gewinnen könnte, haben die Boxfunktionäre nicht eingeplant. Doch der | |
| Gegner, Adolf Witt, wurde von seinem Trainer beim Versuch, einen „arischen“ | |
| Boxstil zu erproben, in eine schlechte Verfassung trainiert und hatte keine | |
| Chance. | |
| Dieser Boxkampf wird von Bart auf 100 Seiten fast in Echtzeit geschildert, | |
| und keine Seite davon ist langweilig. Im Ring findet der Kampf des | |
| „Zigeunerboxers“ um Gerechtigkeit statt, am und um den Ring hat sich ein | |
| Abbild der Berliner Gesellschaft eingefunden, NS-begeisterte | |
| Boxfunktionäre, Schwule und Lesben, die Großfamilie Trollmann, Lehrlinge | |
| und Hobbyboxerinnen. | |
| ## Ein Gewirr aus Namen | |
| Bis es so weit ist, bis der Kampf beginnt, sind 200 Seiten vergangen, die | |
| dagegen ganz schön zäh werden können. Viele Figuren werden vorgestellt, | |
| ohne wirklich plastisch, wiedererkennbar zu werden. Zu zeigen, wie einfache | |
| Leute mit den politischen Veränderungen umgehen, ist absolut lobenswert. | |
| Schade nur, dass diese Figuren dann oft reden wie aus dem schlechten | |
| Volkstheater, „nicht von Pappe“ und „Frolleinchen“ und „nu bleib mal … | |
| Teppich“. | |
| Allein die vielen Nachnamen, um die siebzig sind es in der ersten Hälfte | |
| des Buchs, wenn man die berühmten („Beinhorn“, „Schmeling“, „Hitler�… | |
| abzieht – alle Achtung, wer da den Überblick behält! Man muss sich nicht | |
| alle merken, aber leider weiß man ja erst hinterher, wer später noch | |
| wichtig wird. Handelt es sich etwa bei „Schlachter“, „Bishop“, dem „a… | |
| Brätzke“ und „Heyl“ um Tschechow’sche Gewehre, die später abgefeuert | |
| werden? | |
| Wer neben zig namentlich genannten Boxfunktionären, Druckereilehrlingen, | |
| längst vergessenen Boxern und Ringrichtern Hauptfigur ist – es gibt mehrere | |
| –, wird erst nach und nach klar. Da geht man mal mit Johann „Rukelie“ | |
| Trollmann, dem „Deutschen Meister“ zum Training, mal mit seinem Gegner | |
| Adolf Witt und „Schlachter“, seiner Verlobten ins Grüne und folgt dann | |
| wieder dem „ersten Vorsitzenden“ auf seinem Säuberungsgang durch die | |
| Boxinstitutionen. | |
| Es lohnt sich, bis zum Kampf durchzuhalten. Ab da nimmt die Geschichte | |
| Fahrt auf, und auch die Bürger am Ring bekommen nun anständige Rollen. | |
| ## Der „Hitler des deutschen Berufsboxens“ | |
| Die Vorgänge im „Verband der Faustkämpfer“ sind NS-Politik im Kleinen, | |
| inklusive Verabschiedung einer „Ermächtigungssatzung“. Nicht erklärt wird, | |
| wieso alle zustimmen, obwohl die „Säuberung“ dem Boxsport offensichtlich | |
| mehr Nachteile als Vorteile bringt: Jüdisch oder nichtdeutsch geführte | |
| Boxschulen werden geschlossen, man trennt sich von Vorstandsmitgliedern und | |
| Ringrichtern, einer der erfolgreichsten Boxer der Zeit wird in die | |
| Emigration getrieben. | |
| Der „erste Vorsitzende“, der den Umbau des Verbands vorantreibt, ist von | |
| Anfang an die – neben Trollmann selber – interessanteste Figur. Er will der | |
| „Hitler des deutschen Berufsboxens“ sein, er schafft es, Trollmann den | |
| Titel wieder zu nehmen, und scheitert am Ende doch. Trollmann verlässt den | |
| Ring nach einem letzten Kampf geschlagen, aber hat die Funktionäre noch | |
| gründlich vorgeführt. | |
| Der Boxsport war bei der „Säuberung“ im nationalsozialistischen Sinne ganz | |
| vorne dabei, früher als alle anderen Sportarten. Dabei lässt die Autorin | |
| die interessantesten Fragen offen, etwa warum der „erste Vorsitzende“ so | |
| vorauseilend handelt. Die „jüdische Weltverschwörung“ sei schuld daran, | |
| dass er seinen Metzgerladen schließen musste, lautet die Erklärung im Buch. | |
| Aber wie wird einer vom gescheiterten Fleischwarenhändler schon Anfang 1933 | |
| umstandslos zum Vegetarier und übereifrigen NSDAP-Mitglied? Stephanie Bart | |
| wird einen Grund gehabt haben, ausgerechnet dem „ersten Vorsitzenden“ | |
| keinen Namen zu geben, obwohl er eng an die historische Figur Georg Radamm | |
| angelehnt ist. Das böte eigentlich mehr Raum für Fantasie bei der | |
| Ausgestaltung der Figur. | |
| Auch wenn es 100 Seiten weniger genauso getan hätten: Stephanie Bart | |
| erzählt eine große Geschichte insgesamt spannend, mit Respekt vor den | |
| historischen Personen, gibt gegen Ende den Figuren genügend Raum. Wie und | |
| warum Bürger zu Tätern, Mitläufern und Profiteuren des NS-Regimes wurden | |
| (oder eben nicht), dafür gibt es in „Deutscher Meister“ viele Erklärungen | |
| im Kleinen. | |
| 28 Dec 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Angela Leinen | |
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