| # taz.de -- Roman über Eroberung Amerikas: Die Welt als stinkendes Irrenhaus | |
| > „Die Eroberung Amerikas“ heißt der neue Roman von Franzobel. Der | |
| > Österreicher erzählt darin in wüsten Szenen von einem erfolgsverwöhnten | |
| > Konquistador. | |
| Bild: Der spanische Konquistador Hernando de Soto kommt in Florida an. Kupferst… | |
| Wenn ein neuer Roman, der sich vom Restwerk eines Schriftstellers deutlich | |
| abhebt, bei Publikum und Kritik gut ankommt, liegt es nahe, dass der | |
| Bejubelte auf dem ästhetischen Pfad, den er eingeschlagen hat, auch künftig | |
| weiterzugehen versucht. | |
| Der [1][österreichische Schriftsteller Franzobel], der mit bürgerlichem | |
| Namen Franz Stefan Griebl heißt, ist ein fleißiger, äußerst vielseitiger | |
| und streitbarer Autor. Er schreibt derbe [2][Satiren auf sein Heimatland, | |
| veröffentlicht Trashkrimis], provoziert mit Theaterstücken, parodiert | |
| erotische Literatur, versteht sich bei allem schrägen und angriffslustigen | |
| Humor dennoch und vor allem als Humanist. | |
| Franzobel unterhält dabei ein breites Publikum und hat für sein Werk | |
| zahlreiche renommierte Auszeichnungen erhalten, etwa den | |
| Ingeborg-Bachmann-Preis, die Brecht-Medaille und den | |
| Arthur-Schnitzler-Preis. | |
| Zuletzt erschien sein historischer Roman „Das Floß der Medusa“, der auf der | |
| Shortlist des Deutschen Buchpreises stand und für den der Autor den | |
| Bayerischen Buchpreis erhielt. Darin erzählt der Autor vom hohen | |
| moralischen Preis, den die wenigen Überlebenden einer Schiffskatastrophe | |
| Anfang des 19. Jahrhunderts zu zahlen hatten. Mit diesem historischen Roman | |
| betrat Franzobel in formaler, aber auch inhaltlicher Weise literarisches | |
| Neuland. Ernster wirkte die Prosa, auch wenn die Komik nicht zu kurz kam. | |
| Die aktuellen Bezüge konnten herausgelesen werden, waren aber nicht | |
| ausbuchstabiert. | |
| ## Nach wahren Begebenheiten | |
| Sein neues Werk trägt den Titel „Die Eroberung Amerikas“ und am Anfang des | |
| Buchs, das Franzobel einen „Roman nach wahren Begebenheiten“ nennt, steht | |
| ein Porträtbild. In glänzender Rüstung präsentiert sich der spanische | |
| Konquistador Hernando de Soto. Sozusagen ein Eroberer, wie er im Buche | |
| steht. Unter dem Bild ein Zitat von Joseph Conrad aus seinem Roman „Herz | |
| der Finsternis“: „Eroberer haben sich noch nie mit Ruhm bekleckert.“ | |
| Das gilt auch und vor allem für die Hauptfigur in „Die Eroberung Amerikas“, | |
| die Franzobel auf gut Deutsch Ferdinand Desoto nennt. Damit markiert der | |
| Autor eine gewisse Distanz zum historischen Vorbild, auch wenn die Eckdaten | |
| übereinstimmen, wie Franzobel im Nachwort versichert. „Natürlich handelt es | |
| sich hier um einen Roman, manchmal habe ich geflunkert, und einiges | |
| erfunden, aber grundsätzlich wollte ich die Geschichte möglichst wahrhaftig | |
| erzählen.“ Was aber bedeutet „Wahrhaftigkeit“ in diesem Zusammenhang? | |
| Mit jener „Geschichte“ ist eine der größten Expeditionen des 16. | |
| Jahrhunderts gemeint: 1538 gab die spanische Krone dem Kriegshelden Desoto | |
| den Auftrag, La Florida „zu erobern, zu bevölkern und zu befrieden“. | |
| Florida war im damaligen Sprachgebrauch das gesamte Land nördlich von | |
| Mexiko. Schon vor der großen Florida-Reise hatte Desoto viel erreicht. Er | |
| war bereits bei der Eroberung Panamas und Nicaraguas dabei, und zusammen | |
| mit dem besonders rücksichtslosen Francisco Pizarro führte er im heutigen | |
| Peru blutige Schlachten gegen das Volk der Inka. | |
| Zwischenzeitlich ließ sich Desoto in Sevilla nieder, heiratete eine | |
| ungeliebte Frau aus einer reichen kastilischen Familie mit guten | |
| Verbindungen zum spanischen Königshof. Desoto war zu dieser Zeit also ein | |
| vermögender und bekannter Mann, doch er hatte wohl Angst vor | |
| „Lebensstumpfsinn und Bedeutungslosigkeit“, wie Franzobel es formuliert. Es | |
| gab also viele Gründe, die Heimat zu verlassen und ein weiteres Abenteuer | |
| zu erleben. | |
| ## Ruhmsucht und Größenwahn | |
| Ruhmessucht und Größenwahn lassen aufkommende Zweifel schnell wieder | |
| verschwinden. Sehr bildreich beschreibt Fanzobel die Vorbereitungen der | |
| Expedition: Seeleute mit den unterschiedlichsten Lebenswegen werden | |
| eingestellt, naive Glücksritter, gesuchte Banditen und windige | |
| Geschäftemacher. Köche, Soldaten, Priester und Schriftgelehrte werden | |
| rekrutiert. Das Spektakel gleicht, so nennt es der Autor, einem | |
| „frühneuzeitlichen Casting mit gestrenger Jury“. | |
| Parallel zur Expedition, die von Gomera nach Kuba und schließlich über | |
| Florida in die heutigen Südstaaten der USA führt, erzählt Franzobel die | |
| Geschichte eines Gerichtsverfahrens, das im Hier und Jetzt angesiedelt ist. | |
| Ein New Yorker Anwalt klagt im Namen aller indigenen Stämme gegen die | |
| Vereinigten Staaten und verlangt radikale Wiedergutmachung für historische | |
| Verbrechen: „Sie bezichtigten die USA der illegitimen Landnahmen, wollten | |
| eine Rückgabe des gesamten Bundesgebietes – und zwar einschließlich Alaska | |
| und Hawaii sowie aller beweglichen und unbeweglichen Güter.“ | |
| Der zuständige Richter hält das Verfahren für „völlig idiotisch“, doch | |
| Franzobel nutzt seine literarischen Freiheiten und lässt den Ausgang des | |
| Prozesses durch ein paar juristische Winkelzüge keineswegs eindeutig | |
| erscheinen. Trotzdem wirkt dieser Handlungsstrang nicht überzeugend. | |
| ## Ungerechtigkeit der Eroberungsfeldzüge | |
| Die Aktualität der historischen Ereignisse, die unfassbare Ungerechtigkeit | |
| der Eroberungsfeldzüge, die auch bis heute nachwirken, hätten nicht durch | |
| diesen etwas dünnen Jura-Klamauk illustriert werden müssen. Ohnehin krankt | |
| der Roman ein wenig an Überdeutlichkeit. Was vor allem an einer | |
| Erzählerinstanz liegt, die als eine Art allwissender Moderator zwischen den | |
| Ebenen hin und her schaltet. | |
| Manchmal geht es direkt von einem Geburtsbett in den Gerichtssaal: „Es war | |
| ein Junge, der zu Ehren Desotos den Namen Ferdinand erhielt. Lassen wir den | |
| Leuten Zeit, sich an diesem Säugling zu erfreuen, und schauen wir, wie es | |
| um die Restitution der USA an die Indianer steht.“ | |
| Gerade diese Übergänge des zwar politisch nicht immer korrekten, dann aber | |
| doch moralisierenden Bänkelsängers sind nicht besonders elegant. Das wollen | |
| sie auch nicht sein. In diesem Roman sollen die Szenen nahezu ausnahmslos | |
| drastisch dargestellt werden. Ständig haben irgendwelche Leute Flatulenzen. | |
| Wenn etwas die Zeit der Eroberungsfeldzüge und die Welt der modernen | |
| Globalisierung verbindet, so scheinen es heftige „Darmwinde“ zu sein. | |
| So plausibel es ist, die Welt als stinkendes Irrenhaus zu beschreiben, die | |
| fehlenden Nuancen werden auf der langen Strecke zum Erzählproblem. Denn so | |
| werden durchaus interessante Nebenfiguren, die sich zum ruppigen Sound | |
| hätten querstellen können, zu dekorativen Farbtupfern im ansonsten blutrot | |
| eingefärbten Schlachtengemälde. | |
| ## Sie kennen das Terrain besser | |
| Desoto jedenfalls scheitert auf ganzer Linie. Weil sich die Spanier als | |
| Schlächter erweisen, wehren sich die Ureinwohner zunehmend. Sie kennen das | |
| Terrain besser und bewegen sich in den Sumpfgebieten geschickter als die | |
| schwerfälligen Besatzer. Die Truppe wird von Woche zu Woche dezimiert, die | |
| erhofften Reichtümer, etwa ein erträumtes „Goldland“, sind nicht in Sicht. | |
| Auch Wetterkapriolen, wilde Tiere und Krankheiten demoralisieren die | |
| stolzen Eroberer. | |
| Dermaßen verschlungenen sind die Wege der Expedition, dass bis heute | |
| darüber gestritten wird, welche Orte Desoto tatsächlich aufgesucht hat. | |
| Kaum war der Mississippi entdeckt, stirbt der geschwächte Anführer. Und der | |
| Erzählergott fällt ein gnädiges Urteil: „Es waren Männer wie er, die der | |
| weißen Spezies und dem Christentum die Vorherrschaft über die Welt | |
| sicherten. Trotz der Schrecken, die seine Truppe verbreitete, war die | |
| Leistung dieser Leute übermenschlich.“ | |
| Warum Franzobel zum Schluss auch noch ein Loblied auf das männliche | |
| Durchhaltevermögen singt, ist schwer nachzuvollziehen. Im Nachwort gibt der | |
| Autor zu, ohne das beherzte Eingreifen des Verlegers wäre das Buch | |
| „bestimmt doppelt so dick geworden“. | |
| Keine angemessene Form | |
| Schon in dieser Fassung mit rund 550 Seiten gibt es leider Längen und | |
| Wiederholungen, vor allem viele grausame Szenen, die vergangene | |
| Gesellschaften durchaus realistisch beschreiben, in der Lektüre dann aber | |
| doch sowohl ermüdend als auch abstoßend sind. Vor allem wenn das Schlachten | |
| noch mit einer flapsigen Bemerkung garniert wird: „Am Ende des Scharmützels | |
| lagen zwölf Eingeborene tot am Boden. Kein guter Beginn für einen | |
| bilateralen Austausch.“ | |
| In seinem großen Roman „Das Floß der Medusa“ vermochte sich Franzobel in | |
| den entscheidenden Momenten des ebenfalls wüsten Stoffs sprachlich | |
| zurückzuhalten, um immer noch genug barock-böse Fabulierlust zu bieten. In | |
| seiner „Eroberung Amerikas“ findet er für den wahrlich interessanten Stoff | |
| aber keine angemessene Form. Der Prozess der indigenen Völker gegen die USA | |
| dauert in „Die Eroberung Amerikas“ genau so lange wie die | |
| Desoto-Expedition, nämlich viereinhalb Jahre. | |
| Die Schlusspointe lässt den Romantitel noch einmal in einem anderen, | |
| nämlich aktuelleren Licht erscheinen. Doch das politische Wunschkonzert, | |
| das hier angestimmt wird, wirkt sehr bemüht. Wie eine matte Persiflage der | |
| Westernliteratur: „Hugh, sagten die Indianer. Die Menge applaudierte.“ | |
| 3 Feb 2021 | |
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| Carsten Otte | |
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