| # taz.de -- Robert Habeck und seine Kandidatur: „Mein Herz blutet“ | |
| > Der Grünen-Politiker Robert Habeck würde sein Ministeramt für den | |
| > Parteivorsitz aufgeben. Ein Gespräch über sinnlose Flügelkämpfe und den | |
| > Jamaika-Blues. | |
| Bild: Mit Ambitionen: Robert Habeck | |
| taz: Herr Habeck, Sie werden seit Monaten für den Parteivorsitz der Grünen | |
| gehandelt. Wie haben Sie sich entschieden? | |
| Robert Habeck: Die Entscheidung ist mir extrem schwergefallen, weil ich | |
| viele Dinge gegeneinander abwägen musste. Jetzt ist für mich der Moment | |
| gekommen, um zu sagen: Ich möchte gerne Bundesvorsitzender meiner Partei | |
| werden. Deshalb werde ich mich auf der Bundesdelegiertenkonferenz im Januar | |
| um dieses Amt bewerben. | |
| Warum glauben Sie, dass Sie ein guter Parteichef wären? | |
| Es müssen andere beurteilen, ob sie mich für geeignet halten. In meiner | |
| Zeit als Partei- und Fraktionschef in Schleswig-Holstein haben wir den | |
| Landesverband zu einer geschlossenen, flügelfreien Partei gemacht, voller | |
| Ideen und selbstbewusst. Und das aus der Opposition heraus. Als Minister | |
| setze ich diese Ideen im sechsten Jahr um, mit all den Konflikten, die es | |
| bedeutet: Wir wollen Stromnetze und Windräder für die Energiewende, sehen | |
| aber, wie das Land und Natur verändert und Menschen ärgert. Dafür Lösungen | |
| zu finden, die gesellschaftlich akzeptiert werden, erdet ungemein und | |
| zwingt zu Demut und Respekt. All das würde ich gern im Bundesvorstand | |
| einbringen: meinen Kampfesgeist und meinen Idealismus – und das mit beiden | |
| Füßen auf der Erde. | |
| Sie haben lange überlegt, ob Sie antreten sollen. Was hat den Ausschlag | |
| gegeben? | |
| Wir befinden uns in einer definierenden Zeit – gesellschaftlich und als | |
| Partei. Altbekanntes löst sich auf, viele Menschen sind verunsichert und | |
| suchen Halt. Ich sehe die große Chance, dass die Grünen eine bindende Kraft | |
| in der linken Mitte entfalten können. | |
| Wie? | |
| Wir Grüne können der Demokratie den Idealismus und die Visionskraft | |
| zurückgeben. Und Leidenschaft und Verantwortung – deshalb machen wir das | |
| doch. Der Anspruch wäre, nicht nur grüne Partikularinteressen zu bedienen, | |
| sondern die ganze Gesellschaft in den Blick zu nehmen. Mit einer | |
| Kombination aus Relevanz und Idealismus können wir weit kommen. | |
| Ist die Lage der Grünen nicht eher trist? Sie standen kurz vor einer | |
| Regierungsbeteiligung – und landen nun wohl wieder in der Opposition. | |
| Ja, und die Gefahr ist da, dass der Blues des Scheiterns von Jamaika zur | |
| Dauerschleife wird. Gerade deshalb müssen wir den Rock ’n’ Roll des | |
| Gelingens spielen. Dabei hilft, dass die Grünen geschlossen wie nie | |
| dastehen. Die Erfahrungen im grünen Sondierungsteam gehören zu den besten | |
| meiner politischen Laufbahn. In dem Spirit finde ich mich wieder, auch wenn | |
| es tragisch endete. Wenn wir Grüne weiter in diesem Geist handeln, sind wir | |
| unglaublich stark. | |
| Stark? Sie stellen die kleinste Fraktion im Parlament. Das heißt wenig | |
| Redezeit, kaum Aufmerksamkeit. | |
| Keiner sagt, dass es leicht wird. Uns drohen Aufmerksamkeitsverlust und | |
| Irrelevanz. Aber genau deshalb muss jeder überlegen, was er beitragen kann, | |
| um das zu verhindern. Ich will gerne das Meine tun. | |
| Wird die Geschlossenheit überdauern? Realos und Linksgrüne kämpften oft | |
| erbittert gegeneinander. | |
| Flügelstreitigkeiten müssen wir hinter uns lassen. Deshalb: Ich kandidiere | |
| ausdrücklich flügelunabhängig, als Kandidat für die Gesamtpartei. Alles | |
| andere macht aus dem Bundesvorstand ein arithmetisches Nullsummenspiel: | |
| Linker plus Realo gleich null. Das nivelliert jede Kraft. Sowenig sich die | |
| Grünen auf Einzelinteressen bestimmter Milieus konzentrieren sollten, so | |
| wenig sollten das die Parteivorsitzenden tun. | |
| Wie stellen Sie sich die Zusammenarbeit mit einer Co-Chefin vor? | |
| Aus genau diesem Geist heraus: Der Vorstand muss sich stützen und | |
| vertrauen. Ich will Teil eines Duos sein, das seine Möglichkeiten | |
| verdoppelt, statt sich auszubremsen. Es wäre zum Beispiel | |
| Zeitverschwendung, zu zweit in jede Sitzung zu rennen. Dieses | |
| Aufeinanderaufpassen und Sichwidersprechen muss aufhören. | |
| Sie haben vor der Urwahl 2016 zu Cem Özdemir gesagt, Sie wollten den Job | |
| des Parteichefs nicht. Warum der Sinneswandel? | |
| Sinn der Urwahl war, sie zu gewinnen, und nicht, sich über Job-Sharing mit | |
| ihm rauskaufen zu lassen. Jetzt haben wir eine komplett andere Situation, | |
| für die Partei und gesamtpolitisch. | |
| Wie würden Sie Ihren Kurs als Parteichef in einem Satz beschreiben? | |
| Geschlossen, optimistisch, kampfeslustig. | |
| Interessant an den Jamaika-Sondierungen war, wie sehr sich Grüne und Union | |
| hinterher lobten. Liegt die grüne Zukunft in der bürgerlichen Mitte? | |
| Da wollen ja alle hin. Politik ist aber nicht Mengenlehre und malen nach | |
| Zahlen. Die Zukunft der Grünen liegt in progressiver, linksliberaler | |
| Politik: Was heißt Friedenspolitik, wenn digital gesteuerte Drohnen Kriege | |
| führen? Was heißt soziale Gerechtigkeit, wenn sich der Arbeitsbegriff, den | |
| wir kannten, auflöst? Unsere Aufgabe ist es dabei nicht, der Mehrheit | |
| hinterherzulaufen, sondern Mehrheiten herzustellen. Dafür müssen wir | |
| kämpfen. | |
| Den Grünen wird oft Besserwisserei vorgeworfen. | |
| Die Haltung muss sein: Wir fahren niemandem übers Maul. Wir respektieren, | |
| dass andere andere Interessen haben. Und wir wissen, dass Kompromisse | |
| Demokratie erst möglich machen. Aber wenn wir zeigen, dass unsere | |
| Positionen der Mehrheit und sogar den Kritikern dienen können – zum | |
| Beispiel eine andere Agrarpolitik für die Bauern – dann gewinnen wir. Mit | |
| Demut zum Erfolg. Auf dieser Haltung gründete sich unsere Stärke in den | |
| Jamaika-Sondierungen. | |
| Man könnte auch sagen: Die Grünen haben sich maximal biegsam präsentiert, | |
| oder? | |
| Wir haben uns maximal in die Pflicht nehmen lassen. Wir haben wie die Tiger | |
| für den Klimaschutz gekämpft. Aber wir blieben gesprächsbereit und haben | |
| beweisen müssen, dass unsere Ideen wirklichkeitstauglich sind. Also etwa: | |
| dass die Stromversorgung auch mit Kohleausstieg sicher ist. Wirklichkeit | |
| ist nicht das Gegenteil von Idealismus, beides bedingt sich gegenseitig. | |
| Die Grünen stehen seit dem Ende von Jamaika ohne Machtoption da. Hat Ihre | |
| Partei das eigentlich schon realisiert? | |
| Das Scheitern der Gespräche kann sogar ein politischer Kipppunkt gewesen | |
| sein. Die SPD wird in einer Groko wahrscheinlich weiter erodieren, die | |
| Linke flieht in den Populismus, die FDP entfernt sich von der Mitte. Und | |
| verglichen mit Söder ist Seehofer nahezu progressiv. | |
| Aber? | |
| Politik ist nichts Statisches. Es liegt an uns, das Ding zu drehen. Die | |
| Grünen müssen eine Dynamik in die linke Mitte bringen, die nicht | |
| aufzuhalten ist. Wir müssen Aufbruch und Mut unter den Bedingungen des 21. | |
| Jahrhunderts reanimieren. | |
| Sie glauben an eine starke, progressive Bewegung? Die Bundestagswahl hat | |
| einen Rechtsrutsch abgebildet. | |
| Ja, das tue ich. Den harten, rechten Rand kriegen wir natürlich nicht, und | |
| den will ich auch gar nicht. Aber den politischen Diskurs, die | |
| Meinungsführerschaft, die darf er nicht bestimmen. Wenn alle Talkshows | |
| ständig die neueste AfD-Provokation durchhecheln, ist das nicht einfacher. | |
| Entscheidend ist das eigene Agendasetting. Wir sehen ja, dass populäre | |
| Linksliberale das Tableau umkrempeln können. Als Macron angefangen hat, | |
| schien der Rechtspopulismus unbesiegbar zu sein – aber er ist jetzt | |
| Präsident. Den Diskurs gegen rechts zu gewinnen ist also möglich, wenn es | |
| einem glaubhaft um die Res publica, Freiheit und Europa geht. | |
| Die Bundesgrünen versuchen seit Langem, hegemoniefähig zu werden – und | |
| landeten bei 8,9 Prozent. Was macht Ihre Partei falsch? | |
| In Schleswig-Holstein ist die Zustimmung in der Bevölkerung zu Partei und | |
| Personen groß. Das liegt im Kern an unserem Ethos, keinem Konflikt | |
| auszuweichen. Wir suchen sie geradezu. Wir mussten zum Beispiel | |
| diskutieren, ob wir in Schleswig-Holstein deutschen Atommüll aus der | |
| britischen Wiederaufbereitungsanlage Sellafield zurücknehmen. Nur so ließ | |
| sich damals der Knoten bei der Suche nach einem Endlager zerschlagen – und | |
| die Vorfestlegung auf Gorleben revidieren. Die Debatte war für uns | |
| schmerzhaft, aber wir haben uns dafür entschieden. | |
| Grüne lassen Castoren rollen. Warum hilft das? | |
| Die Menschen sehen, dass sich grüne Politik in der Wirklichkeit beweist. Es | |
| kommt darauf an, die intellektuelle Position in den Tag zu übersetzen. So | |
| ist es auch beim Braunkohleausstieg. Wir müssen jetzt die Kumpel und | |
| Bürgermeister in der Lausitz und in Nordrhein-Westfalen fragen: Was sind | |
| eure Sorgen? Was braucht ihr, damit ihr mitgehen könnt? | |
| Sie sind stellvertretender Ministerpräsident und Umweltminister in | |
| Schleswig-Holstein. Nach der Grünen-Satzung müssen Sie dieses Amt für den | |
| Parteivorsitz aufgeben. Sind Sie dazu bereit? | |
| Nach einer Übergangsphase würde ich mein Ministeramt in Schleswig-Holstein | |
| für den Parteivorsitz aufgeben. Aber ich muss meine Nachfolge und die | |
| begonnenen Dinge verantwortungsvoll regeln. Ich muss inhaltlich noch | |
| einiges aufs Gleis setzen: ein Landesbodenschutzprogramm anschieben, die | |
| komplizierten Planungen für die Windkraftanlagen in der neuen Regierung | |
| mitsteuern, eine Krisenstruktur für den Fall der Afrikanischen Schweinepest | |
| aufbauen und mehr. Die Aufstellung der Landesgrünen in dem Jamaika-Bündnis, | |
| in dem wir regieren, muss bedacht werden. Und ich arbeite in Kiel mit | |
| tollen Leuten zusammen, für die sich durch den Schritt etwas ändert. | |
| Solidarität bedeutet mir auch im Persönlichen etwas. | |
| Wie lang müsste die Übergangsphase sein? | |
| Pi mal Daumen ein Jahr. Ich wäre auf eine satzungskonforme Lösung | |
| angewiesen, die mir einen geordneten Übergang ermöglicht. | |
| Für Sie wäre es die endgültige Entscheidung für Berlin? | |
| Nicht Berlin als Ort. Aber wenn ich Bundesvorsitzender würde, würde ich in | |
| Zukunft Verantwortung in der Bundespolitik suchen. | |
| Herr Habeck, Sie geben einen Traumjob auf. | |
| Ja. Minister zu sein und Politik im Konkreten zu gestalten, ist das Beste, | |
| was ich bisher gemacht habe. Wenn ich als Parteichef gewählt werde, ist | |
| dieser Abschied ein schmerzvoller. Aber ich bin in erster Linie ein | |
| politischer Mensch, kein Amtsträger. Und wenn ich sage, wir müssen dahin | |
| gehen, wo es weh tut, dann gilt das auch für mich als Politiker. Aber mein | |
| Herz blutet. | |
| 10 Dec 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrich Schulte | |
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