# taz.de -- Restitutionsdebatte in Nigeria: Warten auf die Rückkehr | |
> In Benin City in Nigeria ist das Edo Museum of West African Art in | |
> Planung, in dem die Benin-Bronzen nach der Rückgabe ausgestellt werden | |
> sollen. | |
Bild: Bronzen aus dem Königreich Benin im heutigen Nigeria im Linden-Museum in… | |
„Während ich über die Bronzen spreche, tanze ich vor Freude“, sagt | |
Theophilus Umogbai, Kurator des nationalen Museums in Benin City im Süden | |
Nigerias, am Telefon. In den vergangenen Monaten haben immer mehr | |
europäische Institutionen angekündigt, die einst erbeuteten Kunstwerke an | |
Nigeria zurückzugeben. Umogbai zählt eine lange Liste auf. Zusagen gemacht | |
haben unter anderem die anglikanische Kirche, die deutsche Bundesregierung, | |
die Universität von Aberdeen und erst kürzlich das Nationalmuseum von | |
Irland. Endlich habe seine jahrelange Arbeit und die der 2007 gegründeten | |
Benin Dialogue Group vorzeigbare Ergebnisse, freut sich Umogbai. | |
Den Wendepunkt in die jahrelangen zähen Diskussionen brachte seiner Meinung | |
ein Besuch Emmanuel Macrons in Burkina Faso im November 2018. Frankreichs | |
Staatspräsident kündigte damals an, 26 Artefakte an den Staat Benin | |
zurückzugeben. Sie waren 1892 von französischen Truppen aus den | |
Königspalästen von Abomey, der Hauptstadt des damaligen Reichs Dahomey, | |
gestohlen worden. „Zum ersten Mal hat sich ein Präsident für die Rückgabe | |
eingesetzt. Das hat Druck erzeugt“, sagt Umogbai. | |
Benins Staatsgebiet ist nicht identisch mit dem gleichnamigen einstigen | |
Königreich Benin, aus dem die berühmten Benin-Bronzen stammen und das sich | |
im 16. und 17. Jahrhundert bis zur heutigen Megacity Lagos ausbreitete. | |
Kerngebiet war der heutige Bundesstaat Edo im Süden Nigerias. Die einstige | |
Republik Dahomey, wie sie vor der Unabhängigkeit von Frankreich im Jahr | |
1960 bis 1975 hieß, erhielt wegen der Bucht von Benin den Staatsnamen | |
Benin. Er gilt für die 64 ethnischen Bewohner*innengruppen als | |
neutral und vereint diese besser als Dahomey. Die Bucht von Benin wiederum | |
erinnert an das einstige Königreich. | |
Für die von dort stammenden Bronzen soll nun der Bau des Edo Museum of West | |
African Art (EMOWAA) beginnen. Damit beauftragt ist das Architekturbüro des | |
preisgekrönten ghanaisch-britischen Architekten David Adjaye. Noch sei | |
alles in der Anfangsphase, heißt es knapp aus der Presseabteilung des | |
Unternehmens. Erste Animationen zeigen, wie das neue Gebäude künftig | |
aussehen könnte. Architektonisch wird es an den angrenzenden Palast des | |
Obas, des traditionellen Herrschers von Benin City, angepasst, aus dem die | |
Bronzen einst geraubt und von Beamten der britischen Kolonialregierung und | |
Kaufleuten nach Europa verschleppt wurden. Als religiöse Ikonen standen | |
einige auch in den Schreinen der Stadt. Die Bedeutung der Artefakte für die | |
Region ist immens. Verbunden mit dem Bau sind archäologische Grabungen, die | |
für den Herbst geplant sind. | |
Das EMOWAA erhält international große Unterstützung und gilt als zentral | |
für die Rückgabe. So hat etwa das British Museum, in dessen Sammlung sich | |
mehr als 900 Beninbronzen befinden, angekündigt, den Bau mit vier Millionen | |
US-Dollar zu unterstützen. Ein Großteil des Budgets stammt aus dem Ausland. | |
Die Kritik, Europäer*innen würden sich anmaßen, die Restitution an ein | |
Museum zu koppeln, ist in Nigeria anders als noch vor ein paar Jahren nicht | |
mehr zu hören. | |
In der Hauptstadt Abuja erinnert sich Abba Isa Tijani, Direktor der | |
nationalen Kommission für Museen und Denkmäler (NCMM), noch gut daran: „Es | |
ist das Missverständnis, dass entwickelte Länder meinen, uns würden die | |
Strukturen fehlen. Was ist aber mit den Bronzen, die noch immer bei uns | |
sind? Sie werden in verschiedenen Museen gezeigt.“ Derzeit seien die | |
Standards dieser Museen zwar nicht mit denen im Ausland vergleichbar. Aber: | |
„Ein Argument, geraubte Gegenstände nicht zurückzugeben, ist das nicht“, | |
sagt Abba Isa Tijani: „Wir wollen unsere Museumslandschaft verbessern.“ | |
Dabei soll der neu gegründete Legacy Restoration Trust (LRT) um den | |
Unternehmer Phillip Ihenacho helfen, eine gemeinnützige Organisation zur | |
Unterstützung von Kunst und archäologischen Projekten. Beteiligt sind | |
Künstler*innen, Aktivist*innen, das Königshaus in Benin City, die Benin | |
Dialogue Group, die NCMM sowie die Landesregierung von Edo. Dort gilt | |
Gouverneur Godwin Obaseki, dessen zweite und letzte Amtszeit 2024 endet, | |
als begeisterter Unterstützer. | |
Für Kurator Umogbai ist Obasekis Zuspruch entscheidend für die Umsetzung. | |
Tatsächlich hängen Großprojekte in Nigeria enorm von Politikern in | |
Schlüsselpositionen ab. Nach einem Wechsel – selbst innerhalb einer Partei | |
– geraten ambitionierte Vorhaben schnell in Vergessenheit. Mit dem Bau des | |
EMOWAA wird nun das bedeutendste Museum des Landes in Edo State entstehen – | |
und diesen immens aufwerten. Denn abgesehen von den Bronzen ist Edo | |
international lediglich als Drehkreuz des nigerianischen Menschenhandels | |
bekannt. | |
„Endlich. Die Bronzen waren über Generationen nicht mehr in Nigeria“, freut | |
sich Peju Layiwola, Professorin für Kunstgeschichte an der Universität von | |
Lagos und Künstlerin. Bereits 2010 widmete sie ihre erste Soloausstellung | |
mit dem Titel Benin1897.com den geraubten Bronzen. In Nigeria war es | |
überhaupt die erste Ausstellung dazu. Layiwola stieß damit die Debatte über | |
Beutekunst an. | |
Dass ihr die Kunstwerke so viel bedeuten, liegt einerseits an ihrer | |
Familiengeschichte. Sie ist die Enkelin von Oba Akenzua II. „Sie sind die | |
Objekte, die den Königen, dem Clan, gehören. Sie sind Zeitzeugen, eine | |
Verbindung zu unseren Vorfahren und unser Erbe. Unter ihnen sind auch | |
religiöse Ikonen.“ Andererseits gelten sie als Inspiration für | |
Künstler*innen. „Auch meine Studierenden sprechen viel darüber“, sagt Peju | |
Layiwola. In den Ateliers in Benin City entstehen bis heute Bronzearbeiten, | |
die in ganz Nigeria bekannt sind. | |
Bei der Debatte um die Rückgabe gibt es für die Professorin einen | |
entscheidenden Aspekt: „Das Wichtigste, was wir diskutieren, ist die Frage | |
nach dem Eigentum.“ Dass die Bronzen zurück nach Nigeria kommen, zeige, | |
dass endlich anerkannt werde, wohin die Artefakte gehören. | |
Die langwierige und zähe Diskussion bringt nach Einschätzung des | |
NCMM-Direktors Museen weltweit künftig enger zusammen: „Unsere Beziehung | |
wird sich verbessern. Wir müssen über Wanderausstellungen mit den geraubten | |
Artefakten sprechen. Wenn sie in anderen Ländern gezeigt werden sollen oder | |
zum Forschungsgegenstand werden, dann werden wir den Zugang nicht | |
verwehren.“ Die Kooperation würde sich schon jetzt durch den Bau des EMOWAA | |
zeigen. | |
Erst einmal würden sich aber die Nigerianer*innen darauf freuen, sie | |
endlich zu sehen, betont Abba Isa Tijani. „Etwa 90 Prozent der Bevölkerung, | |
die nicht ins Ausland reisen können, hatten bisher keinen Zugang.“ Die | |
Debatte ist gleichzeitig eine Aufforderung an die Regierung: „Sie muss das | |
nationale Erbe schützen.“ So könne auch über Geschichte gesprochen werden. | |
Die spielt etwa in nigerianischen Schulen bisher eine untergeordnete Rolle: | |
Auf normalen Stundenplänen findet sich das Fach Geschichte nicht. | |
Vergangenheit wird nicht aufgearbeitet. | |
So groß die Freude im Bundesstaat Edo unter Künstler*innen, | |
Kunsthistoriker*innen und Regierungsvertreter*innen allerdings | |
ist: Eine öffentliche, nationale Debatte gibt es anders als in Deutschland | |
in Nigeria nicht. Abba Isa Tijani sagt zwar: „Die Bronzen haben für das | |
ganze Land, ja die ganze Region eine unermessliche Bedeutung.“ Aktuell | |
jedoch überzieht eine Welle der Gewalt das Land. Überall kommt es zu | |
Entführungen und Überfällen. Auch die Terrormiliz Boko Haram ist so präsent | |
wie schon lange nicht mehr. Diese Gewalt ist das beherrschende Thema, nicht | |
die Artefakte. | |
Bis diese in Benin City zu sehen sind, werden noch mindestens ein bis zwei | |
Jahre vergehen. „Es dauert sehr lange“, sagt in Lagos die Künstlerin Peju | |
Layiwola. Für Kurator Theophilus Umogbai ist das jedoch kein Problem: „Wir | |
konnten sie mehr als 100 Jahre lang nicht sehen. Jetzt können wir auch noch | |
ein wenig darauf warten.“ | |
23 May 2021 | |
## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
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