# taz.de -- Restaurantchefin übers Gastgeben: „Gastronomie ist Mitmachtheate… | |
> Kellnern ist kein angesehener Beruf. Dabei ist Gastgeben hohe Kunst. | |
> Gastronomin Ilona Scholl über Momente, in denen sie sich freut wie eine | |
> Schneekönigin. | |
Bild: Preisgekrönte Gastgeberin: Ilona Scholl im Kreuzberger Sternerestaurant … | |
taz am wochenende: Frau Scholl, es heißt nicht mehr „Guten Appetit“. Im | |
Restaurant wird mir der Teller immer öfter mit einem „Viel Spaß“ serviert… | |
Ilona Scholl: Das kommt mir nicht über die Lippen. | |
Auf die Antwort hatte ich gehofft. | |
Das klingt doch wie eine Aufforderung. Spaß kann man nicht verordnen. | |
Aber es freut Sie, wenn ein Gast sagt, er hat mit dem Teller „viel Spaß“ | |
gehabt? | |
Und wie. Jedes offene Wort, auch der Kritik, ist gut. Damit kann man besser | |
umgehen als mit verkniffenen Gesichtern. | |
Was ist das Erlebnis, das Sie in ihrem Restaurant Tulus Lotrek vermitteln | |
wollen? | |
Es geht darum, eine Atmosphäre zu schaffen, in der der Gast genießen kann: | |
das Essen, sich selbst, die Menschen um sich herum. Wenn die Leute noch | |
lange sitzen bleiben, lachen, trinken, reden und ich merke, sie frönen | |
einfach der Lust am Leben, dann freu ich mich wie die Schneekönigin. | |
Köche sind die Stars in der Gastronomie. Wie wichtig die Menschen sind, | |
die das Essen servieren, wird dagegen verkannt. Gibt es eine Krise im | |
Service? | |
Ganz uneingeschränkt. Das soziale Prestige dieses Berufs ist total im | |
Eimer. Wobei: Immer mehr Köche und Gastronomen erkennen das Problem. Gute | |
Kellner und Kellnerinnen werden verzweifelt gesucht. | |
Beginnt es nicht schon bei der Begrifflichkeit? Sie sagen „Kellner“, das | |
klingt für mich verbraucht. | |
Ich habe überhaupt nichts gegen den Begriff. Was würden Sie denn sagen? | |
Ich bin ratlos. „Bedienung“ ist so neutral. Bei „Ober“ sehe ich stolze | |
Menschen in Livree vor mir. Aber dann müsste ich Sie „Oberin“ nennen. | |
(lacht) Also, ich bin gern Kellnerin. | |
Und wie sind Sie das geworden? | |
Ich bin Quereinsteigerin. Ich habe lange studiert, verschiedene Dinge. Erst | |
auf Lehramt, abgeschlossen habe ich dann mit Literaturwissenschaften, Musik | |
und Medien … | |
… und neben dem Studium immer gekellnert? | |
Genau. Das war ein toller Kontrast. Tagsüber in der Bibliothek in Büchern | |
zu blättern oder im Seminar schlauen Menschen zuzuhören – abends konnte ich | |
dem in der Kneipe rauschhaft die Realität dagegensetzen. Das war zünftig, | |
dreckig, manchmal auch frivol. Ich habe auch in Proletarierkneipen | |
gearbeitet, richtig mit Molle und Korn. Es hat mich geerdet, abgelenkt, mir | |
den Kopf frei geblasen. | |
Und wann wurde daraus der Beruf? | |
Das war kein plötzliches Ding. Ich bin keine Hasardeurin und auch nicht | |
dafür gemacht, selbstständig zu sein. Aber ich habe dann Max Strohe | |
kennengelernt, meinen Mann, den Koch hier. Er hat Mut für uns zwei. Das ist | |
der Grund, warum wir das Tulus Lotrek aufgemacht haben und ich nun die | |
Gastgeberin bin. Wir haben früh gemerkt, dass wir uns ergänzen. Und er hat | |
mir bedingungslos vertraut, was sein Essen angeht. Er hat mich früh | |
probieren lassen und wusste, dass es bei vielen Gerichten auch mal nötig | |
ist, zwei Sätze zu sagen. Diese kleine Unterbrechung des Tischgesprächs, | |
wenn ein Teller serviert wird, ist sehr wichtig im Restaurant. Manchmal | |
braucht ein Bild einen Rahmen, damit es erkannt und richtig angesehen wird. | |
Und das ist, was ich gut kann. | |
Auf der Karte stand neulich nur „Kartoffelpüree mit Soße“. Wie lautete der | |
Rahmen? | |
Ich fand es ein Gericht, in dem man den Winter verbringen kann. Max hat in | |
dem Püree einiges vergraben, beispielsweise den erdigen Geschmack der | |
Kartoffelschale und darunter noch Steinpilze. Dazu gab es | |
Steinpilzrahmsoße, das war der Knaller. | |
Sie sind also ein bisschen Galeristin. | |
Die Zeiten des devoten Pinguins am Tisch sind absolut passé. | |
Haben Sie auch Vorbilder? | |
Max und ich haben lange im „Frau Mittenmang“ in Prenzlauer Berg gearbeitet. | |
Dort bedient einer meiner absoluten Lichtgestalten, was das Kellnern | |
angeht. Andreas macht das auch nebenbei, er arbeitet eigentlich am Institut | |
für Sexualforschung an der Humboldt-Universität. Ein toller, humorbegabter, | |
eloquenter Mensch mit Witz. Er hat mir gezeigt, was der performative Aspekt | |
beim Service bedeutet. Der kann Spannung aus einer Situation rausnehmen und | |
mit einer griffigen Zweisätzebemerkung Gelächter an einem Tisch auslösen, | |
an dem gerade die Stimmung kippt. | |
Der performative Aspekt? Gastronomie ist doch kein Theater. | |
Aber wenn man so will, schon so etwas wie Mitmachtheater. Essen und Genuss | |
sind ja nichts Passives. Wer will denn heute noch abgespeist werden? Es | |
geht um das Interagieren, die Kommunikation, die Zwischenmenschlichkeit, | |
die mit und über einem guten Essen entstehen kann. Dafür ist mehr | |
notwendig, als den Teller von rechts anzureichen. | |
Bei Ihnen ist einiges anders, als man es kennt. Es gibt zum Beispiel keine | |
Reservierungskarten, die Namen sind mit Kreide groß auf den Tisch | |
geschrieben. | |
Weil es ganz Ihr Tisch ist. Den sollen sie besetzen. Und die anderen Gäste | |
dürfen das ruhig sofort sehen. | |
Sie müssen als Gastgeberin, das steckt schon wieder in der Begrifflichkeit, | |
die Kunst des Gebens beherrschen, auch wenn der Gast am Ende noch zahlt. | |
Ich bekomme immer mehr den Eindruck, sie besteht darin, dass der Gast sich | |
einlassen kann. Dass er annehmen kann. | |
Es ist wie bei einem Geschenk. Wir verpacken es, wir schreiben eine Karte | |
dazu, doch auch, damit sich der Beschenkte freuen darf und will. Und wenn | |
er sich nicht freut, dann ist das ein doppeltes Negativerlebnis, der | |
Beschenkte ist enttäuscht, der Schenker fühlt sich vielleicht sogar | |
schuldig. Wenn Gäste unser Lokal unzufrieden verlassen, dann geht mir das | |
so. | |
5 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Jörn Kabisch | |
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