# taz.de -- Repressionen gegen Kirill Serebrennikov: Wie man Seelen vertrocknen… | |
> Der Moskauer Regisseur Kirill Serebrennikov verliert die Leitung des | |
> Gogol Center. Dabei hat er mit dem Theater gerade ein Jubiläum gefeiert. | |
Bild: Theaterregisseur Kirill Serebrennikov bei einem Event im Moskauer Gogol C… | |
In Moskau sind die Theater offen. Gemeinsames Spazierengehen aber ist | |
verboten. So hatten Sicherheitskräfte am 2. Februar den Roten Platz | |
abgeriegelt, damit sich so vor dem Kreml keine Menschen versammeln können, | |
[1][um gegen die Verurteilung von Alexei Nawalny zu protestieren]. In den | |
Seitenstraßen unweit des Kremls hörte man sie umso lauter rufen: „Moskau, | |
komm raus!“ | |
Die Protestierenden kamen auf ihrem Marsch, bei dem sie von | |
Sicherheitskräften gejagt wurden, an vielen Theater- und Opernhäusern | |
vorbei, da sich die meisten Staatstheater in Laufnähe des Kremls befinden. | |
Das weltbekannte, relativ kleine Theater „Gogol Center“ liegt abseits des | |
Zentrums. Kirill Serebrennikov, sein Leiter, feierte am Abend des 2. | |
Februar mit Gästen den Geburtstag seines Theaters. 2012 hatte er das im | |
Dornröschenschlaf vor sich hindämmernde Gogol-Theater übernommen, in sechs | |
Monaten umgestaltet und am 2. Februar 2013 als Gogol Center eröffnet. Jetzt | |
stand er vor gefüllten Zuschauerreihen und hielt eine Rede, deren Refrain | |
„Achteinhalb Jahre“ ist. | |
Serebrennikov zog Bilanz: 60 Premieren, 35 Gastspielreisen und 1 Million | |
BesucherInnen. „Achteinhalb Jahre reichen aus, um weiter denen zu | |
misstrauen, die der Kunst Schaden zufügen und die Freiheit zerstören“, | |
positionierte er sich und ging auf die aktuellen Ereignisse ein: „Diese | |
Jahre haben gezeigt, dass Ungerechtigkeit abscheulich ist, so wie die | |
Hände, die Elektroschocker halten, aber das Theater gibt einem die | |
Möglichkeit, sogar über so etwas mit einem Lächeln nachzudenken.“ | |
## Fortsetzung der Bestrafung | |
Sieht man sich einen Mitschnitt des Abends an, fällt auf, dass Kirill | |
Serebrennikov die Rede, fast resignativ, vom Handy abliest. Menschen, die | |
ihn gut kennen, sagen, [2][dass ihm der lange Hausarrest, gefolgt vom | |
Prozess im letzten Jahr], in dem ihm Veruntreuung von staatlichen | |
Subventionen vorgeworfen wurde (ohne es beweisen zu können), stark | |
zusetzen. [3][Schon damals stand im Raum, ob er das Gogol Center, ein | |
Stadttheater, nach dem Prozess, bei dem er zu einer dreijährigen | |
Bewährungsstrafe verurteilt wurde,] weiter würde leiten können. | |
In der Nacht vom 2. zum 3. Februar, während man im Gogol Center noch | |
feierte, ließ die Moskauer Stadtverwaltung über die Nachrichtenagentur Tass | |
verbreiten, dass Kirill Serebrennikovs Vertrag, der Ende Februar 2021 | |
ausläuft, nicht verlängert wird. Serebrennikov hat sich demonstrativ | |
jeglichen Kommentars enthalten. | |
In dem unabhängigen Sender „Doschd“ bezeichnete die Schauspiellegende Lija | |
Achedschakowa (81) die Nichtverlängerung des Vertrags als politisch | |
motiviert und forderte ihre KollegInnen dazu auf, dem Regisseur und | |
Theaterleiter öffentlich zur Seite zu stehen. Auch im staatlichen Fernsehen | |
war das Gogol Center Thema. Dort warf man Serebrennikovs UnterstützerInnen | |
vor, den Vorgang unnötig zu politisieren, und holte sich Experten, wie den | |
bekannten Theaterkritiker Grigori Saslawski, um das offizielle Narrativ, | |
das sei doch nur ein schnöder Verwaltungsakt, mit Argumenten zu füllen. | |
Am 10.Februar zeigt das Gogol Center „Tote Seelen“, geschrieben 1842 vom | |
Namensgeber des Theaters, inszeniert vom (Noch-)Theaterleiter. Ausverkauft. | |
Im Kammertheater von Tscheljabinsk, einer mittelgroßen Stadt im Ural, | |
bereitet man zur Zeit eine Uraufführung vor. Viktoria Meschschaninowa | |
inszeniert die Satire „Wie wir Josef Stalin beerdigten“, geschrieben vom | |
ziemlich bekannten [4][Schriftsteller Artur Solomonow]. Es geht um ein | |
Theater und seinen Intendanten, der sich immer mehr verfängt im Spinnennetz | |
der Machthabenden. Kirill Serebrennikov kennt das Stück. Er findet es gut. | |
8 Feb 2021 | |
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## AUTOREN | |
Katja Kollmann | |
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