| # taz.de -- Regisseurin über Rechte in Österreich: „Waldheim entlarvt sich … | |
| > Die Regisseurin Ruth Beckermann zu Österreichs Waldheim-Affäre, den | |
| > Rechtsruck heute und ihren Film „Waldheims Walzer“. | |
| Bild: Politiker Kurt Waldheim lässt sich vor einem Fernsehauftritt den Anzug b… | |
| Ruth Beckermann ist trotz politisch-seismografischer Grundhaltung | |
| überrascht, wie radikal zeitgemäß ihr jüngster Film geraten ist, | |
| [1][„Waldheims Walzer“], der bei der Berlinale Premiere feierte und mit | |
| [2][dem Preis für den besten Dokumentarfilm ausgezeichnet wurde]. | |
| Österreich schickt die Österreich-Demontage nun sogar ins Rennen um den | |
| Auslands-Oscar. Zu sehen sind: ein Land und besonders eine Partei (die | |
| Volkspartei), die sich patriotisch gegen den World Jewish Congress in | |
| Stellung bringen, als Kurt Waldheims NS-Vergangenheit aufgedeckt wird – und | |
| ein Schatten auf seinen Präsidentschaftswahlkampf und die folgende | |
| Amtsperiode fällt. Der große staatsgenerierende Mythos, Hitlers „erstes | |
| Opfer“ gewesen zu sein, beginnt 1986 endlich zu erodieren. | |
| taz: Frau Beckermann, bei der Berlinale-Preisverleihung im Februar zogen | |
| Sie Analogien zu „den Herren Kurz, Strache, Trump“. | |
| Ruth Beckermann: Das kam spontan. So was kann ich mir nicht überlegen. | |
| Trump hat sich übrigens nicht bei mir gemeldet. Ich dachte, das wird ein | |
| Film, der in Österreich wichtig ist, aber dass der so eine Relevanz | |
| bekommt, das habe ich erst eigentlich verstanden, als Trump schon da war. | |
| Plötzlich wurde das zeitgemäß. | |
| „Vielleicht ist es kein Zufall, dass das alte Material ausgerechnet jetzt | |
| auftauchte“, heißt es im Film. | |
| Vor fünf Jahren habe ich mit meinem Sohn und seinen Freunden die alten | |
| VHS-Kassetten gesichtet. Fragen kamen auf, zu Nixon und Politikerlügen. | |
| Wer Waldheim war, wussten die gar nicht. „Damit musst du was machen!“ Ich | |
| wollte anfangs nicht, dachte, ich war doch eh dabei, wozu soll ich mich | |
| damit noch einmal beschäftigen. Aber man kennt immer nur einen kleinen | |
| Ausschnitt und ich wollte schauen, wie international berichtet wurde – von | |
| Briten, Amerikanern, nicht nur im ORF. | |
| Diese andere Seite war damals unbekannt? | |
| Mir war nur das Interview mit Israel Singer (dem Generalsekretär des World | |
| Jewish Congress, A. d. R.) bekannt und Reaktionen in Printmedien wie Le | |
| Monde. 1986 gab es noch kein Internet – so war übrigens diese patriotische | |
| Stimmung auch leicht zu erzeugen, weil alle nur ORF sahen und hörten. | |
| Heute gibt es Internet. Und patriotische Stimmungen. | |
| Ja, interessant … | |
| Wie verlief diese „Wiederbegegnung“ via Videomaterial? | |
| Es gab schon viel Abscheu, aber auch Erleichterung, nicht geschwiegen zu | |
| haben. | |
| Ihr Film ist analytisch, nicht anklagend. Welche Intentionen hatten Sie? | |
| Dass die Zuschauer*innen es als Parabel verstehen: die Mechanismen | |
| erkennen, wie man Gefühle schürt, wie man auf populistische Weise Wahlen | |
| gewinnen kann. Das funktioniert immer ähnlich: Man braucht den feindlichen | |
| Anderen. Heute sind es andere Gruppen, damals war es die so genannte | |
| „Ostküste“, von der als Code für das „Weltjudentum“ die Rede war. | |
| Bezieht das verschwörungstheoretische Repertoire heutzutage Israel aber | |
| nicht mit ein? | |
| Die Situation ist schon sehr anders. Denn die Rechtsextremen versuchen sich | |
| Israel anzubiedern – und werden von Netanjahu ja nicht gerade abgelehnt, | |
| siehe Orbán. Man kann gleichzeitig antisemitisch sein und sich Israel | |
| anbiedern, um damit wieder möglichst antimuslimisch zu sein. | |
| Waldheim und das Kreuz hingen in österreichischen Klassenzimmern side by | |
| side. Ich habe diesen Wahlkampf und die darauffolgende „Kampäjn“, wie es | |
| Waldheim gequält-verächtlich formulierte, miterlebt. Von der | |
| antisemitischen Niedertracht auf dem Wiener Stephansplatz (Stichwort: | |
| „Jüdische Drecksau!“), die der Film dokumentiert, war ich aber schockiert. | |
| Wie wäre das heute? | |
| Man kann sich so was schwer vorstellen, aber ich glaube schon, dass sich | |
| auch noch jemand finden würde, der da dagegen einschreitet. Da würde ich | |
| doch völlig verzweifeln, wenn ich das nicht mehr glauben würde. | |
| Apropos Verzweiflung: In einer anderen Szene führen Sie mit Ihren | |
| „Kampfgenossen“ im Café Strategiegespräche. Da geht es etwa darum, wie man | |
| Kritik an Falschdarstellungen übt, ohne beim Gegner eine | |
| „Jetzt-erst-recht“-Stimmung zu erzeugen. | |
| Wir waren anfangs sehr wenige. Von den Medien völlig ignoriert. Ein | |
| Interview mit Hubertus Czernin, der im Staatsarchiv als erster Waldheims | |
| Wehrstammkarte gefunden hat, habe ich im ORF vergeblich gesucht. Die | |
| Arbeiterzeitung oder das Profil schrieben gegen Waldheim. Aber die SPÖ hat | |
| damals sehr schnell verstanden, dass sie Wähler für ihren Kandidaten | |
| verlieren würde, wenn sie offen gegen Waldheim und den Antisemitismus | |
| auftreten würde. So wurden wir eben als „Verräter“ beschimpft. | |
| Von? | |
| Von allen möglichen Leuten. Als „Hochverräter“, die eben nicht „Patriot… | |
| sind, im Dienste fremder Mächte stehend. Ich war in Paris damals, dort | |
| herrschte genau die gegenteilige Stimmung. Es war, als wäre Österreich | |
| hinter dem Eisernen Vorhang geblieben! | |
| Kam die „jüdische Drecksau“ – eine Szene, die Sie 1986 selbst gedreht ha… | |
| – dennoch überraschend? | |
| Man ist in Österreich damit aufgewachsen. Das antisemitische Reden war | |
| alles andere als tabu. Ich habe das von der Volksschule an selbst erlebt. | |
| Eine Freundin, die ich zum Geburtstag einladen wollte, meinte, sie dürfe | |
| „nicht zu Juden in die Wohnung“. So gesehen war es fast befreiend, dass das | |
| mit einem Mal so öffentlich wurde. | |
| Sie rekonstruieren Waldheims Wahlkampf als Schocktherapie. | |
| Es war ein langer Prozess, diese Form zu finden. Ich hatte sehr viel | |
| Material und ursprünglich vor, Rückblenden zu machen, zu anderen Skandalen | |
| seit Kriegsende, der „Borodajkewycz-Affäre“ oder der | |
| „Kreisky-Peter-Wiesenthal-Affäre“. Skandale, die mit der NS-Zeit zu tun | |
| hatten, aber nicht weiterführten. Die aufkamen und wieder vergessen wurden. | |
| Alles ging weiter wie vorher: besonders die „Opferthese“. | |
| Der Film ist jetzt reduzierter und hat einen subjektiven Off-Kommentar. | |
| Ich wollte zunächst sogar noch die Historikerkommission miteinbeziehen, | |
| aber irgendwann hatte ich mich zur Chronologie der drei Monate Wahlkampf | |
| entschieden, mit Exkursen. Schnell war klar: Ich werde mit meinem eigenen | |
| Material beginnen und mich sofort als Autorin und Aktivistin damals | |
| positionieren. Den Off-Text habe ich erstmals im Schneideraum gesprochen. | |
| Spontan? | |
| Ja. Natürlich habe ich daran sprachlich gefeilt, aber es war gut, weil ich | |
| dadurch direkt über das Bild gesprochen habe. So bin ich etwa auf | |
| „Waldheims Hände“ gekommen … Ich habe diesen Film über 30 Jahre „dana… | |
| gemacht: Rückblickend betrachtet hat die Waldheim-Affäre etwas Gutes | |
| gebracht, weil sie dieses Kartenhaus zum Einsturz gebracht hat. Dieses | |
| Lügen-Kartenhaus der Opferthese. So konnte ich einen Ton finden, der nicht | |
| mehr militant oder böse sein musste, sondern in gewisser Weise amüsiert. | |
| Dazu passt Ihr sarkastischer Kommentar zu den Bildern im New Yorker | |
| Privatheim des UNO-Generalsekretärs Waldheim: seine Vorliebe für Reiter und | |
| Pferde, eine Anspielung auf den legendären Ausspruch des damaligen | |
| SPÖ-Bundeskanzlers, wonach zur Kenntnis zu nehmen sei, dass „nicht Waldheim | |
| bei der SA war, sondern nur sein Pferd“. | |
| Waldheim und die ÖVP-Politiker entlarven sich selbst. Ich hätte das | |
| entschärft, wenn ich zusätzlich eine Bashing-Ebene eingeführt hätte. | |
| Welche Schlüsse ziehen Sie aus Ihrer Neusichtung der Affäre? | |
| Das Besondere an Waldheim war – und das ist mir immer noch ein Rätsel –, | |
| dass er von diesem gleich nach dem Krieg zurechtgelegten Narrativ nicht | |
| abrücken konnte. Er hat nicht verstanden, dass die Zeiten sich geändert | |
| haben. Ein typischer Nachkriegspolitiker: Als die Opferthese aufkam, hat er | |
| damit Karriere gemacht. Er war zu starr zu sagen: „Es tut mir leid, dass | |
| ich diese zwei Jahre autobiografisch falsch beschrieben habe.“ | |
| Er hat auch nie zugegeben, dass er im Zuge dieses Wahlkampfs eine | |
| populistische Show abgezogen hat, wenn er den „anständigen Soldaten“ | |
| markiert hat, „wie 100.000 andere Österreicher auch“. | |
| Ich glaube, das hat er so gesehen. Und deswegen haben ihn diese alten, | |
| ehemaligen Soldaten und ihre Frauen auch gewählt. Weil sie sich mit ihm | |
| identifizieren konnten. | |
| Der Film zeigt auch: Wer Waldheim beschuldigte, galt als Lügner. Sein Sohn | |
| hingegen verteidigt ihn … | |
| Das Material vom US-Kongress-Hearing mit seinem Sohn zu finden, war | |
| Riesenglück: Plötzlich hast du eine theatrale Situation: beide Seiten | |
| zugleich in einem Saal. Fantastisch. | |
| Die Opferseite hat hier auch öffentlich die moralische Überlegenheit. | |
| Interessant ist, dass der Sohn den Vater voll und ganz verteidigt. Was für | |
| ein Familienzusammenhalt, wenn man es positiv sehen will. Oder auch: Was | |
| für eine autoritäre Familie das war … Er muss dem Vater geglaubt haben. Es | |
| haben ihm sehr viele Leute geglaubt. | |
| 1986 – unterm Strich? | |
| Wenn man ein Tabu bricht, kommt alles Mögliche hervor. Es hat sich eine | |
| Zivilgesellschaft gebildet, endlich. Gleichzeitig hat sich Haider im Herbst | |
| 1986 an die Spitze der FPÖ geputscht. Wobei die Rechtsextremen – ich habe | |
| das in meinem Buch „Unzugehörig“ abgedruckt – ja gesagt haben: „Natür… | |
| haben wir den Krieg genauso wie die Deutschen verloren.“ Aber das war nicht | |
| Mainstream. Der lautete: „Wir waren das erste Opfer. Die Deutschen waren | |
| die Nazis.“ | |
| 4 Oct 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Berlinale-Film-Waldheims-Walzer/!5482738 | |
| [2] /Preise-der-Berlinale/!5487099 | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Wurm | |
| ## TAGS | |
| Österreich | |
| ÖVP | |
| Antisemitismus | |
| KZ | |
| Dokumentarfilm | |
| Schwerpunkt Berlinale | |
| Schwerpunkt Berlinale | |
| Schwerpunkt Berlinale | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Dokumentarfilm über KZ-Todesmärsche: Wälder, die zu Mordstätten wurden | |
| Die neue Doku von Martin Gressmann heißt „Nicht verrecken“. Dort lässt er | |
| Überlebende der brutalen KZ-Todesmärsche zu Wort kommen. | |
| Dokumentarfilm über NY Public Library: Neue Räume schaffen | |
| Der Dokumentarfilm „Ex Libris. Die Public Library von New York“ von | |
| Frederick Wiseman zeigt, wie sich die Bibliothek stets neu erfindet. | |
| Zum Abschluss der Berlinale: Berührung mit Bären | |
| Die Berlinale ehrt mit „Touch Me Not“ einen umstrittenen Beitrag des | |
| Festivals. Das Festival muss sich um seine Relevanz keine Gedanken machen. | |
| Preise der Berlinale: Goldener Bär an „Touch me not“ | |
| Unter 19 Wettbewerbsfilmen entscheidet sich die Jury für einen Film, der | |
| schon bei der Pressevorführung für gemischte Reaktionen gesorgt hatte. | |
| Berlinale-Film „Waldheims Walzer“: Amnesia Austria | |
| Ruth Beckermanns Doku „Waldheims Walzer“ zeigt, wie die gesellschaftliche | |
| Mitte in Österreich die Abgrenzung zum Nationalsozialismus aufgab. |