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# taz.de -- Reformen in Jordanien: Wahlabstinenz und Königsmacht
> Mehrere Gesetzesänderungen sollen Jordaniens Parteien, Jugend und Frauen
> mehr Raum geben. Kritiker sagen, Macht bekomme vor allem der König.
Bild: Jüngsten Studien zufolge haben die meisten Jordanier*innen kaum Vertraue…
Amman taz | Jordaniens politisches System soll moderner werden: Mit diesem
Leitgedanken rief König Abdullah II vergangenes Jahr ein [1][„Königliches
Komitee zur Modernisierung des politischen Systems“ (RCMPS)] ins Leben. 92
Männer und Frauen sollten ein effektiveres Parteisystem etablieren und die
Teilnahme am politischen Geschehen fördern, besonders bei Frauen und
Jugendlichen.
Die Vorschläge sollten dann im Parlament diskutiert und umgesetzt werden.
Doch was dabei herausgekommen ist, geht in die entgegengesetzte Richtung,
sagen Kritiker*innen. Denn durch die neuen Verfassungsänderungen werde die
Macht des Königs größer. Vor allem die Entstehung eines Nationalen
Sicherheitsrates, der über Fragen der Sicherheits- und Auslandspolitik
entscheidet und im Notfall auf Einladung des Königs zusammenkommt, stimmt
manche nachdenklich. Denn der Rat hat nicht nur beratende, sondern auch
exekutive Macht. Der König ernennt schon jetzt den Regierungschef, Senat,
Chef der Armee und des Sicherheitsdienstes sowie den Präsidenten des
Verfassungsgerichts. Künftig wird er auch den Präsidenten des obersten
Gerichtshofes und weitere Amtsträger einsetzen.
Jordanien ist laut Verfassung eine Erbmonarchie mit parlamentarischem
System. Parteien spielen aber dabei keine große Rolle. Bei den Wahlen 2020
bekamen sie weniger als 10 Prozent der Sitze, fast alle für die islamischen
Gruppen. Die meisten Abgeordneten sind parteilos. Der Einfluss der Stämme
und familiärer Verbindungen auf die Wahlen ist sehr stark.
Die Änderungen, die dieses System modernisieren sollen, kommen zu einem
delikaten Zeitpunkt. Im April vergangenen Jahres wurde bekannt, dass der
[2][Halbbruder des Königs, Prinz Hamza bin Hussein, angeblich in eine
Verschwörung] gegen den König involviert sein soll. Und kürzlich brachten
die investigativen Berichte [3][„Pandora Papers“] und [4][„Suisse secrets…
über Immobilienkäufe und Konten Abdullahs im Ausland das Königshaus in
Erklärungsnot. In beiden Fällen bestritt es jedes Fehlverhalten und verwies
auf Ungenauigkeiten und von staatlichen Kassen unabhängige Vermögen.
## Wirtschaftliche Krise trägt zur Frustration bei
Wirtschaftlich navigiert das Land, das als sicherer Hafen in einer
krisengeplagten Region gilt, gerade durch mehrere Herausforderungen:
[5][Fast jede*r vierte Jordanier*in ist arbeitslos], darunter gut die
Hälfte der unter 25-Jährigen; die Pandemie hat dem Tourismus, für viele
eine wichtige Einnahmequelle, und den Kleinunternehmen einen harten Schlag
verpasst. Seit Jahren schwelt sogar unter Teilen der Stämme, die
traditionell als „Rückgrat“ der Monarchie und des Königreichs gelten, eine
gewisse Unzufriedenheit. Erst kürzlich gab es laut dem Nachrichtenportal
Middle East Eye Proteste, nachdem Stammesmitglieder nach
regierungskritischen Äußerungen in sozialen Netzwerken verhaftet wurden.
Nach jüngsten Studien haben zudem die meisten Jordanier*innen kaum
Vertrauen in Parlament und Politiker*innen. Dies zeigt sich an den Urnen:
Weniger als ein Drittel der Wähler*innen hat 2020 abgestimmt. Daran
ändern auch die häufigen Regierungsumstrukturierungen wenig. Für den
politischen Analysten Khaled Al-Qudah sind die Einschränkungen zur
Meinungsfreiheit ein großes Hindernis. „Das Darstellen von Aktivisten, als
wären sie eine Bedrohung für die nationale Sicherheit“ sei ein Problem. In
dem Land ist vor allem Kritik am König ein Tabu, doch auch Journalisten und
Aktivisten sind nicht vor Festnahmen gefeit. Die [6][US-Organisation
Freedom House hat kürzlich Jordanien in ihrem Freiheitsranking von „nur
teilweise frei“ auf „nicht frei“ zurückgestuft].
Wer durch die chaotischen Straßen des Zentrums Ammans schlendert, findet
kaum Menschen, die öffentlich über Politik reden wollen. In einem der
vielen Cafés sagt ein 32-Jähriger, er wähle nicht, denn Politiker
„vertreten nicht und fragen auch nicht, was wir brauchen“.
## Verfassungsänderung führte sogar zu Prügelei im Parlament
Ahmed Al-Khawaldeh, ein 24-jähriger Ingenieurstudent, hat hingegen die
Wahlkampagne eines Kandidaten aus der Stadt Mafraq 2020 mitorganisiert.
Und doch sagt er, er fühle, dass junge Menschen bei politischen
Entscheidungen kaum eine Rolle spielten. „Viele Jugendliche in Jordanien
wollen in der Politik etwas bewegen, sind sehr motiviert – doch sie
bekommen keine Chance.“ Aus seinem Engagement habe er gelernt, dass viele
Wähler*innen nicht wüssten, „wofür sie wählen, sondern nur für wen.“
[7][Korruption] und [8][Stimmenkauf] seien auch ein Problem.
Bislang hat vor allem ein Passus der Verfassungsänderung, der das Gendern
in das zweite Kapitel der Verfassung einbrachte, [9][dank der dadurch
ausgelösten Massenschlägerei im Parlament] internationale Aufmerksamkeit
bekommen. Es ist eine Änderung, die laut manchen Aktivist*innen mehr
Kosmetik als echter Wandel ist.
17 Mar 2022
## LINKS
[1] https://www.jordantimes.com/news/local/royal-committees-recommendations-aim…
[2] https://www.derstandard.de/story/2000125602599/jordaniens-prinz-hamza-will-…
[3] https://www.bbc.com/news/world-58781350
[4] https://www.theguardian.com/news/2022/feb/21/revealed-king-jordan-used-swis…
[5] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/370673/umfrage/arbeitslosenq…
[6] https://freedomhouse.org/country/jordan
[7] https://www.jordantimes.com/news/local/jordan-ranks-60th-globally-5th-regio…
[8] https://www.spiegel.de/politik/ausland/nahost-gewalt-ueberschattet-die-jord…
[9] https://www.spiegel.de/ausland/jordanien-abgeordnete-pruegeln-sich-im-parla…
## AUTOREN
Serena Bilanceri
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