| # taz.de -- Proteste in Jordanien: Kaum Vertrauen, kaum Freiheit | |
| > Die hohen Treibstoffpreise waren nur Auslöser der Proteste in Jordanien. | |
| > Dahinter steckt ein tiefes Bedürfnis nach gesellschaftlichem Wandel. | |
| Bild: Sicherheitskräfte in Maan, wo im Dezember Proteste gegen die jordanische… | |
| Es ist kein verspäteter Arabischer Frühling. Die Proteste, die | |
| [1][Jordanien] gut zwei Wochen lang in Aufruhr versetzt haben, haben ihre | |
| Wucht verloren. Die Sicherheitskräfte haben Dutzende Protestteilnehmer | |
| verhaftet, darunter einen Ex-Bürgermeister. Und der [2][König Abdullah II.] | |
| hat die Regierung angewiesen, die Steuern auf Kerosin einzufrieren. Ob dies | |
| genug sein wird, um den Unmut in der Gesellschaft zu besänftigen, bleibt | |
| abzuwarten. Doch eines zeigen die jüngsten Proteste gewiss: was sich ändern | |
| soll, damit sie nicht wieder aufflammen. | |
| Anfang Dezember organisierten Lkw-Fahrer Streiks und Proteste gegen die | |
| Erhöhungen der Treibstoffpreise, die sich zu einem breiteren Protest gegen | |
| die steigenden Lebenskosten und auch gegen die Führungsklasse ausweiteten. | |
| Vier Polizisten wurden getötet – offenbar durch radikale Islamisten, die | |
| wenig mit den Protesten zu tun haben. Doch das Land steht unter Schock. | |
| Jordanien gilt bislang als sicherer Hafen in einer Region, die von | |
| Konflikten geplagt ist. Das Königreich, ressourcenarm und teils auf | |
| ausländische Hilfe angewiesen, hat allerdings in den vergangenen Jahren | |
| mehrere Rückschläge erlebt. Die Konflikte in Syrien, im Jemen und Irak | |
| ließen die Zahl der Geflüchteten im Land rasch auf mehrere hunderttausend | |
| steigen. Die Coronapandemie trieb Arbeitslosigkeit und Armut in die Höhe. | |
| Seine Stabilität bewahrte das [3][Königreich] früher, indem es den Stämmen, | |
| traditionell das „Rückgrat der Monarchie“, Unterstützung und Jobs gewähr… | |
| Außerdem wurden wichtige Güter stark subventioniert. Doch der Staat hat | |
| inzwischen Schulden für mehr als 40 Milliarden Dollar und einen | |
| aufgeblasenen öffentlichen Dienst. Die Sparmaßnahmen, die das Land mit dem | |
| Internationalen Währungsfonds vereinbart hat, haben dazu geführt, dass | |
| einige Subventionen gestrichen wurden. Dies trifft jetzt auf einen Anstieg | |
| der Lebenskosten durch die Pandemie und den Ukrainekrieg. | |
| Der Arabische Frühling ging an Jordanien relativ spurlos vorbei. In den | |
| vergangenen Jahren gab es aber immer wieder Proteste, gegen | |
| Preiserhöhungen, Korruption oder niedrige Gehälter. Sie wurden unterdrückt, | |
| schwelen aber weiter unter der Oberfläche. Vor zwei Jahren gab es | |
| Massenverhaftungen nach Streiks der Lehrergewerkschaft, die Gewerkschaft | |
| selbst wurde verboten. 2021 und Anfang 2022 hatte es wieder vereinzelte | |
| Demonstrationen gegeben, laut Medienberichten soll teilweise sogar der | |
| König kritisiert worden sein, was in Jordanien ein Tabu ist. | |
| Die jüngsten Proteste haben sich an den hohen Benzin- und Heizölpreisen | |
| entzündet, doch diese sind nur ein Symptom tiefer sitzender Probleme. Es | |
| geht auch um Armut und Perspektivmangel, vor allem für die Jüngeren. Die | |
| Arbeitslosigkeit liegt in Jordanien bei 22,6 Prozent, unter jungen Menschen | |
| sogar bei knapp 50 Prozent. Der Durchschnittslohn beträgt etwa 700 Euro, | |
| der Mindestlohn etwa 350 Euro. Es geht aber ebenso um Repression und | |
| mangelndes Vertrauen in die politischen Institutionen des Landes. Laut | |
| einer jüngsten Umfrage des Forschungsinstituts Nama und der CDU-nahen | |
| Konrad-Adenauer-Stiftung denken 64 Prozent der befragten Student*innen, | |
| dass ihr Stamm ihre Interessen am besten repräsentiert, nur 5 Prozent | |
| denken jedoch dasselbe über die Regierung. 63 Prozent gaben an, nicht für | |
| politische Parteien stimmen zu wollen. Auf die Frage, welches System das | |
| beste sei, um Probleme zu lösen, war die meistgewählte Antwort: „Ein System | |
| geregelt durch das islamische Gesetz, ohne politische Parteien oder | |
| Wahlen“. | |
| Jordanien ist eine Monarchie mit parlamentarischem System, der König hat | |
| aber einen großen Einfluss auf das politische Leben. Bei den Wahlen haben | |
| die Stämme Gewicht, Parteien spielten bislang keine große Rolle – die | |
| einzig erfolgreichen waren die islamischen. Bei den letzten | |
| Parlamentswahlen gingen lediglich knapp 30 Prozent der Wähler*innen an | |
| die Urnen. | |
| Das soll sich jetzt ändern: König Abdullah II. hatte vor über einem Jahr | |
| politische Reformen angekündigt, die die Rolle der Parteien stärken und das | |
| politische System „modernisieren“ sollen. Die Frage ist nur: Wie? Denn im | |
| Ranking der US-Organisation Freedom House wurde Jordanien als „nicht frei“ | |
| herabgestuft, ein jüngster Bericht der NGO Human Rights Watch beklagt die | |
| Verfolgung und Schikanierung von Aktivist*innen, Journalist*innen und | |
| Gewerkschaftler*innen. Die Stabilität scheint zunehmend vom | |
| Sicherheitsapparat gewährleistet zu werden. Selbstzensur ist sogar unter | |
| Journalist*innen sehr verbreitet. Im April hatte der Halbbruder des | |
| Königs, Prinz Hamza, angekündigt, auf seinen Titel zun verzichten. In | |
| jordanischen Medien hat man kaum davon gelesen. Und über die Vorfälle rund | |
| um die Lehrergewerkschaft gab es vor zwei Jahren eine Nachrichtensperre. | |
| Es ist ein Widerspruch, dass demokratische Reformen eingeleitet werden, der | |
| demokratische Raum aber schrumpft und die öffentliche Debatte eingeschränkt | |
| ist. Zugespitzt formuliert könnte man also fragen: Ist Jordanien bereit für | |
| die Demokratie? Denn Demokratie funktioniert nicht nur durch Gesetze, | |
| sondern braucht den Willen der Gesellschaft, sie zu schaffen, deren | |
| Vertrauen, dass ein Wandel möglich ist, und nicht zuletzt die Freiheit und | |
| die Mittel, diesen Wandel zu steuern. | |
| Auch die häufigen Regierungsumbildungen lassen offenbar viele | |
| Jordanier*innen unbeeindruckt, denn sie haben das Vertrauen verloren, | |
| dass sich etwas ändern kann. Die Probleme zu ignorieren oder Dissens zu | |
| ersticken wird ebenfalls nicht helfen. Es kann nur die Menschen in ihrer | |
| Überzeugung bestärken, die regierende Elite interessiere sich nicht für | |
| sie. Ein tiefer Wandel auf sozialer und politischer Ebene ist nötig. Sonst | |
| drohen die angestrebten Reformen ins Leere zu laufen. | |
| 5 Jan 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Serena Bilanceri | |
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