# taz.de -- Rechtsstreit zwischen Polen und der EU: Drohung aus Warschau | |
> Das polnische Verfassungsgericht spielt mit der Verschiebung ihres | |
> Urteils auf Zeit. Premier Morawecki will den EU-Gerichtshof bloßstellen. | |
Bild: Protest vor dem Verfassungsgericht im August in Warschau | |
Zum vierten Mal hat [1][Polens Verfassungsgericht die Entscheidung | |
verschoben, die die EU als Rechtsgemeinschaft erschüttern könnte]. Ganz | |
grundsätzlich nämlich will Polens Premier Mateusz Morawecki klären lassen, | |
ob Polens Verfassungsrecht über EU-Recht steht, oder ob es umgekehrt ist. | |
Dabei ist die Rechtslage eigentlich klar: Polens Verfassung, die das | |
Völkerrecht und damit auch die EU-Verträge ausdrücklich anerkennt, steht an | |
oberster Stelle. Jedes EU-Mitglied baut EU-Recht in sein eigenes | |
Rechtssystem ein, und der Europäische Gerichtshof (EuGH) schlichtet | |
Rechtsstreitigkeiten zwischen EU-Institutionen und einzelnen | |
Mitgliedstaaten. | |
Polen setzt nun allerdings schon seit einiger Zeit Urteile und einstweilige | |
Anordnungen des EuGH nicht mehr um. Bislang kam die nationalpopulistische | |
Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) damit straflos durch, weil | |
die Europäische Kommission zwar klagte, es ihr dann aber anscheinend egal | |
war, wenn die PiS-Regierung die Urteile nicht umsetzte und die Richter in | |
Luxemburg als „inkompetent“ beschimpfte. | |
Polen droht nun aber die Kürzung von EU-Zuschüssen, sollte die PiS | |
weiterhin das Rechtsstaatsprinzip verletzen. Gegen diese | |
Rechtsstaats-Klausel, die für alle EU-Mitglieder bindend sein soll, klagen | |
Polen und Ungarn vor dem EuGH. Das Urteil soll in den nächsten Tagen | |
fallen. Allgemein erwartet wird, dass der Gerichtshof die Klausel | |
bestätigt. | |
Zudem droht Polen aber auch eine Geldstrafe wegen einer einstweiligen | |
Anordnung des EuGH, die die PiS-Regierung nicht umgesetzt hat. Es geht um | |
die von den Nationalpopulisten [2][neu geschaffene Disziplinarkammer] am | |
Obersten Gericht, die ihre Arbeit – so der EuGH – mit sofortiger Wirkung | |
einstellen sollte. Im Endeffekt würden alle von dieser Kammer gegen andere | |
Richter gefällten Urteile null und nichtig sein. | |
## Auf dem Spiel steht die Rechtsgemeinschaft | |
Doch die Disziplinarkammer arbeitet dreist weiter und hebt reihenweise die | |
Immunität von Richtern auf, so dass gegen diese Strafverfahren eröffnet | |
werden können, die mit einem Berufsverbot enden können. Angeblich seien | |
dies nur „Altfälle“. Das ist aber Augenwischerei, denn auch diese Urteile | |
werden ja ungültig sein. | |
Der Gang von Morawiecki zum polnischen Verfassungsgericht, in dem nur noch | |
von der PiS ernannte Richter:innen sitzen, hat nur ein Ziel: Ein | |
politisch bestelltes Urteil soll den Europäischen Gerichtshof desavouieren, | |
sollte dieser der Rechtsstaatlichkeitsklausel zustimmen oder Polen eine | |
Geldstrafe wegen der Disziplinarkammer aufbrummen. | |
In Luxemburg werden die Richter am EuGH die Vertagung des Urteils des | |
polnischen Verfassungsgerichts durchaus so verstanden haben, wie es gemeint | |
ist: als offene Drohung aus Warschau. Sie müssen nun sehr genau abwägen, | |
wie sie darauf reagieren. Denn auf dem Spiel steht nichts weniger als die | |
Rechtsgemeinschaft der EU. | |
1 Oct 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://kurier.at/politik/ausland/polen-gegen-die-eu-konflikt-vor-einem-neu… | |
[2] /Polnische-Verfassung-und-EU-Recht/!5789375 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Lesser | |
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