# taz.de -- Rechtsextreme Traditionslinien: Selbsternannte Dissidenten | |
> Das neurechte Magazin „Sezession“ um Götz Kubitschek feierte sein | |
> 20-jähriges Jubiläum ganz privat. Denn kritische Reflexion ist nicht | |
> erwünscht. | |
Bild: Götz Kubitschek 2018 auf der Frankfurter Buchmesse | |
Sie suchen den politischen Disput, vermeiden aber die kritische Reaktion. | |
Im engen Kreis feierte die Sezession um Chefredakteur Götz Kubitschek das | |
20-jährige Jubiläum der „politisch-kulturellen Zeitschrift“. [1][In | |
Schnellroda am Sitz des Instituts für Staatspolitik (IfS)] kamen 140 | |
Fördernde und Freunde der Sezession zusammen. Das Jubiläum am 25. März | |
sollte „ohne Störung“, „ohne Polizei“ und ohne „Fotografen der Antif… | |
stattfinden, erklärt Kubitschek auf sezession.de die nicht öffentliche | |
Einladung. | |
Denn „wenn hundert Förderabonnenten und langjährige Freunde unserer Arbeit, | |
Mitarbeiter und Autoren, Vertreter freier Medien, faire Journalisten und | |
die Fraktionsspitzen aller AfD-Ostverbände zusammenkommen, dann ist das ein | |
Ereignis“. Hätten sie „aufgetrumpft“, wäre das kleine Dorf in | |
Sachsen-Anhalt wieder in einen Ausnahmezustand versetzt worden, so | |
Kubitschek. | |
Diese taktische Rücksichtnahme spiegelt wenig den strategischen Kurs der | |
Provokation im metapolitischen Raum wider, die Kubitschek darlegt, um | |
Themen und Tonlagen in der gesellschaftlichen Mitte zu setzen. Sie gibt | |
auch nicht den politischen Habitus des soldatisch Heroischen wieder, den | |
Ernst Jünger in „In Stahlgewittern“ beschwört. Jener Herr gehört zu dem | |
Herrenclub der „Konservativen Revolution“ der Weimarer Zeit, auf dessen | |
antiliberale, antidemokratische und antiegalitäre Attacken sich die | |
Fanboys der Sezession beziehen. „Sie sind Epigonen dieser autoritären | |
Revolte gegen eine demokratische Republik“, sagt Volker Weiß. Und der | |
Historiker und Rechtsextremismusexperte betont, dass sie weniger eloquent, | |
sondern vielmehr redundant seien. | |
[2][Der Mitbegründer des IfS, Karlheinz Weißmann], legte diese Basis in der | |
neurechten Jungen Freiheit (JF) selbst dar, als er zur Gründung des | |
Instituts im Jahr 2000 auf das „Politische Kolleg“ hinwies. Von 1920 bis | |
1925 bestand diese „private Hochschule“, getragen von „Konservativen | |
Revolutionären“ und finanziert von der Schwerindustrie. Diese | |
Traditionslinien finden sich stets beim IfS, das als eingetragener Verein | |
die Sezession verantwortet. Sie offenbart sich bei der Zeitschrift in | |
Schwerpunkten zu Ernst Jünger oder Sondernummern zu Oswald Spengler. Mit | |
„Der Untergang des Abendlandes“ schrieb Spengler mit zwei Bänden 1918 und | |
1922 ein Standardwerk des extrem rechten Kanons. | |
## Publizistische Lücke schließen | |
Auf den 60 Seiten der Sezession greifen die Autor*innen zwar aktuelle | |
Themen auf, die jedoch im Rekurs extrem rechter Denker eingeordnet werden. | |
Debatten einordnen, Richtungen geben, das ist auch die Intention, die Erik | |
Lehnert, der dem IfS-Verein vorsteht, hervorhebt. Mit der Sezession wollten | |
sie zudem die publizistische Lücke schließen, die durch die neue | |
Ausrichtung von Criticón entstanden war. Seit 1970 war die Zeitschrift das | |
Theorie- und Selbstverständigungsorgan des neurechten Milieus. Kubitschek, | |
aber auch Alexander Gauland, Ehrenvorsitzender der AfD und ihrer | |
Bundestagsfraktion, schrieben im Criticón. | |
Bis heute kann die Sezession, die erst durch eine Spende von 15.000 Euro | |
realisiert werden konnte, nicht am Bahnhofskiosk bezogen werden. Dieses | |
Marktsegment hatte die Redaktion aber auch nie anvisiert. In dem Konzept | |
schreiben sie, das Ziel sei nicht, „möglichst viele Leser zu erreichen“, | |
wichtig wäre ihnen, „die richtigen Leser“ anzusprechen, und das seien | |
diejenigen, denen das „rechte, konservative Denken nicht verborgen bleiben“ | |
sollte. Ständige Autor*innen sind neben den zwei Frauen Ellen Kositza | |
und Caroline Sommerfeld acht Männer, unter anderem Martin Sellner und | |
Benedikt Kaiser. Viele kommen aus der rechtsextremen Identitären Bewegung. | |
Mit dem Titel spielt die Redaktion auf den 1993 veröffentlichen Essay | |
„Anschwellender Bocksgesang“ von Botho Strauß an. In dem Essay kritisiert | |
der Schriftsteller und Dramaturg die vermeintlich linksliberale | |
Meinungshoheit und empfiehlt die „Abkehr vom Mainstream“. „Was man brauch… | |
ist der Mut zur Sezession“, schrieb er, und: „Ich bin davon überzeugt […… | |
daß ein versprengtes Häuflein von inspirierten Nichteinverstandenen“ | |
dringend geboten sei. In ihrer Rede zum „Innenraum der Sezession“ betonte | |
Kositza, dass es ihnen als „Sezessionisten“ nie um „Rendite“ ging, sond… | |
der „Idealismus“ sie antreibe. Kositza, die hervorhebt, „vor allem Hausfr… | |
und im Nebenberuf Redakteurin“ der Sezession zu sein, beklagt aber auch: | |
„Schweigen ist Silber, reden ist Gold, niemand sollte im Geheimen | |
Sezessionist sein.“ | |
Dieser Appell impliziert eine Cancel Culture. Er bedeutet jedoch nichts | |
anderes als dass kritischer Widerspruch ausbleiben soll, wenn öffentlich | |
sezessionistische Positionen formuliert werden. Ihre Crux: Zu ihrem Kanon | |
gehört das Spektakel des Opferganges, die Widerständigkeitsinszenierung. | |
Diese selbsternannten Dissidenten des Denkens betreiben eine politische | |
Bigotterie. Lehnert beklagt auf dem Jubiläum einerseits, dass die Sezession | |
früher mal von der FAZ besprochen wurde, anderseits lobt er die Sezession | |
als „Symbol, für wie gefährlich Denken sein kann“. | |
## Rechtsentwicklung der AfD | |
Die Einladung zierte das Motto „Arbeiten in der Sicherheit des Schweigens“. | |
Ganz schweigen wollte Kubitschek nicht, er berichtete von Gästen und | |
Vorträgen. Über den „Ukrainekonflikt“ hielt Hans Neuhoff den Hauptvortrag. | |
Der Professor an der Hochschule für Musik und Tanz Köln und AfD-Mitglied | |
knüpfte an einen Vortrag bei der IfS-Akademie an. Diese Sommer- und | |
Winterakademien sind eng mit der Sezession verbunden. Vor der geschlossenen | |
Gemeinschaft sprach der Thüringische AfD-Landtagsfraktionschef Björn | |
Höcke über den „frühen Austausch“ mit Kubitschek. | |
Längst ist bekannt, dass Kubitschek mit Höcke die Rechtsentwicklung der AfD | |
vorantrieb. Zu der Gemeinschaft stieß später der sächsische | |
AfD-Landtagsfraktionsvorsitzende Jörg Urban dazu. Auf sesezzion.de erklärt | |
die Redaktion nicht gerade zurückhaltend: „Vieles, was an der AfD und an | |
anderen Widerstandsprojekten grundsätzlich, kompromißlos, nicht | |
verhandelbar und angriffslustig wirkt und ist, wurde in unserer Zeitschrift | |
vorausgedacht, ausformuliert und in die Debatte erst eingespeist.“ Mehr | |
könne ein „metapolitisches Zeitschriftenprojekt“ sich „nicht wünschen!�… | |
Beim Jubiläum fehlte einer allerdings, den Lehnert erwähnte: Weißmann. Der | |
IfS-Mitgründer bestimmte lange die Sezession, legte das ideologische | |
Fundament. 2014 zerstritten sich Weißmann und Kubitschek wegen der AfD. In | |
der Jungen Freiheit meinte Weißmann, Kubitschek sei „eigentlich kein | |
politischer Kopf“. Da „verwechselt jemand Literatur mit Staatslehre und | |
Ästhetik mit Politik“. Was „fatale Konsequenzen“ habe, „wenn der | |
betreffende trotzdem Politikberatung treibt“. Er warnt immer wieder, dass | |
durch Kubitschek und Höcke die AfD beim Verfassungsschutz (VS) zum | |
Gesamtbeobachtungsobjekt werde. Das IfS stufte der VS in Sachsen-Anhalt | |
bereits als rechtsextremistisch ein. | |
Im Jahr 2017 schob Weißmann Cato an. Das „Magazin für neue Sachlichkeit“ | |
kann an Kiosken gekauft werden. Die Autor*innen kommen nicht allein aus | |
dem Inner Circle des neurechten Milieus. Druckauflage: 12.500 Exemplare. | |
Die Dimension der publizistischen Resonanz ist dennoch schwer zu | |
vergleichen. Die Sezession will den akademischen Nachwuchs beeinflussen. | |
20 Apr 2023 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Speit | |
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