# taz.de -- Rechte und linke Gelbwesten: Helden der Revolution | |
> In Frankreich gehen Faschisten und Antifaschisten aufeinander los. Ein | |
> jüdischer Intellektueller wurde bedrängt. Revolutionsromantik? Fuck off! | |
Bild: Rechtsextreme und antifaschistische Gelbwesten gehen aufeinander los, hie… | |
Die Romantik ist eine kulturgeschichtliche Epoche und zum Glück seit Langem | |
vorbei. Denn zwar war unter den Romantikerinnen und Romantikern vieles | |
schön, aber doch auch einiges ziemlich vernebelt. Dies ist ein Text zum | |
Thema Revolutionsromantik und wohin sie führen kann, denn sie führt ja zu | |
nichts Gutem. | |
In Frankreich, das wissen Sie vielleicht, soll ja einiges besser sein als | |
in Deutschland, jedenfalls, wenn wir uns sagenwirmal Linken glauben, denn | |
wir haben da Erfahrung: Einst wurde dort die Französische Revolution | |
ausgefochten und in der weiteren Folge gibt es heute in Europa ein | |
Frauenwahlrecht und überhaupt eine Allgemeine Erklärung der Menschenrechte | |
und vieles mehr und deswegen schauen wir natürlich mit Neid und Schauer auf | |
die mutigen Menschen, Frauen!, die dies damals für uns erfochten haben – in | |
Frankreich. Das war gut. Danke schön! | |
Es gibt in Frankreich noch zwei weitere Phänomene, auf die aufklärerische | |
Menschen in Deutschland sich gerne beziehen: Erstens gibt es die | |
französische Intellektuellenfigur, die gesellschaftlich interveniert und | |
gerne auch sagt, was sie denkt oder denkt, was sie sagt; ganz anders als | |
der Typus des verobjektivierten deutschen Wissenschaftlers, dessen | |
heißester Atem in der Regel dem Hauch der Statistik entstammt. | |
Zweitens gibt es in Frankreich eine Streikkultur, von der deutsche | |
Gewerkschaftsfunktionäre schon oft geträumt haben, also jedenfalls die | |
wilderen unter ihnen. Geht dem Franzosen etwas gegen den Strich (oder der | |
Französin), dann sind er oder sie alsbald auf der Straße; seien es die Kids | |
aus den Banlieues, die die Fensterfassaden der weißhäutig geprägten | |
Innenstadtlokalitäten zerlegen oder Lastwagenfahrer, die auf Autobahnen | |
Reifen anzünden und Blockaden organisieren; selbst eine gewöhnliche | |
Gewerkschaftsdemonstration kommt, im Vergleich zu einer deutschen, meist | |
mit der zehnfachen Mannschaftsstärke einher und auch einem | |
selbstbewussteren Gestus. | |
## Sympathien für den Aufstand | |
Dies sind einige der Gründe dafür, weshalb in Deutschland sowohl in der | |
politischen sagenwirmal Linken als auch in der politischen sagenwirmal | |
Rechten viele mit einem gewissen Neid nach Frankreich schauen und hier | |
vermissen, was dort vor sich geht. Das sind die Revolutionsromantiker. | |
Vor denen muss man sich in Acht nehmen. | |
Denn es gibt ja auch hierzulande, wenn schon keine Revolution, so ja doch | |
ein relativ weit verbreitetes Phänomen, dass Menschen Sympathien hegen für | |
Revolution und Aufstand. Angeblich, heißt es dann oft, könne man dabei | |
irgendetwas selbst in die Hand nehmen und natürlich ist es schön und sehr | |
häufig auch adäquat, etwas selbst in die Hand zu nehmen. | |
Ein Pamphlet der Revolutionsromantik, schmissig geschrieben, stammt | |
übrigens auch von ein paar Franzosen, die sich der radikalen Linken | |
zurechnen und in ihrer Schrift allerlei Bezug auf Lokales nahmen. Damit | |
meinen sie irgendwelche Orte, an denen irgendetwas passiert. | |
## Ein Traum von Quatsch | |
Das Buch trägt den Titel „Der kommende Aufstand“. [1][Es ist eine Romantik, | |
die auch in Deutschland viel besprochen wurde.] Autoren: ein sogenanntes | |
„Unsichtbares Komitee“. Als mal einer von denen auf einer Bühne in Hamburg | |
was sagen sollte, um die deutsche Revolutionsromantik und ihre auch sehr | |
konkreten Befürworter und Protagonisten ein wenig zu inspirieren, stellte | |
sich heraus, dass er ein Würstchen war: Zu klein für den eigenen Schatten – | |
aber ansonsten ganz gut vernetzt. | |
Jetzt sieht man auf Frankreichs Straßen wieder etwas Aufstandsmäßiges: die | |
sogenannten Gelbwesten. Menschen begehren dabei auf, oft aus | |
nachvollziehbaren Gründen, und die meisten von ihnen auch in | |
nachvollziehbaren Formen, weil sie das sogenannte „System“ herausfordern | |
wollen. | |
Einige, also viele von denen tun Dinge, die den Autoren des „kommenden | |
Aufstands“ gefallen dürften: Sachen kaputt machen. Sie teilen sich damit | |
eine Leidenschaft, die auch in nationalistischen und revanchistischen | |
Kreisen derzeit wieder Sehnsüchte produziert: Den Bruch mit dem System | |
kenntlich zu machen, den „Tag X“ zu markieren oder herbeizuführen, den – | |
eigene Anmerkung: demokratischen – Staat mit seinen mal so oder mal so | |
verachteten Formen zu zerschlagen. | |
Im kommenden Aufstand heißt es: „Die Macht ist die Organisation der | |
Metropole selbst. Sie ist die makellose Totalität der Warenwelt in all | |
ihren Punkten. Wer sie lokal besiegt, produziert quer durch die Netzwerke | |
eine planetare Schockwelle.“ Und an anderer Stelle: „Es geht darum, auf | |
lokaler Ebene die Kommunen, die Zirkulation und die Solidaritäten zu | |
verdichten, bis zu dem Punkt, an dem das Territorium unlesbar, | |
undurchdringlich wird für jegliche Autorität. Es geht nicht darum, ein | |
Territorium zu besetzen, sondern es zu sein.“ | |
So viel zur Revolutionsromantik. | |
## Das sichtbare Komitee | |
Das ist alles gut, so lange es freundliche Gemeinschaften meint, die nett | |
aufeinander achten. Auch wenn es altmodisch klingt: Kirchen, trotz all | |
ihrer ja oft auch verachtenswerten Dogmen, leisten genau dies: | |
Solidaritäten zu verdichten. Das haben Kirchen und politische Dogmatiker | |
übrigens auch gemeinsam: die große Erzählung. | |
Nicht mehr unsichtbar, sondern sichtbar war in den letzten Wochen | |
allerdings auch: Dass auf Frankreichs Straßen inzwischen Faschisten und | |
Antifaschisten offen aufeinander losgingen, weil sich aus der Menge der | |
Aufständischen zwei Teilmengen bilden ließen: Erst griffen sie gemeinsam | |
die Repräsentanten des Staates an und gingen auf Polizisten los, zündeten | |
Autos an und schmissen so einiges kaputt. Das war schon mal nicht | |
sonderlich romantisch, aber immerhin verbindend. | |
Und dann begann etwas, das den Wesenskern des Aufstands meist begleitet: | |
Sie gingen sich gegenseitig an, prügelten aufeinander ein, drängten sich | |
hin und zurück, wie zum Beispiel am 9. Februar in Lyon. Die einen sagen, | |
die einen hätten gewonnen. Die anderen sagen, die anderen. | |
Romantiker in Deutschland, zum Beispiel bei Twitter, fanden das richtig, | |
weil sie der Meinung sind, dass man Faschisten verhauen sollte. Eine | |
ordnende Instanz konnte jedenfalls nicht eingreifen, denn die war ja vorher | |
verjagt worden: die Autorität. Das erste Opfer der Revolution ist in der | |
Regel die körperliche Unversehrtheit. Das zweite die Pressefreiheit. | |
Manchmal auch umgekehrt. | |
Die Regel des Aufstands ist, dass es keine Regel gibt – und wenn, dann nur | |
die des Stärkeren. Deshalb ist die Revolutionsromantik ein gefährliches | |
Geschäft. Als Tischgespräch unterhaltend, am Straßenrand ist sie vermessen. | |
Am vergangenen Samstag nun beschimpften und bedrohten [2][antisemitische | |
Gelbwestler den 69-jährigen Intellektuellen Alain Finkielkraut in Paris.] | |
Finkielkraut ist ein jüdischer Mann polnischer Abstammung, dessen Vater das | |
KZ Auschwitz überlebt hat. Er wurde auf der Straße erkannt und bedrängt. | |
Ihn anzugreifen ist eine Schande. | |
Diese Schande ist nicht nur, aber auch eine Folge der Revolutionsromantik. | |
Kluge Menschen sollten sich ihr nicht anschließen. Revolutionen waren | |
niemals romantisch. Es ist im Prinzip ganz einfach: Revolutionen und | |
Revolutionsgequatsche in demokratischen Staaten sind eine ausgesprochene | |
Scheißidee. | |
19 Feb 2019 | |
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## AUTOREN | |
Martin Kaul | |
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