# taz.de -- Debatte um französisches Pamphlet: Der kommende Lautstand | |
> Das nun auch auf Deutsch erhältliche Buch "Der kommende Aufstand" ist | |
> linke Erlösungsfantasy mit rechten Elementen. Das mögen viele immer noch | |
> nicht erkennen. | |
Bild: So vertraut, so künstlich: Modell-Dorf. | |
"Autonom werden könnte genauso gut bedeuten: lernen, auf der Straße zu | |
kämpfen, sich leere Häuser anzueignen, nicht zu arbeiten, sich wahnsinnig | |
zu lieben und in den Geschäften zu klauen", schreibt das Unsichtbare | |
Komitee in "Der kommende Aufstand". Das Buch ist nach 2005, den Aufständen | |
in den französischen Banlieues, entstanden. | |
"Der kommende Aufstand" wollte der spontanen migrantischen Jugendrevolte | |
eine klassenkämpferisch-revolutionäre Perspektive geben. Die anonymen | |
Autoren werden in einer Landkommune in Tarnac vermutet. Der französische | |
Staatsschutz konnte dies aber nie ermitteln. Genauso wenig wie eine | |
Beteiligung der Tarnac-Kommune an Anschlägen auf den französischen | |
Schnellzug TGV. | |
Infolge der großen Unruhen von 2005 wurde das nun auch auf Deutsch | |
erschienene Buch in Frankreich zu einer gefragten Fibel. Es traf wohl in | |
vielem den Ton der Zeit ("Wir müssen zugeben: Die Litanei der Börsenkurse | |
berührt uns ungefähr so wie eine Messe auf Latein"), hat sich aber in | |
seiner Aufstandsperspektive ziemlich verschätzt. "Warum sollten sich die | |
Kommunen nicht bis ins Unendliche vervielfachen", schrieb das Unsichtbare | |
Komitee 2006/2007. "In jeder Fabrik, in jeder Straße, in jedem Dorf, in | |
jeder Schule: Endlich das Reich der Basiskomitees!" Nun, die französische | |
Linke hat nicht einmal Sarkozy verhindert. Die Rebellion war längst | |
verebbt. | |
Die Gründe für den linksradikalen Misserfolg kann man in "Der kommende | |
Aufstand" besichtigen. Das Unsichtbare Komitee weiß zwar Missstände zu | |
benennen - der elitäre Klassenstaat, das Schulsystem als Hüterin der | |
rassistischen Schichtung etc. -, kann in seiner Kritik aber keine Antworten | |
darauf finden. | |
Stattdessen Geschichtspessimismus und abstrakter Antikapitalismus. "Wir | |
wurden unserer Sprache enteignet durch den Unterricht, unserer Lieder durch | |
die Schlagermusik, unserer Körperlichkeit durch die Massenpornografie, | |
unserer Stadt durch die Polizei, unserer Freunde durch die Lohnarbeit." Das | |
ist ein einfach zusammengewürfelter Phrasenmix und nicht gerade hohe | |
Theorie. | |
Das Pamphlet erinnert in vielem an den antikapitalistisch und | |
lebensweltlich orientierten Linksradikalismus der 70er Jahre. | |
Komischerweise haben ausgerechnet Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung | |
(FAS) - "glänzend geschriebene Zeitdiagnose" - und Süddeutsche Zeitung (SZ) | |
- "Aura der Hellsichtigkeit", "heroische Melancholie" - die deutsche | |
Erstveröffentlichung über alle Maßen gelobt. | |
Und das macht - gerade ohne französischen Hintergrund - besonders stutzig. | |
Weniger, weil das Unsichtbare Komitee großmäulig vom Plündern und vom | |
Aufbau einer "Kriegs-Landwirtschaft" spricht. Nein, vor allem weil sich | |
dieser Linksradikalismus in seinen Vorurteilen gegen Kapitalismus und | |
westliche Demokratien, gegen dekadente Großstädte, Beschleunigung und | |
Digitalisierung von Arbeit und Leben mit der rechtsradikalen | |
Zivilisationskritik trifft. | |
Die westliche Zivilisation befände sich "im Zustand des klinischen Todes", | |
schreiben sie, "über die man eine ganze Apparatur der lebenserhaltenden | |
Maßnahmen ausbreitet und die in der planetarischen Atmosphäre einen | |
charakteristischen Pestgestank verströmt". Ein Pestgestank, den heute vor | |
allem auch die Anhänger Bin Ladens beständig in der Nase verspüren und | |
versuchen nach Kräften mit einen ihrer vielen Bomben in alle Winde zu | |
zerstreuen. | |
Nach einer Kritik in der taz vom Dienstag steuerte die FAZ nun gegen. "Es | |
handelt sich überhaupt nicht um eine Theorie, sondern um Jugendliteratur", | |
hieß es am Donnerstag zu dem gerade noch von Nils Minkmar zum "wichtigtsen | |
Theoriebuch unserer Zeit" erklärten Werk. Und ein Autor der SZ suchte | |
ebenfalls am Donnerstag mit Ernst Jünger Vorangegangenes zu relativieren. | |
Alex Rühle hatte hier in einer Besprechung dem Unsichtbaren Komitee mit der | |
Metapher assistiert: "Das System ist überall, fast wie Gas ist es noch in | |
die letzten Ritzen des Privatlebens vorgedrungen". | |
Nun heißt es schlicht: das Buch sei weder rechts noch links. "Denn was | |
schert die Kinder, wer ihre geistigen Väter sind", so Marc Felix Serrao. | |
"Was vielleicht mal ein genuin rechter Weltekel war", habe sich nämlich | |
"längst im popkulturellen Mainstream eingebrannt." So unterschiedslos soll | |
das also alles gehen. | |
Dabei ist "Der kommende Aufstand" weder Jugendschrift noch popkulturell. Es | |
entstammt altlinker Echtheits-Folklore. Um die "neue prostitutionelle Norm | |
von Vergesellschaftung" zu beschreiben, kupfert er bei Guy Debords | |
Schriften aus den 60er Jahren ab. Und betreibt französisch unverkrampft | |
Scholastik: "Der Horror der Arbeit liegt weniger in der Arbeit selber als | |
in der jahrhundertelangen systematischen Vernichtung von all dem, was nicht | |
sie ist: Vertrautheiten des Viertels, des Berufs, des Dorfes, des Kampfes, | |
der Verwandtschaft, Bindungen an Orte, Wesen, Jahreszeiten, Handlungs- und | |
Redeweisen." | |
Zu dem antimodernen Reflexen aus dem Revolutionsmuseum gehört auch die | |
Behauptung von angeblich entfremdeter und angeblich nicht entfremdeter | |
Arbeit. Als Künstler oder Kollektivist soll der Mensch nicht entfremdet | |
sein, als Angestellter oder Lohnarbeiter automatisch versklavt. Ein | |
totalitärer Sinn-Zusammenhang: "Selbst ihre Sexgeschichten erhöhen ihre | |
Produktivität", Lohnarbeiter und Angestellte sind nach Meinung des | |
Unsichtbaren Komitees echt schlimm dran. | |
Der große Gegenentwurf ist das echte Leben auf dem Land und in der Komune. | |
"Im Tod des Paares sehen wir aufregende Formen kollektiver Affektivität | |
entstehen, jetzt wo Sex völlig abgenutzt ist, wo Männlichkeit und | |
Weiblichkeit alte mottenzerfressende Kostüme anhaben, wo drei Jahrzehnte | |
stetiger pornografischer Innovation jeglichen Reiz der Übertretung und der | |
Befreiung erschöpft haben." Ganz so "sexy" (SZ) klingt das nicht. | |
26 Nov 2010 | |
## AUTOREN | |
Andreas Fanizadeh | |
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