# taz.de -- Wirbel um Anti-Demokratie-Pamphlet: "Fast wie Gas" | |
> Die Feuilletons von "FAS" und "SZ" huldigen dem französischen Manifest | |
> "Der kommende Aufstand". Vor lauter Hipness ignorieren sie, dass es eine | |
> antimoderne Hetzschrift ist. | |
Bild: Limousin: In dieser beschaulichen Landschaft soll das Manifest mit spitze… | |
In Frankreich führte das anonym veröffentlichte Pamphlet "Der kommende | |
Aufstand" zur staatlichen Verfolgung seiner mutmaßlichen Autoren. Ausgehend | |
von den Theorien des Nazijuristen Carl Schmitt, wird darin zur politischen | |
Gewalt aufgerufen, gegen Demokratie und Rechtsstaat gewettert. | |
Nachdem das Buch in Frankreich und den USA für viel Wirbel sorgte, ist es | |
im Zuge seiner deutschen Übersetzung nun auch in der heimischen Diskussion | |
angelangt. FAS und SZ haben es überraschend wohlwollend rezensiert. In den | |
Fokus der bürgerlichen Presse rückte der radikale Text erst, weil er eine | |
wichtige Rolle in einem Justizskandal spielt. Er ist der Hauptgrund der | |
Überwachung einer Kommune in dem französischen Dorf Tarnac, die Anfang 2008 | |
begann. Man verdächtigte die Gruppe, Hakenkrallenanschläge auf TGV-Linien | |
verübt zu haben. Daraufhin waren einige ihrer Mitglieder mehrere Monate in | |
Haft, darunter der Privatgelehrte Julien Coupat, Kopf des Kollektivs. Die | |
Anschuldigungen erwiesen sich als haltlos. Dennoch lehnte ein französisches | |
Berufungsgericht am 22. Oktober 2010 den Antrag auf Aussetzung des | |
Verfahrens ab. Begründung: Die mutmaßlichen Verfasser des "Kommenden | |
Aufstands" seien weiterhin verdächtig, in Zukunft terroristische Anschläge | |
zu verüben. | |
Schon ein kurzer Blick in das Buch zeigt, dass das Vorgehen der | |
französischen Behörden zwar verfahrensmäßig skandalös, aber inhaltlich | |
nicht ganz unberechtigt ist. In dem Pamphlet wird explizit zu politischen | |
Gewalttaten aufgerufen - zur "Offensive zur Befreiung des Territoriums von | |
seiner polizeilichen Besetzung". Der Demokratie sind die Autoren | |
spinnefeind. Die Nachkriegszeit bezeichnen sie knapp als "sechzig Jahre | |
Befriedung, sechzig Jahre demokratische Anästhesie". Wer auf dem | |
"demokratischen Charakter des Entscheidungsprozesses" beharre, sei | |
"Fanatiker der Prozedur". In den "bürgerlichen Parlamenten" gebe es bloß | |
zielloses "Palaver" - schnell denkt man da an die Weimarer Zeit, in der | |
rechte und linke Extremisten den Reichstag als "Schwatzbude" bezeichneten. | |
Die Autoren stützen sich dabei auch auf Carl Schmitt, den Kronjuristen des | |
Reiches, dessen Thesen zum "Ausnahmezustand", zum "Partisanen" und zum | |
Begriff des Politischen sie wiedergegeben. Ein anderer Haupteinfluss ist | |
der Philosoph des nationalsozialistischen Denkdienstes, Martin Heidegger. | |
Insbesondere seine Ressentiments gegen Technik und Moderne haben das Buch | |
inspiriert. Zum Ausdruck kommt das in der Idee der "Vernutzung" sowie in | |
der Klage über den angeblichen Mangel an menschlicher Nähe in der | |
technifizierten Gegenwart. | |
Bei solchen Quellen werden selbst "Frauenzeitschriften", "Fitnessstudios" | |
und "Smarts" zur Zielscheibe. Noch in der harmlosesten Äußerung der | |
Jetztzeit sehen die Autoren Zeichen eines vorherrschenden "Imperialismus | |
des Relativen". Diesen machen sie in rechtskonservativer Manier für die | |
"Zerstörung sämtlicher Verwurzelungen" verantwortlich. Neu an diesem | |
zusammengeflickten Unsinn ist vor allem, dass sich das Feuilleton dafür | |
begeistert. FAZ und SZ rezensierten die Schrift derart positiv, dass sich | |
ein Berliner Buchladen genötigt sah, ironisch per Rundmail zu kommentieren, | |
große deutsche Tageszeitungen riefen nun zum Terrorismus auf. | |
In seinem Artikel in der FAZ feiert Nils Minkmar das antidemokratische | |
Manifest als "glänzend geschriebene Zeitdiagnostik" und mutmaßt, es werde | |
bald das "wichtigste linke Theoriebuch unserer Zeit" werden. Dabei ist | |
natürlich vor allem fraglich, ob es sich überhaupt um ein linkes Buch | |
handelt. Besonders angetan ist der FAZ-Autor von den antimodernen | |
Ressentiments darin. Gegen Ende räumt er immerhin ein, dass die "schwarzen | |
Geländewagen", die auf die Zerstörung des Staates folgten, wohl noch | |
schlechter wären als die Gegenwart. | |
Noch weiter versteigt sich Alex Rühle in der SZ. Weitgehend kritiklos | |
bestaunt der Internetverweigerer den "düsterrevolutionären Zorn" des | |
Buches, seine "Aura der Hellsichtigkeit" und seine "heroische Melancholie". | |
Gerade die darin vertretene "Partizipationsverweigerung" sagt ihm zu. Sein | |
Urteil lautet kurz, es handele sich um "ein Weißbuch des Überlebens in | |
stürmischen Zeiten". Und auch zu weiteren Entgleisungen lässt er sich | |
verleiten: "Das System", schreibt er, "ist überall, fast wie Gas ist es | |
noch in die letzten Ritzen des Privatlebens gedrungen." | |
Das Merkwürdige an der Gasmetapher ist nun: Sie ist nicht als Zitat | |
gekennzeichnet und stammt auch nicht aus dem Text, weder aus der | |
französischen noch aus der deutschen Ausgabe. Es ist der Rezensent, der | |
hier schreibt - ein deutscher Journalist, der damit den globalen, | |
demokratischen, marktwirtschaftlichen Zusammenhang bezeichnet, gegen den | |
das Buch wettert. Die Gasmetapher ginge sogar für den paranoischen Duktus | |
des Textes selbst zu weit. | |
Wer sich derart unbedacht mitreißen lässt, übersieht vor allem, dass Thesen | |
im Stil des Buchs "Der kommende Aufstand" in Frankreich etwas anderes | |
bedeuten als in Deutschland. Diesseits des Rheins ist das Ressentiment | |
gegen Internationalismus, Demokratie und Technik fester Bestandteil des | |
Revisionismus der Nachkriegszeit. Der Text ist eine Art Re-Import. Er | |
schuldet vieles nicht - wie Rühle und Minkmar blind einen | |
Frankreichkorrespondenten der NZZ kopieren - Michel Houellebecq, sondern | |
eben den nationalsozialistisch gefärbten Theoretikern Heidegger und | |
Schmitt. | |
Diese Einflüsse sind auch über ihren eifrigsten Epigonen Giorgio Agamben | |
anwesend, auf dessen Buch "Die kommende Gemeinschaft" explizit Bezug | |
genommen wird. Agamben und die beiden Deutschen werden im Umfeld des | |
kommenden Aufstands kritiklos wie Vaterfiguren verehrt. | |
In diesem intellektuellen Milieu ist auch die Deutung des - vor allem | |
technischen - Alltags westlicher Demokratien als Totalitarismus üblich, die | |
das Hauptstilmittel des Texts ist und auf die der SZ-Artikel unwissentlich | |
anspielt. Heidegger giftete 1949: "Die motorisierte Ernährungsindustrie ist | |
im Wesen dasselbe wie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und | |
Vernichtungslagern." Noch 1995 schrieb der Heidegger-Schüler Agamben in | |
seinem Hauptwerk, "Homo sacer": "In den modernen Demokratien ist es | |
möglich, öffentlich zu sagen, was die nazistischen Biopolitiker nicht zu | |
sagen wagten." Mithilfe der Schmittschen Theorie des Ausnahmezustands und | |
der von Foucault geborgten Figur der Biopolitik setzte er Menschenrechte | |
und Rassengesetze, Intensivstationen und Konzentrationslager gleich. | |
Dass "Der kommende Aufstand" zu dieser Denkschule gehört, ist nicht nur | |
wegen Agambens Freundschaft zu dem wahrscheinlichen Verfasser Coupat | |
offensichtlich. Das Buch ist als eine praktische - erschreckend naive - | |
Umsetzung der Thesen Agambens zu erkennen. Gegen eine angebliche | |
"Normalisierung des Lebens" in den modernen Gesellschaften sucht man das | |
vitalistische Heil im "Ausnahmezustand" jenseits von Demokratie, | |
Rechtsstaat und Marktwirtschaft - diese Idee einer besseren Zeit minus | |
aller Koordinaten der Gegenwart hat man Schmitt und Heidegger zu verdanken, | |
ebenso die Suche nach einem versteckten Totalitarismus der Demokratie. | |
Letztere war für die beiden NS-Theoretiker strategisch notwendig, um ihre | |
Kollaboration nachträglich zu relativieren. Dass das "linke" Gedanken sind, | |
kann niemand ernsthaft behaupten. Von sozialer Gerechtigkeit, der | |
Demokratisierung der Technik oder den Menschenrechten ist in dem Buch nie | |
die Rede. Vielmehr folgt man vermeintlich auratischen Philosophenführern in | |
ihrem Hass auf eine Gegenwart, in der sich niemand mehr durch | |
altgriechische Zitate und Denkerposen beeindrucken lässt. | |
Man muss den Übersetzern des Buchs danken. Wie ein Lackmustest offenbart | |
gerade seine missglückte Rezeption unbequeme Wahrheiten, die man in Zeiten | |
der wieder aufblühenden Sozialgenetik und Deutschtümelei schon ahnte. | |
Spätweimarer Dekadenz ist gesellschaftsfähig. In der deutschen Elite finden | |
Ressentiments gegen Demokratie und Moderne Zuspruch, auch wenn sie mit | |
politischer Gewalt verbunden sind. Gibt es in ihren Reihen zu wenige | |
gefestigte Demokraten mit historischer Bildung? | |
Doch das Buch ist auch ein Paradebesipiel für die zu unkritische | |
Frankophilie der sogenannten postmodernen Linken. In Bezug auf Re-Importe | |
wie Schmitt und Heidegger ist sie besonders verfehlt - was der | |
Toskana-Fraktion ihr Brunello ist der Deleuze-Fraktion die hohle, | |
revolutionäre Geste, gern auch mit tiefbraunen Zitaten gewürzt. | |
Diese Art von elitärer Revoluzzerattitüde ist das beste Mittel, um die | |
weitergehenden Kämpfe um die Emanzipation der Bürger von den Eliten zu | |
schwächen. Wer ihnen aber Erfolg wünscht, sollte von antidemokratischen | |
Ressentiments Abstand nehmen und sich zu den stets neu zu verwirklichenden | |
Zielen von 1776 und 1789 bekennen. Die Politische Theologie sollte man | |
besser ihrer angestammten Klientel überlassen, bei der sie offenbar immer | |
noch gut ankommt. | |
22 Nov 2010 | |
## AUTOREN | |
Johannes Thumfart | |
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