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# taz.de -- Rechte Gemeindevertreter in Groß Krams: Die Landnahme
> Im mecklenburgischen Groß Krams haben sich Rechtsextreme als
> Gemeindevertreter etabliert. Unter den Dorfbewohner*innen regt sich
> Protest.
Bild: Kreuz der Vielfalt: In Groß Krams formiert sich der Widerstand gegen die…
Groß Krams taz | Ein „lebenswertes Dorf“ mit einer „solidarischen
Dorfgemeinschaft“ möchten zwei neue Gemeindevertreter in Groß Krams
erschaffen. Im Kleinen wollen sie in der 180-Seelen-Gemeinde in
West-Mecklenburg Großes bewirken. Vorstellen können sie sich eine
„Dorf-Stube“, in der historische Bilder, Dokumente und Anekdoten der
Dorfbewohner ausgestellt sind, die dazu beitragen, die Bewohner neu zu
verbinden und „Gästen das Dorf näher zu bringen“. „Ein Dorf mit Herz –
gegen Ausgrenzung und Hetze!“ wünschen sie sich – so zu lesen im eigens
herausgegebenen „Groß Kramser Blättchen – Infoblatt für unsere Gemeinde�…
Die beiden frisch gebackenen Kommunalpolitiker Sebastian Richter und Ragnar
Böhm kommen allerdings selbst aus einer hasserfüllten Szene. Sind tief im
rechtsextremen Milieu verankert. Richter kommt von der Heimattreuen
Deutschen Jugend (HDJ) und war Vorsitzender des NPD-Jugendverbandes. Böhm
kommt aus einer völkischen Familie und betrieb einen Nazishop. In diesem
Kontext wird erst klar, was sie mit ihrem Slogan meinen: „Ein Dorf mit Herz
– gegen Ausgrenzung und Hetze“ brandmarkt Kritik am Rechtsextremismus als
Hetze und Ausgrenzung.
Bei der Kommunalwahl haben die Biografien von Richter und Böhm einen
Wahlerfolg nicht verhindert. Seit dem 26. Mai sitzen sie in der
Gemeindevertretung Groß Krams, Amt Hagenow-Land. Hier, wo jeder jeden
kennt, dürfte Richters und Böhms politische Gesinnung bekannt sein.
Bei der Gemeindewahl erreichte Richter, der wie Böhm als Einzelkandidat
antrat, mit 12,98 Prozent das zweitbeste Einzelergebnis nach Bürgermeister
Tobias Alwardt (26,09 Prozent). Böhm bekam 7,72 Prozent der Stimmen.
Alwardts Wählergemeinschaft „Aktiv Groß Krams“ erzielte 56,79 Prozent und
die „Arbeitsgemeinschaft pro Natur und Umwelt Groß Krams“ 22,53 Prozent.
Die Wahl spiegelt nicht bloß einen Rechtstrend wieder, sie zeigt auch das
Verschwinden der klassischen Parteien im ländlichen Raum auf – Indiz für
eine Entfremdung zwischen „denen da oben“ und „uns hier unten“?
Im „Blättchen“ inszenieren sich Richter und Böhm als anpackend Handelnde
vor Ort. Die Erstausgabe mit einer Auflage von 100 Exemplaren stellten sie
im Eigendruck her, sie soll an jeden Haushalt verteilt worden sein.
Die zwei Groß Kramser Gemeindevertreter leben schon länger östlich der
Elbe, doch erst in diesem Jahr gingen sie in die kommunale Politik. Vor 13
Jahren wollte sich der aus Schleswig-Holstein stammende Böhm noch von dem
kleinen Haus im Ort trennen. 2006 annoncierte er die Immobilie in der
NPD-Zeitung Deutsche Stimme, versehen mit dem kleinen Zusatz: „Nat.
Familien sind vor Ort (Mecklenburg)“. Im Verkaufsgespräch warb Böhm damit,
dass der NPD-Landesvorsitzende, Stefan Köster, nur „eine Viertelstunde
entfernt“ wohne und man auch Fahrgemeinschaften mit Nationalisten bilden
könne.
Böhm und Richter gehören zu den Akteuren [1][einer völkischen Landnahme,
die schon lange propagiert und realisiert wird]. Wenige Jahre zuvor waren
etwa zehn Familien aus dem politischen Spektrum von NPD und den verbotenen
Gruppen Wiking-Jugend und Heimattreue Deutsche Jugend in die Region
gezogen. Sie gründeten ein NPD-Parteibüro in Lübtheen, wirkten in Schulen,
Kindergärten und Vereinen. Mit der nachhaltigen, nationalen
„Graswurzelarbeit“ im politischen, kulturellen und sozialen Bereich gelang
die Akzeptanzgewinnung.
Groß Krams zählt zu den Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern, die bereits
2014 bundesweit als überdurchschnittlich NPD-freundlich auffielen. 17,6
Prozent votierten bei der Kommunalwahl 2014 für diese Partei. Die ehemalige
Heidelandschaft um Groß Krams, Griese Gegend genannt, ist kein
Urlaubsmagnet. Radtouristen zieht es in die Gegend zwischen Lauenburg an
der Elbe und der barocken Kleinstadt Ludwigslust, für Groß Krams bleibt da
wenig übrig.
Statt sein Haus zu verkaufen, stellte es Ragnar Böhm zunächst als
Unterkunft für Wahlhelfer der Rechtsextremen zur Verfügung, dann zog die
Familie ein. Nebenan bauten die Eltern von Ragnar Böhm sich ein eigenes
Haus. Der Vater gehörte Ende der 1970er-Jahre der militanten Husumer
Neonazi-Gruppe „Werwolf Deutsches Reich“ an. Ragnar Böhm hatte vor seinem
Umzug im schleswig-holsteinischen Lägerdorf den Szeneshop „Böhm Streatwear�…
betrieben. Schon länger ist er mit einer szenebekannten Frau aus der
Hamburger rechten Skinhead-Szene liiert.
Über ihre Kinder finden die neu Zugezogenen im Dorf eine zusätzliche
Verankerungsmöglichkeit. Die fallen schon mal auf: Eines stellte sich vor
Anwohnern auf und zeigte den Hitlergruß, wird berichtet. Am 28. September
nahm Ragnar Böhm an der Erntedankfestfeier der NPD im niedersächsischen
Eschede teil.
Ende 2018 erwarb Richter ein eigenes Haus im Ort. Bereits seit 2012 lebt er
in der Region. Von 2014 bis Anfang 2018 war Richter der Bundesvorsitzender
der „Jungen Nationaldemokraten“, die sich im vergangen Jahr in „Junge
Nationalisten“ umbenannten. Unter der Führung von Richter fand die
NPD-Jugendorganisation eine Neuausrichtung, sie wurde radikaler und
völkischer. Er propagierte, das Siedeln verstärkter umzusetzen. In
Anspielung auf „‚linke‘ Siedlungsprojekte im Wendland“ verlautbarten die
Jungen Nationaldemokraten 2016: „Was das Wendland für die antideutsche
Internationalisten ist, kann Mecklenburg oder Pommern für volkstreue
Menschen sein bzw. werden!“ Im Landtagswahlkampf 2014 warb die
Jugendorganisation mit dem Slogan „Bürgerschutz selbst organisieren“,
Holzknüppel wurden an Wähler verteilt.
Heute geben sich die beiden Männer verbal moderat. In ihrem „Gross Kramser
Blättchen“ schlagen sie vor, die Gemeinderäume mehr zu nutzen, den
Sportverein neu zu beleben oder die Feuerwehr aufzurüsten. Als
„Sofort-Initiativen“ möchten sie ein „Begrüßungsgeld für Neugeborene�…
einführen. Das Geld könnte durch eine „freiwillige Abgabe“ der
sitzungsbezogenen Aufwandsentschädigung der Bürgermeister und
Gemeindevertreter gewonnen werden. Ein entsprechender Antrag sei schon
eingebracht.
Doch Solidarität und Gemeinschaftlichkeit hören für Böhm und Richter auf,
wenn sie wegen ihrer politischen Haltung hinterfragt werden. Im „Blättchen“
greifen sie „eine im Dorf hin und wieder anzutreffenden Rechtsanwältin“ an,
die gegen „Wahlplakate heimattreuer Parteien (AFD und NPD)
selbstbekritzelte Plakate“ aufhängte. Schon der Verweis „hin und wieder“
soll sie als nicht dazugehörenden Teil der Dorfgemeinschaft markieren.
Angefeindet werden zudem die „diversen Aktionen einiger ‚Mitbürger‘“. …
Anführungszeichen dürfen erneut als Ausgrenzungsbemühung verstanden werden.
Rot hervorgehoben sind die Zeilen: „Auf solche Krawallos aus anderen
Städten kann unser Dorf verzichten!“
## Vor Ort organisiert sich der Protest
Aktivisten der völkischen Szene streben nach einer homogenen
Gesinnungsgemeinschaft. Der Schweriner Volkszeitung gegenüber beklagte
Richter so auch, dass das andere Lager immer Toleranz fordere, doch sie
würden „diffamiert“, nur weil sie „heimattreu“ wären. Eine Anfrage de…
warum beide Gemeindevertreter nicht für die NPD angetreten seien, blieb
unbeantwortet.
Vor Ort organisiert sich der Protest. Die Rechtsanwältin, die in dem
„Blättchen“ besonders angefeindet wird, hat erste Informationsabende
mitorganisiert. Über zwanzig Einwohner von Groß Krams haben sich
zusammengeschlossen. Am Dorfeingang ließen sie sich für die Schweriner
Volkszeitung fotografieren, sind bereit, Gesicht und Haltung gegen rechts
zu zeigen. „Wir möchten eine starke Gemeinschaft, welche sich nicht
unterwandern lässt, keine Bevormundung duldet und die Rechte des Einzelnen
respektiert“, fordern die engagierten Groß Kramser. „Für Vielfalt gegen
braune Einfältigkeit“ steht auf einem ihrer Protestschilder.
Eine aus der Gruppe sagt, dass es „hier auch NPD- und AfD-Fans gibt, aber
vor allem viele Menschen, die nur ihre Ruhe wollen“. In einer Erklärung
schreiben die Unterzeichner*innen, dass „Groß Krams kein Ort für
Extremismus ist, gleich aus welcher Richtung. Wir möchten weiterhin unsere
Meinung frei äußern können.“ Ihr gemeinsames Ziel sei „ein lebenswertes
Dorf mit einer starken Gemeinschaft“. An der Foto-Aktion nahmen auch
Landrat Stefan Sternberg und die Landtagsabgeordnete Elisabeth Assmann
teil. Die SPD-Politiker*innen unterschrieben auch die Erklärung.
## Viel Passivität
Von allen Courage gegen rechts einzufordern, wird nicht leicht, dessen sind
sich die Engagierten bewusst, auch weil viele im Dorf sich passiv
verhalten, einer Diskussion ausweichen. Vor Ort sichtbar Position zu
beziehen, um zur Auseinandersetzung zu ermutigen, ist eines der Vorhaben.
Einzelne Mitglieder der neuen Gruppe stellten schon bunte „Vielfalt“-Kreuze
auf, so wie es das Bündnis „Beherzt“ im Landkreis Uelzen macht. Von denen
auf der anderen Seite der Elbe stammt die Idee der „Kreuze ohne Haken“, sie
stellen sich damit den rechten Siedlern bei ihnen entgegen.
Sebastian Richter aber errichtete prompt für kurze Zeit „ein Kreuz mit
Haken“ vor seinem Haus. Das sei „augenzwinkernd“ gemeint, sagte er
hinterher.
Nicht weggucken oder sich wegducken will auch Bürgermeister Tobias Alwardt,
wie er sagt. Bei der konstituierenden Gemeindevertretungssitzung wählten
die Mandatsträger*innen Richter weder in den Kultur- noch in den
Finanzausschuss.
25 Nov 2019
## LINKS
[1] /Voelkische-Expansion/!5640852
## AUTOREN
Andreas Speit
andrea Röpke
## TAGS
Rechtsextremismus
Mecklenburg-Vorpommern
Dorf
Schwerpunkt Demos gegen rechts
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NPD
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