# taz.de -- Radiokunst in Hamburg-Harburg: Wo die Muschel kreist | |
> Ozeanisches im Wartesaal: Michaela Meliáns Radiostück „Chant du Nix“ im | |
> Kunstverein Harburger Bahnhof. | |
Bild: Altmodische Lautsprecher, flächiger Sound: „Chant du Nix“ in Harburg | |
HAMBURG taz | „Ozeanisch“, könnte einem einfallen – ganz im Sinne des | |
[1][„Ocean of Sound“], wie ihn, vor einem Vierteljahrhundert inzwischen, | |
der britische Theoretiker David Toop begriff, als Titel eines Buches und | |
einer dazu kuratierten Compilation. Buch und Platte spürten – und ja: sie | |
spürten mehr als dass sie analysierten oder auflisteten –, einer | |
Verflüssigung nach; einer Wandlung der Musik, von Melodie und Text hin zum | |
Sound. | |
(Wer’s doch konkreter brauchte, machte daraus wieder eine | |
Geschichtsschreibung, die des Genres „Ambient“ nämlich, beginnend in etwa | |
mit Erik Satie und seiner Mobiliarmusik, endend circa beim exzentrischen | |
Knöpfchendreher Aphex Twin.) | |
Ozeanisch – die Assoziation könnte natürlich schlicht den Muscheln | |
geschuldet sein: Die spielen eine prominente Rolle, auf der visuellen | |
Ebene, im dunklen ehemaligen Wartesaal, den im Harburger Bahnhof der | |
dortige Kunstverein betreibt. „Chant du Nix“ heißt die Arbeit der | |
Musikerin, Hörspiel- und Radiomacherin, bildenden Künstlerin und | |
Kunstprofessorin Michaela Melián, in die sich dort seit dem vergangenen | |
Freitag, tja, eintauchen lässt. 2019 produziert für den [2][„Radiokongress�… | |
des Deutschlandfunks] und damals auch ausgestrahlt, gibt es das Stück nun | |
erstmals als „Ausstellung“ zu erleben, so umschreibt es der Kunstverein. | |
## Wandelnde Perspektiven | |
Und nicht nur stehen, hängen und rotieren da nun altmodische Lautsprecher | |
im Raum verteilt, Druckkammerlautsprecher, wie manche*r sie vielleicht noch | |
auf Sportplätzen kennengelernt hat. Es gibt eben auch diese Muscheln: | |
minimalistisch abstrahierte, digital reproduzierte Muscheln. An zwei | |
gegenüberliegenden Wänden wird je eine projiziert, und eine dritte solche | |
Projektion umkreist den Raum, braucht etwa eine Minute einmal herum. | |
Je nachdem, wo der Mensch gerade steht, sie in sein Blickfeld gerät, lässt | |
die perspektivische Verzerrung das nicht direkt flitzende Ding manchmal | |
auch als etwas ganz anderes erscheinen. (Ist es ein Vogel, mit spitzem | |
Schnabel voran?) Überhaupt ändert sich hier vieles beim Durchqueren des | |
Raums: Lauter wird, was aus der einen Richtung kommt, dem einen | |
Lautsprecher (und leiser das aus der anderen, dem anderen). | |
Das akustische Material sind flächige Instrumentenstimmen, es könnten | |
Streicher sein, echte oder auch synthetisiert nachgebildete, und | |
Holzbläser? Eine flächige (oder flüssige?) Musik, vermeintlich formlos; | |
dann strukturieren Glocken, dann wieder etwas, das nach suchender Technik | |
klingt, wie der Klang irgendwelcher Apparaturen. Und dann sagt irgendwann | |
irgendwer etwas übers Ans-Ohr-Halten einer – Muschel. | |
## Öffentlicher Radio-Raum | |
Ausdrücklich auf Diskurse um den Radioraum als öffentlichen Raum habe sie | |
sich bezogen, das hat Melián 2019 dem beauftragenden Sender [3][ins | |
Mikrofon gesagt]. In Harburg nun ist diese Assoziationsebene einerseits | |
weit weg; aber weit weg, also lange her ist ja auch die angerufene | |
Frühphase des längst als überkommen geltenden Mediums – in etwa so lange | |
wie die Gründerzeit, als der Wartesaal erbaut worden ist. | |
Mit etwa einer Stunde ist die Länge des Stücks angegeben, aber auch schon | |
vorher scheint sich manches zu wiederholen oder wenigstens neu anzusetzen, | |
scheinen sich die Elemente zu verschieben und lassen sich neue Entdeckungen | |
machen, ohne dass danach aktiv gesucht worden wäre. | |
13 Oct 2020 | |
## LINKS | |
[1] /!1374923/ | |
[2] https://www.deutschlandfunk.de/koelner-kongress-2019.3865.de.html | |
[3] https://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2019/03/15/chant_du_nix_intervie… | |
## AUTOREN | |
Alexander Diehl | |
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