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# taz.de -- RAF-Festnahme: Last des Schweigens
> Nach 30 Jahren Fahndung wird die frühere Linksterroristin Daniela Klette
> in Berlin-Kreuzberg gefasst. Angehörige von Opfern hoffen nun auf
> Aufklärung.
Bild: Die Überbleibsel eines Lebens im Untergrund werden am 27. Februar aus de…
Sie hätte sich gewünscht, es nicht aus den Medien zu erfahren, sagt Carolin
Emcke: Dass Daniela Klette, die frühere RAF-Terroristin, nach 30 Jahren
Fahndung, mitten in Berlin, im linksalternativen Kreuzberg festgenommen
wurde. Die Nachricht sei „erstmal ein Schock“ gewesen, sagt die
Publizistin. „Es kamen sofort wieder die Bilder und der Schmerz hoch.“
Carolin Emcke war 22 Jahre alt, als ihr Patenonkel starb, [1][ermordet von
der RAF: Alfred Herrhausen]. Am 30. November 1989 hatte eine via
Lichtschranke gezündete Bombe den Mercedes des Chefs der Deutschen Bank
zertrümmert. Herrhausen verblutete auf der Rückbank, sein Chauffeur
überlebte schwer verletzt. Man habe den „mächtigsten Wirtschaftsführer in
Europa“ hingerichtet, erklärte die Rote Armee Fraktion in ihrem
Bekennerschreiben. Der 59-Jährige war eines der letzten Mordopfer der RAF,
eines von insgesamt 34.
Carolin Emcke eilte damals zum Tatort. Erst 22 Jahre später konnte sie
darüber schreiben, in ihrem Buch „Stumme Gewalt“. Jetzt, sagt die Autorin
der taz, hoffe sie, dass es nun „saubere, rechtsstaatliche Ermittlungen und
Aufklärung“ gebe. „Alles, wonach ich mich sehne, ist endlich, endlich ein
Ende des Schweigens.“
Das Schweigen der RAF, es liegt nicht nur über Alfred Herrhausen. Die
Verantwortlichen für das Attentat konnten nie ermittelt werden – wie bei
vielen anderen Taten der Linksterroristen. Bis heute kennen die Ermittler
nur wenige aus der dritten und letzten RAF-Generation, die den
Herrhausen-Mord und neun weitere verübte, beim Namen.
## Europe’s Most Wanted
Daniela Klette soll dazugehört haben. Die gebürtige Karlsruherin war in den
Siebzigerjahren in der Anti-Nato-Bewegung und der Roten Hilfe aktiv. In den
Untergrund soll sie 1989 gegangen sein – kurz nach dem Herrhausen-Attentat.
Die Bundesanwaltschaft wirft ihr die Beteiligung an drei Anschlägen vor.
1990 wurde eine Bombe vor der Deutschen Bank in Eschborn deponiert, die
jedoch nicht zündete. Ein Jahr später wurde die US-Botschaft in Bad
Godesberg mit 250 Schüssen attackiert. 1993 sprengte die RAF die im Bau
befindliche JVA Weiterstadt. An allen Tatorten fand sich DNA von Klette, in
Weiterstadt auch von den mitbeschuldigten RAF-Leuten Burkhard Garweg und
Ernst-Volker Staub.
Seitdem wurde nach Klette gefahndet. Erst von der Bundesanwaltschaft, dann
vom LKA Niedersachsen – weil Klette, Garweg und Staub von 1999 bis 2016
auch noch sechs Raubüberfälle in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen
verübt haben sollen, mit zwei Millionen Euro Beute, um ihr Leben im
Untergrund zu finanzieren. 150.000 Euro waren für Hinweise ausgelobt, das
Trio wurde auf die Liste der „Europe’s Most Wanted“ gesetzt. Erfolglos, b…
Montagabend.
Dann klingelten Zielfahnder an einer kleinen Wohnung, oben in einem grauen,
siebenstöckigen Wohnhaus in Berlin-Kreuzberg – und Klette öffnete. Seit
Jahren soll die heute 65-Jährige dort schon gelebt haben, unter dem Namen
Claudia Ivone. Der Name steht nicht an der Klingel. Aber im November hatte
das LKA einen Hinweis aus der Bevölkerung bekommen, die Wohnung danach
observiert. Klette leistete bei der Festnahme keinen Widerstand.
Tagelang wurde Klettes Wohnung penibel durchsucht, das Haus für eine Nacht
auch evakuiert, weil die Ermittler auf Teile einer Panzerfaustgranate, eine
Kalaschnikow, eine Maschinenpistole, eine Kurzwaffe und Munition stießen.
## Engagiert im Kulturverein
Mit einem Hubschrauber wurde Klette nach Bremen geflogen, in einem
gepanzerten Wagen zum Amtsgericht Verden gefahren – [2][als wäre sie heute
noch eine Top-Terroristin]. Dann wurde ihr die U-Haft für die vorgeworfene
Beteiligung an den sechs Raubüberfällen verkündet. Seitdem soll Klette im
Frauengefängnis in Vechta sitzen.
Von einem „Meilenstein der Kriminalgeschichte“, jubelte Niedersachsens
Innenministerin Daniela Behrens (SPD). LKA-Chef Friedo de Vries betonte,
man habe „nie locker gelassen“. Aber Klette lebte in Berlin gar nicht so
versteckt. Sie gab laut Nachbarn Nachhilfe. Sie pflegte ein Facebookprofil,
auch unter dem Namen Claudia Ivone, auf dem sie Fotos von sich postete. Sie
engagierte sich lange in einem brasilianischen Kulturverein in Berlin, in
Tanz- und Capoeira-Gruppen, gab dort Kindern Unterricht, posierte auch hier
offen auf Fotos, tanzte vorneweg auf dem Karneval der Kulturen, soll mit
der Gruppe nach Brasilien oder Frankreich gereist sein.
Als freundlich, und fast ein bisschen verhuscht, habe sie „Claudia“ beim
Tanzen kennengelernt, berichtet eine frühe Mitstreiterin aus dem
Kulturverein. „Claudia“ habe fließend Portugiesisch gesprochen, einen
Partner in Brasilien kennengelernt, der einige Monate mit ihr in Berlin
lebte, dann hätten sie sich getrennt. Sie habe eher spirituell gewirkt,
sich an Ritualen beteiligt, tranceartigen Tänzen, bei denen man sich
eigentlich kaum verstellen könne.
An politische Gespräche kann sich die Mittänzerin nicht erinnern. Sie
arbeite in der Altenpflege, habe „Claudia“ erzählt. Manchmal sei sie dafür
ein paar Tage unterwegs und bekomme ab und zu von den Senioren etwas Geld
zugesteckt. „Rückblickend kann man das natürlich anders deuten. Aber damals
gab es überhaupt keinen Grund, stutzig zu werden.“ Später habe sich der
Kontakt verloren.
## Wie eine aufgespaltene Persönlichkeit
Auch den Capoeira-Verein verließ „Claudia“ vor einigen Jahren. „Niemals
hätte ich das geglaubt, dass diese Frau Anschläge und Raubüberfälle
begangen haben soll. Nichts ferner als das“, sagt die einstige Bekannte.
„Da komme ich wirklich ins Zweifeln über meine Menschenkenntnis.“ Es wirke,
als habe Klette eine „völlig aufgespaltene Persönlichkeit“ entwickelt.
Auf die Spuren, die Klette hinterließ, war am Ende auch ein
[3][ARD-Podcastteam] gestoßen. Mit Hilfe einer Bildererkennungssoftware
fanden sie Ende vergangenen Jahres Bilder von Klettes Capoeira-Verein. Doch
auch sie erfuhren nur, dass Klette dort seit Jahren nicht mehr aktiv war,
die Gesuchte fanden sie nicht. Für die Polizei gibt es rechtlich hohe
Hürden, solche Bilderkennungssoftware zu nutzen. Die eigene Bilderdatenbank
ist deutlich kleiner.
Das LKA setzte in den vergangenen Jahren vielmehr auf klassische
Zielfahndung: Tausende Autovermieter und Tabakläden wurden aufgesucht, weil
Staub als starker Raucher gilt, mögliche Tatorte für die Raubüberfälle
wurden observiert, Zeitungsschnipsel in einem Tatauto und ein geortetes
Handy ausgewertet, Briefe an die Familie von Garweg beschlagnahmt. Zuletzt
erfolgten noch einmal Zeugenvorladungen von Angehörigen und möglichen
früheren Bekannten des Trios – in denen Ermittler auch gesagt haben sollen,
dass man zu einem Deal mit den Untergetauchten bereit sei.
Für Daniela Klette kommt das zu spät. Ihr drohen nun einige Jahre Haft. Bei
einem der sechs Überfälle, in Stuhr, wurde auf Sicherheitsleute geschossen,
Klette soll mit einer Panzerfaust gedroht haben – der Vorwurf lautet hier
auf versuchten Mord. Auch die Bundesanwaltschaft ermittelt noch gegen
Klette: Die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ist zwar
verjährt, die Anschlagsvorwürfe aber sind es nicht.
## Vorwurf: versuchter Mord
Zwar hatte das Kommando in Weiterstadt vor der Sprengung das
JVA-Wachpersonal gefesselt und in einem VW-Transporter vom Gelände
gefahren. Durch die Explosion aber entstand ein Schaden von 123 Millionen
D-Mark. Bei den Anschlägen auf die US-Botschaft in Bad Godesberg und die
Deutsche Bank in Eschborn wurde zwar niemand verletzt, in beiden Fällen
befanden sich aber Personen in den Gebäuden, weshalb auch hier der Vorwurf
auf versuchten Mord lautet.
Die Rote Hilfe kritisiert dagegen eine „Verfolgungswut“ und ein
„staatliches Rachebedürfnis“. Es sei zu befürchten, dass in einem
neuerlichen RAF-Prozess „sämtliche rechtsstaatliche Standards außer Kraft
gesetzt werden, um eine möglichst hohe Haftstrafe zu erreichen“.
Verdens Staatsanwalt Clemens Eimterbäumer betonte zuletzt aber, dass auch
Daniela Klette die Kronzeugenregelung offenstehe, wenn sie über die eigenen
Tatbeiträge hinaus auspacke. Allein: Die 65-Jährige schweigt laut
Ermittlern bisher – so wie fast alle früheren RAF-Mitglieder.
Es ist ein Schweigen, gegen das die Publizistin Carolin Emcke ankämpft. Man
wisse zwar nicht, woran Klette tatsächlich beteiligt war, sagt auch sie.
„Ich bin skeptisch, ob wir nun noch viel erfahren werden. Würde ich es mir
wünschen? Ja, natürlich. Ich denke, dass es in der Lüge und im Schweigen
kein Leben geben kann.“ Schon in ihrem Buch von 2008 plädierte Emcke für
einen Strafverzicht, wenn RAF-Leute auspacken. Das vertrete sie weiterhin,
so Emcke. „Ich weiß, dass einige Angehörige das anders sehen. Aber für mich
persönlich ist die Aufklärung nach all den Jahrzehnten wichtiger als Rache
oder Strafe.“ Aber Klette müsste dann „die Wahrheit eben auch sich selbst
zumuten“.
## Obszöne Berichterstattung
Emcke fordert Aufklärung auch von Ermittlungsbehörden und Verfassungsschutz
ein. Alle Akten, alles Wissen sollten öffentlich gemacht werden. Dies sei
auch für die gesellschaftliche Reflexion über den RAF-Terror entscheidend.
Denn die Art, wie über Klettes Verhaftung berichtet werde, sei „obszön“,
kritisiert sie. „Da gibt es zwischen politischem Triumph-Gestus bis zu
RAF-Voyeurismus alles. Die Toten, die Gewalt, die Trauer der Angehörigen,
die bleibt im toten Winkel dieser RAF-Faszination.“
Es gibt auch politische Stimmen, die hoffen. Die Verhaftung von Klette
müsse „zur Aufklärung aller Hintergründe“ des Terrors der dritten
RAF-Generation genutzt werden, sagt etwa der Grüne Konstantin von Notz.
Auch Gerhart Baum, der FDP-Mann, der Ende der Siebziger als
Bundesinnenminister die RAF jagte, hofft jetzt, zumindest ein wenig. Mit
der Festnahme Klettes gebe es nun die „vage Möglichkeit“, die bislang
gänzlich im Dunkel liegenden Morde der dritten RAF-Generation aufzuklären.
„Das wäre eine Sensation. Wünschen würde ich es mir.“
Für die Opferfamilien jedenfalls sei es „eine ganz schlimme Situation, dass
die Mörder ihrer Angehörigen weiter frei herumlaufen“. Wenn Klette wirklich
reden wolle, sei eine Kronzeugenregelung denkbar. „Aber das entscheidet
letztlich das Gericht und hängt davon ab, ob sie überhaupt was sagen kann.“
Tatsächlich ist bis heute unklar, welche Rolle Klette in der RAF spielte.
Mit ihrem Einstieg 1989 stieß sie erst spät zu der Gruppe dazu. Jenseits
der drei Anschläge fehlt den Ermittlern bei ihr Belastbares über ihre
Verbindung zur Gruppe. Ihren Mitgesuchten Ernst-Volker Staub rechneten die
Ermittler dagegen der RAF-Kommandoebene zu. Aber er bleibt, ebenso wie
Burkhard Garweg, bis heute verschwunden. Eine Festnahme noch am Dienstag in
Berlin entpuppte sich als Verwechslung. Zuletzt warnte das LKA, dass sich
beide Männer ebenfalls in der Hauptstadt befinden könnten. Die Fahndung
dort werde deshalb „intensiviert“.
Daniela Klette ist bei der Suche bisher keine Hilfe: Sie schweigt auch
dazu.
1 Mar 2024
## LINKS
[1] /Herrhausen-Patenkind-ueber-die-RAF/!5176098
[2] /Festnahme-von-Daniela-Klette/!5992296
[3] https://www.ardaudiothek.de/sendung/legion/12015417/
## AUTOREN
Konrad Litschko
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