| # taz.de -- Publizistin über Staatsbürgerschaftsrecht: „Rückschritt in die… | |
| > Künftig soll nur eingebürgert werden, wer sich „in die deutschen | |
| > Lebensverhältnisse“ einordnet. Das ermögliche Behördenwillkür, kritisie… | |
| > Ferda Ataman. | |
| Bild: Alles deutsche Staatsangehörige: Einbürgerung im Stuttgarter Rathaus | |
| taz: Frau Ataman, Sie haben den Bundestag aufgerufen, der am Donnerstag | |
| anstehenden Änderung des Staatsbürgerschaftsrechts nicht zuzustimmen. | |
| Warum? | |
| Ferda Ataman: Den Aufruf unterzeichnet haben über 1.000 Menschen, darunter | |
| etwa 100 Professorinnen und Professoren und zahlreiche Initiativen, | |
| Juristinnen- und Anwaltsvereine. Das ist ein ziemlich einmaliges Bündnis | |
| aus Migrantenorganisationen und Rechtsexperten. Unsere Kritik richtet sich | |
| unter anderem gegen die Wischiwaschi-Formulierung, dass in Zukunft bei | |
| Einbürgerungen eine „Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse“ | |
| vorausgesetzt werden soll. Damit bekommen Behörden einen willkürlichen | |
| Spielraum, ob jemand Deutscher werden darf oder nicht. Das wäre ein | |
| Rückschritt in die 80er Jahre. | |
| Warum? | |
| Erst seit den 90er Jahren gibt es einen Anspruch auf Einbürgerung, der sich | |
| nach einigermaßen klaren Kriterien richtet. Du kannst hingehen und sagen: | |
| So, ich bin jetzt seit acht Jahren rechtmäßig in Deutschland, sichere | |
| meinen Lebensunterhalt, habe mir nichts zuschulden kommen lassen, ich würde | |
| jetzt gern deutsche Staatsangehörige werden. Vorher lag das allein im | |
| Ermessen der Behörden. 2000 wurde dann das Ius sanguinis, also das | |
| Abstammungsprinzip, um Elemente des Ius soli ergänzt, also des | |
| Geburtsortsprinzips. Wer hier als Kind von ausländischen Eltern geboren | |
| wird, die schon länger in Deutschland leben, wird automatisch Deutsche*r. | |
| Das waren wahnsinnige Fortschritte. | |
| [1][Im Entwurf der Regierung geht es um den Passentzug für | |
| Doppelstaatler*innen,] die sich im Ausland terroristischen Gruppen | |
| angeschlossen haben. Der Rest sind Änderungsanträge von Union und SPD im | |
| Bundestag. Laut Begründung soll so die Einbürgerung von Menschen in Mehrehe | |
| verhindert werden. Das ist doch nicht schlecht, oder? | |
| Ich bin nicht prinzipiell dagegen, Vielehen als Ausschlusskriterium für die | |
| Einbürgerung zu behandeln. Aber dann soll man auch nur das in den | |
| Gesetzestext schreiben. Dort steht aber: „Einordnung in die deutschen | |
| Lebensverhältnisse, insbesondere nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten | |
| verheiratet“. | |
| Der zweite Halbsatz ist ja gerade erst ergänzt worden. Damit ist die | |
| Formulierung nun differenzierter. Ihnen reicht das nicht? | |
| Nein. Der Halbsatz ist ja nur ergänzend, [2][eine schwammige Forderung nach | |
| einer Art Leitkultur bleibt.] Wie bitte soll die Einordnung in deutsche | |
| Lebensverhältnisse gemessen werden? Soundso viel Bier im Jahr? | |
| Das Innenministerium wollte einen Passus zur Mehrehe im Gesetz, das | |
| Justizministerium nicht. Nun kommt er über das parlamentarische Verfahren | |
| zustande. Wie bewerten Sie das? | |
| Es geht sehr stark um Symbolpolitik. Die ganze Debatte um Vielehe wurde | |
| durch einen Fall in Gang gesetzt, über den die Bild groß berichtet hat. | |
| Beide Ministerien haben mir auf Anfrage gesagt, dass ihnen keine weiteren | |
| Fälle bekannt sind. Dass die Ministerien sich nicht einigen konnten, zeigt | |
| zudem, wie unausgegoren der Vorschlag ist, und dass es offenbar starke | |
| Vorbehalte gab. Die werden jetzt durch das parlamentarische Verfahren | |
| einfach umgangen. | |
| Sie kritisieren auch, dass nur eingebürgert werden soll, wessen Identität | |
| eindeutig geklärt ist. Dass das Parlament daran ein Interesse hat, ist doch | |
| berechtigt und nachvollziehbar, oder nicht? | |
| Natürlich. Das Problem ist, dass es keine explizite Härtefallregelung gibt. | |
| Menschen die aus Kriegs- und Krisenländern flüchten, können nicht einfach | |
| im Konsulat nach Unterlagen fragen. Sie werden aber vermutlich lange in | |
| Deutschland leben. Wenn sie auf absehbare Zeit nicht eingebürgert werden | |
| können, ist das integrationspolitisch ein Desaster. | |
| ## Warum? | |
| Die Möglichkeit der Einbürgerung ist [3][eine der wichtigsten | |
| Voraussetzungen für Integration und gleichberechtigte Teilhabe.] Und wir | |
| haben in Deutschland ohnehin schon zu wenig Einbürgerungen und nicht zu | |
| viele: 2018 haben sich nur 2,2 Prozent der Menschen einbürgern lassen, die | |
| die Voraussetzungen dafür erfüllen. Das heißt auch: Die Wohnbevölkerung ist | |
| in Deutschland nicht deckungsgleich mit der Wahlbevölkerung. Rund fünf | |
| Millionen Menschen leben schon seit mindestens zehn Jahren in Deutschland | |
| und dürfen nicht wählen. Damit ist diese Gruppe größer als die der | |
| CSU-Wähler. | |
| ## Wer bei der Identität gelogen hat, dem soll künftig innerhalb von zehn | |
| und nicht nur von fünf Jahren die Staatsangehörigkeit wieder entzogen | |
| werden können. Auch das kritisieren Sie. Warum? | |
| Falsche Angaben zu machen ist natürlich alles andere als legitim. Es | |
| scheint tatsächlich Fälle gegeben zu haben, in denen Leute nach fünf Jahren | |
| zu den Behörden kamen und gesagt haben: Eigentlich bin ich der und der, | |
| ändert das bitte. Aber: In Zukunft wartet diese Person dann eben zehn | |
| Jahre. Und ein Gesetz betrifft ja immer alle. Die vielen anderen, die nicht | |
| gelogen haben, sind dann ja auch zehn Jahre lang Staatsbürger auf Widerruf. | |
| Und ganz grundsätzlich halte ich den Entzug von Staatsbürgerschaften als | |
| Sanktionsmittel für den falschen Ansatz in einem demokratischen | |
| Rechtsstaat. | |
| 26 Jun 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/097/1909736.pdf | |
| [2] /Aenderung-im-Staatsangehoerigkeitsrecht/!5600585 | |
| [3] /Interview-mit-Journalistin-Ferda-Ataman/!5578306 | |
| ## AUTOREN | |
| Dinah Riese | |
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