# taz.de -- Prozess gegen frühere KZ-Sekretärin: Bewährungsstrafe gefordert | |
> Über ein Jahr läuft die Verhandlung gegen eine 97-jährige ehemalige | |
> KZ-Sekretärin. Nun forderte die Staatsanwaltschaft eine | |
> Jugend-Bewährungsstrafe. | |
Bild: Die Angeklagte Irmgard F. (l) sitzt zu Beginn des Prozesstages neben ihre… | |
BERLIN taz | Zwei Jahre Haft auf Bewährung wegen Beihilfe zum Mord im KZ: | |
So lautet die Strafforderung der Staatsanwaltschaft gegen eine ehemalige | |
Sekretärin des [1][Konzentrationslagers Stutthof] bei Danzig (heute | |
Gdansk). In dem Prozess vor dem Landgericht Itzehoe trug Staatsanwältin | |
Maxi Wantzen in ihrem Plädoyer zur Begründung vor, [2][die heute 97-jährige | |
Angeklagte] habe sich der Beihilfe zum heimtückischen und grausamen Mord in | |
mehr als 10.000 Fällen schuldig gemacht. | |
Nach Überzeugung der Anklage hat Irmgard F. mit ihrer Schreibarbeit in der | |
Kommandantur des KZ dafür gesorgt, dass der Lagerablauf aufrecht erhalten | |
werden konnte. Sie sei durch ihre Arbeitsbereitschaft eine wichtige | |
Unterstützung des Lagerkommandanten und seiner Adjutanten gewesen. | |
Irmgard F., so die Staatsanwältin, habe als einzige Sekretärin des | |
Kommandanten von den lebensfeindlichen Bedingungen und den Morden im KZ | |
wissen müssen. Sie habe den Rauch beim Verbrennen der Leichen im | |
Krematorium und auf einem Scheiterhaufen sehen können. Zwar habe sie das | |
eingezäunte Lager selbst nicht betreten. „Das war aus meiner Sicht nicht | |
erforderlich, um Kenntnis von den Massenmorden zu haben“, sagte Wantzen. | |
Seit einem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom September 2016 ist eine | |
Verurteilung von KZ-Bediensteten auch dann möglich, wenn diesen kein | |
individueller Mordvorwurf nachgewiesen werden kann. Es genügt, wenn diese | |
mit ihrer Arbeit das mörderische Tun in einem Lager unterstützten. | |
Die vergleichsweise geringe Strafe entspricht exakt einem Urteil, dass vor | |
gut zwei Jahren in [3][einem anderen Stutthof-Prozess] verhängt wurde. Das | |
Landgericht Hamburg hatte im Juli 2020 den ehemaligen KZ-Wachmann Bruno D. | |
ebenfalls zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt. | |
## Flucht vor dem Prozess | |
Wie bei D. wird auch in dem Itzehoer Verfahren das Jugendstrafrecht | |
verwandt. Irmgard F. war zum Zeitpunkt der ihr vorgeworfenen Taten erst 18 | |
und 19 Jahre alt. Sie hat sich in ihrem Prozess bisher kein einziges Mal zu | |
den Vorwürfen geäußert. Allerdings machte sie zu Beginn des Verfahren im | |
September 2021 mehr als deutlich, was sie von dem Verfahren hält: Damals | |
tauchte die in einem Seniorenheim lebende Frau nicht im Gerichtssaal auf, | |
sondern entzog sich dem Prozess [4][durch eine Flucht mit dem Taxi] an die | |
Hamburger Stadtgrenze. Dort wurde sie noch am gleichen Tag von der Polizei | |
gefasst und kam wegen drohender Fluchtgefahr anschließend kurzzeitig in | |
Untersuchungshaft. | |
Irmgard F. arbeitete von Juni 1943 bis zum April 1945 als sogenannte | |
Zivilangestellte in der KZ-Kommandantur. In Vernehmungen vor dem | |
Prozessbeginn hatte sie davon gesprochen, für die „Wehrmacht Danzig“ | |
gearbeitet zu haben. Ein historischer Sachverständiger in dem Verfahren | |
widersprach dieser Version des Tatgeschehens. | |
Anfang November hatte das Gericht die Gedenkstätte Stutthof in Polen | |
besucht und dabei auch das frühere Gebäude der Kommandantur besichtigt. Dem | |
Protokoll dieses Ortstermins zufolge habe die Angeklagte damals beim Blick | |
aus dem Fenster des Geschäftszimmers das sogenannte Neue Lager sehen | |
können, zu dem auch das „Judenlager“ mit besonders furchtbaren | |
Haftbedingungen gehörte. Ähnlich war die Aussicht aus dem Raum des | |
KZ-Kommandanten Werner Hoppe. Der Blick aus einem dritten Raum, der in der | |
NS-Zeit als Magazin diente, ließ die Baracken des Alten Lagers, das | |
Krematorium und die Vergasungsanlage erkennen. | |
Der Prozess wird in der nächsten Woche mit den Plädoyers der Nebenklage | |
fortgesetzt. Mit einem Urteil ist für das Jahresende zu rechnen. Die | |
Anklage äußerte die Vermutung, dass dies das letzte Verfahren gegen einen | |
mutmaßlichen NS-Täter sein könnte. Doch im bayerischen Coburg ermittelt die | |
Staatsanwaltschaft derzeit gegen einen Wachmann des KZ Ravensbrück. | |
22 Nov 2022 | |
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[1] /Ermittlungen-gegen-Nazi-Taeter/!5890526 | |
[2] /Prozess-zum-Konzentrationslager-Stutthof/!5795726 | |
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## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
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