# taz.de -- Proteste zur Klimakonferenz: Tränengas im Märchenpark | |
> Paris sollte ein Happening der Umweltbewegungen werden. Dann wurden alle | |
> Demonstrationen verboten. Wie protestiert es sich im Notstand? | |
Bild: Will hier etwa jemand protestieren? Ein Poster des Street-Art-Künstlers … | |
Sie stehen im Kreis und halten ihre Hände zu Fäusten geballt. Sie pressen | |
ihre Fäuste an die Brust, ans Herz und weinen. | |
Dallas Goldtooth, 33, aus Minnesota, USA, vom Stamme der Dakota. | |
Allison Akootchook Warden, 42, aus Kuktovik in Alaska, vom Stamme der | |
Inupiaq. | |
Sharon Lungo, 37, von der Nation der Pipil, einer Gemeinschaft, die sich | |
als souverän begreift, in einem Land, das andere El Salvador nennen. | |
Sie also weinen und weinen an diesem Sonntagmorgen in Paris, und dann | |
sprechen sie ein Gebet für die Opfer des Terrors. 37 Schritte sind es aus | |
dieser kleinen Parkanlage am Boulevard Voltaire die Straße hinüber zum | |
Bataclan, jenem Ort, an dem am 13. November 89 Menschen von islamistischen | |
Terroristen ermordet wurden. Überall am Bataclan liegen Blumen, Kränze und | |
Kinderbilder auf den Bürgersteigen. Fotos von Menschen, die im Bataclan | |
starben. Das ist das eine. | |
Das andere ist: Dieser Sonntag sollte doch etwas Besonderes werden, ein | |
Welttreffen der Umweltaktivisten, Tausender, aus allen Teilen der Erde. | |
Goldtooth, Warden und Lungo wollten einen Tag vor Beginn dieser | |
entscheidenden Klimakonferenz der Welt mitteilen, was sie bewegt: die | |
Pipelines, die durch ihre Landgebiete führen, das Asthma ihrer Kinder. | |
Dieser Klimagipfel muss endlich etwas bewirken, sagen sie – aber wo in | |
Paris ist noch Platz für ihre Botschaften? | |
## Notstandsgesetze verbieten alle politischen Versammlungen | |
8.000 Polizisten an den Grenzen, 120.000 im gesamten Land, allein 2.800 | |
sollen auf dem Konferenzgelände nördlich von Paris im Einsatz sein. Die | |
Notstandsgesetze, die die französische Regierung erlassen hat, verbieten | |
alle politischen Versammlungen – und die Behörden meinen es ernst. Die | |
Massendemonstrationen, auf die Umweltorganisationen aus aller Welt seit | |
einem Jahr hingearbeitet haben, wurden verboten. Und wie um diesen Willen | |
zu unterstreichen, [1][stellte das französische Innenministerium nun auch | |
noch 24 Aktivisten unter zweiwöchigen Hausarrest]. Manche von ihnen waren | |
zentral in die Protestvorbereitungen eingebunden. Sie dürfen für die zwei | |
Wochen des Gipfels nicht in die Pariser Innenstadt, dürfen zwischen 20 und | |
6 Uhr ihre Wohnungen nicht verlassen und müssen sich täglich dreimal auf | |
dem Polizeirevier melden: um 9 Uhr, um 13 Uhr, um 19 Uhr. | |
Die Erlasse stammen direkt aus dem Innenministerium – Staatsanwälte oder | |
Richter waren offenbar nicht beteiligt. Die französische Regierung handelt | |
allein. Mehr noch: Um einer Verurteilung durch die Europäische Union zu | |
entgehen, hat Frankreich beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte | |
in Straßburg schon vorsichtshalber angekündigt, dass nach den Attentaten | |
vorübergehend gewisse Grundrechte eingeschränkt würden. Es steht schlecht | |
um die Proteste. | |
Es gibt ein Haus im Pariser Stadtteil Montreuil, in dem die Vorbereitung | |
der Proteste an diesem Wochenende dennoch ihren Gang nimmt, als sei nichts | |
geschehen. Der Grund: Die Rechnung ist bereits bezahlt. Hier im „Jardin | |
d’Alice“ haben die Protestkünstler ihr Zentrallager eingerichtet. In der | |
Halle im ersten Stock malen ein paar Dutzend Künstler an Transparenten und | |
Schildern. Sie schneiden Wellen aus Pappe aus und pinseln sie blau an, sie | |
basteln weiße Wolken, sie schneiden silberne Dachfolien zurecht, um daraus | |
aufblasbare Barrikaden zu formen. | |
Denn so ist das ja, wenn ein Protest groß werden soll: Finanzstarke | |
Nichtregierungsorganisationen lassen Geld fließen, damit Profis vorab im | |
Akkord Protestschilder malen, immer die gleichen, die bei den | |
Demonstrationen an willfährige Demonstranten verteilt werden können. Im | |
Ozeanblock werden dann die Pappwellen hochgehalten, im Wolkenblock die | |
Wolken. Es fehlt in Paris nicht an Geld für die Schilder, und es fehlt | |
nicht an Schildern. Doch wenn nicht demonstriert werden darf – wer hält die | |
Schilder dann hoch? Der Notstand ist der Notstand der Bewegung. | |
## Ein Instrument gegen Kritiker aller Art | |
Als am Donnerstag letzter Woche auf einem Biohof in der Dordogne Beamte | |
anklopften, standen sie in Kampfmontur vor der Tür. Eine Bäuerin, ihr Mann | |
und ihr zweijähriges Kind waren zu Hause, und dann stürmte eine | |
Sondereinheit der Polizei ihr Haus. Sie durchsuchte die Adressverzeichnisse | |
und Notizbücher der Familie, kopierte die Daten von Telefonen und | |
Computern. Warum die Beamten kamen? „Wegen der Umweltdemonstrationen.“ | |
Im selben Stil wurden Ende letzter Woche die Besetzer eines Hauses in | |
Ivry-sur-Seine bei Paris geweckt. Der Erste, der die Türe öffnete, wurde | |
von rund dreißig hereinstürmenden Polizisten mit Waffen bedroht und mit | |
Handschellen gefesselt. Alle Zimmer wurden durchsucht, ergebnislos. Die | |
übrigen zehn Bewohner mussten in einer Ecke niederknien. Auch in Rennes und | |
Rouen kam es zu ähnlichen Polizeiaktionen – alles auf Basis der | |
Notstandsgesetze. | |
Es dauerte nur wenige Tage, bis die Notstandsgesetze in Frankreich, | |
vermeintlich ein Werkzeug im Kampf gegen den Terror, zu Instrumenten gegen | |
Kritiker aller Art geworden sind. | |
Und so weiß an diesem Sonntagmorgen an der Place de la République noch | |
niemand, wie dieser Tag verlaufen wird, denn es soll ja doch irgendeine | |
Form von Protesten geben. | |
Goldtooth, Warden und Lungo haben ihr Gebet gesprochen. Und die | |
Kampagnenorganisation Avaaz hatte eine Idee: Tausende Schuhe stehen nun | |
hier auf dem Platz, es sollen die Schuhe all derer sein, die heute nicht in | |
Paris demonstrieren können. Große Organisationen wie Greenpeace und der WWF | |
waren die Ersten, die nach dem radikalen Protestverbot in Frankreich die | |
Segel strichen. Sie setzten stattdessen eine Homepage im Internet auf – und | |
forderten Aktivisten in anderen Ländern auf, dort „für Paris“ zu | |
demonstrieren. So wirkt an diesem Sonntag in Paris vieles wie eine | |
Kapitulation. Es ist ein verstörendes Szenario: Das Einzige, was wirklich | |
anwesend ist, ist die Abwesenheit. | |
## Am Ende wird doch noch demonstriert | |
Man kann sich diesen Protestsonntag vorstellen wie eine Wanderung durch | |
einen Märchenpark, durch ein städtisches Stillleben, in dem Statisten hier | |
und dort Inszenierungen herrichten. Es ist kein Protest, es ist eher eine | |
Installation von Protest – auch die Menschenkette. | |
Einige Tausend Menschen kommen am Mittag dann doch zusammen, am Boulevard | |
Voltaire, entlang der Strecke, auf der die Terroristen mordeten. Sie | |
stellen sich nur auf den Bürgersteig, um die Polizei nicht zu provozieren, | |
und dann stehen am Ende einige Tausend Menschen mit dem Rücken zu den | |
Wänden der Hausfassaden in einer Reihe und halten Schilder hoch: Die blauen | |
Wellen aus der Protestwerkstatt sind da, und auch die weißen Wolken wurden | |
verteilt. Goldtooth, Warden, Lungo finden ihren Platz. Es gibt etwas Musik, | |
dann gehen alle wieder nach Hause. | |
Am Nachmittag dann formiert sich tatsächlich so etwas wie eine | |
Demonstration. Einige Hundert Menschen, die meisten von ihnen vermummt, | |
versammeln sich an der Place de la République, wo wiederum Blumen und | |
Kränze an die Terroropfer erinnern. Die Polizei ist sofort zur Stelle, mit | |
Pfefferspray und Tränengrasgranaten. Nicht lange, da liegt die Place de la | |
République unter einer großen, beißenden Wolke aus Tränengas. Goldtooth, | |
Warden, Lungo sind längst verschwunden. Die, die noch geblieben sind, | |
weinen wieder. Diesmal wegen des Reizgases. Rien ne va plus. Nichts geht | |
mehr. | |
29 Nov 2015 | |
## LINKS | |
[1] /Klimaaktivist-ueber-Hausarrest-in-Paris/!5255902/ | |
## AUTOREN | |
Martin Kaul | |
Rudolf Balmer | |
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