# taz.de -- Proteste in Serbien: SerbInnen haben die Nase voll | |
> Den vierten Samstag demonstrieren in Belgrad Tausende gegen den | |
> Präsidenten. Staatsnahe Medien nennen die Demonstranten „Faschisten“. | |
Bild: „Stoppt die blutigen Hemden!“ Demonstration gegen die serbische Regie… | |
Belgrad taz | Trillerpfeifen, Buhrufe, Transparente gegen Staatspräsident | |
Aleksandar Vučić, Protestmärsche durch das Stadtzentrum, Verkehrsblockaden. | |
Es ist der vierte Samstag in Folge, [1][an dem sich unzufriedene Bürger um | |
18 Uhr vor der Philosophischen Fakultät in Serbiens Hauptstadt Belgrad | |
versammeln] und gegen das Regime demonstrieren. Kein Polizist ist weit und | |
breit zu sehen. Im Gegensatz zu den [2][Protesten der „Gelben Westen“ in | |
Frankreich] verläuft in der serbischen Hauptstadt alles friedlich. Immer | |
noch. | |
Wie an den vergangenen drei Samstagen zieht eine unüberschaubare | |
Menschenmenge am Gebäude der regimetreuen Tageszeitung Politika vorbei, | |
biegt dann um die Ecke zum Staatsfernsehen ab, das in die | |
Propagandamaschinerie von Vučić und seiner Serbischen Fortschrittspartei | |
(SNS) eingespannt ist. Das Staatsfernsehen berichtet zwar in den | |
Nachrichten über die Proteste, doch nur kurz und erst nach zwanzig Minuten. | |
Es ist von „einigen Tausend unzufriedenen Bürgern“ die Rede. | |
Gleichgeschaltete serbische Medien gehen mit den Massenprotesten auf | |
zweifache Art und Weise um: Die einen schweigen sie tot, die anderen | |
berichten über oppositionelle „Schurken, Diebe, Kriminelle, Tycoons, | |
Faschisten“, die mit ihrem „schmutzigen, gestohlenen Geld“ die Demos | |
organisieren, um „an die Macht zu kommen und Serbien wieder ausplündern zu | |
können“. | |
Das wird wie ein Mantra wiederholt, immer wieder, zigmal am Tag, bei jeder | |
sich bietenden Gelegenheit – selbst wenn es um einen Verkehrsunfall mit | |
Todesopfern geht. Die Opposition ist an allem schuld. | |
## Systematische Verbalattacken | |
Die systematischen verbalen Attacken und Medienkampagnen von Präsident | |
Vučić und seinen Gefolgsleuten gegen die Opposition, kritische Medien, | |
Andersdenkende sind ein Grund für die Massenproteste. „Das hat zu einer | |
Spaltung und aggressiver Stimmung in der Gesellschaft geführt“, sagt der | |
stellvertretende Chefredakteur des Wochenmagazins Vreme, Filip Švarm. | |
Verbale Gewalt könne leicht in physische Gewalt übergehen. | |
So wurde vor wenigen Wochen der Vorsitzende der oppositionellen Linken | |
Partei, Borko Stefanović, krankenhausreif geprügelt. Der Angriff auf ihn | |
war der Auslöser für die Proteste. Das Foto, das zeigt, wie Stefanović mit | |
Kopfverletzungen und blutverschmiertem Hemd behandelt wird, wurde zum | |
Symbol der ersten Demonstration unter dem Motto: „STOPP die blutigen | |
Hemden“. | |
Über die Anzahl der Teilnehmer an den „Samstagsdemonstranten“ gehen die | |
Meinungen weit auseinander. Nebojša Stefanović, Innenminister mit | |
plagiiertem Doktortitel und von den Demonstranten wegen. mehrerer | |
unaufgeklärter Mordfälle zum Rücktritt aufgefordert, sprach vor laufenden | |
TV-Kameras von 4.000 bis 5.000 Demonstranten, die Organisatoren und die | |
Opposition von 40.000 bis 50.000. | |
Seit sechs Jahren sind Vučić und seine SNS an der Macht. Der | |
Staatspräsident führt sich wie ein Volkstribun auf, um ihn ist ein | |
Personenkult aufgebaut worden, er hat sich über Parlament und Regierung | |
gesetzt. Sein aggressiver Populismus spaltet die Bürger Serbiens in brave | |
Patrioten, die ihn unterstützen, und „Verräter und Kriminelle“, die gegen | |
ihn sind. | |
## Kein bisschen nachgeben | |
Eine Mitte und einen Dialog gibt es nicht. Andere Meinungen werden nicht | |
geduldet. Über die Proteste sagte Vučić: „Selbst wenn fünf Millionen auf | |
die Straße gehen, werde ich ihnen kein bisschen nachgeben.“ Darauf | |
antworteten die Demonstranten: „Ich bin einer von fünf Millionen.“ | |
Die Samstagsproteste sind keine Demonstrationen von Studierenden, das | |
Durchschnittsalter der Teilnehmer liegt schätzungsweise bei weit über | |
vierzig Jahren. Ihre Mienen sind ernst, als würden sie eine Pflicht | |
erfüllen. Und immer wieder hört man das Gleiche: „Wir wollen uns nicht | |
länger für Blöd verkaufen lassen. Wir wollen uns diese wahnsinnigen Lügen | |
nicht länger anhören“. | |
Am vergangenen Samstag zogen Tausende Demonstranten auch am TV-Sender | |
Studio B in Belgrad vorbei, als dort Vučić gerade ein Interview gab. Der | |
Präsident war verärgert. Diesen oppositionellen „Dieben“ und „Faschiste… | |
werde er nicht nachgeben, sagte er. Die unzufriedenen Bürger wolle er aber | |
anhören, auch wenn es nur eine Handvoll sei. | |
30 Dec 2018 | |
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[1] /Serben-gegen-Praesident-Vucic/!5559020 | |
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## AUTOREN | |
Andrej Ivanji | |
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