# taz.de -- Proteste in Frankreich: „Macron muss weg!“ | |
> Im Küstenort Bandol setzen ein paar Dutzend Gelbwesten beharrlich ihre | |
> Aktionen fort. Doch ihnen fehlt eine politische Perspektive. | |
Bild: Proteste der Gelbwesten Mitte Mai in Paris | |
BANDOL taz | Der Kreisel gleich nach der Autobahnausfahrt nach Bandol und | |
Sanary-sur-Mer ist strategisch gut gewählt. Hier kommen außer den Touristen | |
vor allem die EinwohnerInnen der südfranzösischen Küstenorte im Departement | |
Var vorbei, wenn sie zur Arbeit oder für einen Einkauf nach Toulon und | |
Marseille fahren. | |
Jedes Mal sehen sie die auffällige Gruppe von jeweils zwanzig bis dreißig | |
Menschen mit ihren gelben Warnwesten. Sie ist zum Symbol einer | |
Oppositionsbewegung geworden, wie sie Frankreich in dieser Art noch nie | |
erlebt hat. Viele LKW- und Autofahrer hupen zum Zeichen ihrer Solidarität, | |
einige haben die fluoreszierende Weste neben dem Lenkrad gut sichtbar auf | |
das Armaturenbrett gelegt. | |
„Hören Sie, wir sind überhaupt nicht am Ende, wie die Medien glauben machen | |
wollen!“, sagt der von den vielen Stunden auf dem Rasen des Kreisels braun | |
gebrannte Fredo. Aber auch er muss eingestehen, dass die Autofahrer | |
inzwischen nur noch selten anhalten, um mit den Besetzern zu reden oder | |
ihnen etwas zum Knabbern mitzubringen. | |
Auf die Frage, ob sie so etwas wie die „letzten Mohikaner“ der Gilets | |
jaunes seien, ist die Reaktion ein vielstimmiger Protest, in den sich aber | |
auch gewisser Stolz mischt. Staatspräsident Emmanuel Macron hatte seine | |
Landsleute, die sich seinen Reformen widersetzen, ironisch als | |
„widerspenstige Gallier“ bezeichnet. | |
## Unterstand abgerissen | |
„Eher ein Kompliment“, meint dazu der Mann, der sich Fredo nennt. Denn in | |
Bandol, harren die Besetzer in Gelb auf ihrem Rasen mit einer an Asterix | |
und Obelix erinnernden Sturheit gegen die Übermacht aus. Der Unterstand, | |
den sie anfänglich gebaut hatten, wurde aber auf Befehl der | |
Polizeipräfektur abgerissen. | |
Wie jeden Nachmittag sind auch dieses Mal rund 25 Frauen und Männer auf | |
„ihrem“ Kreisel zugegen. Die besonders gesprächige 58-jährige Nicole geh�… | |
zum harten Kern derer, die hier von Anfang an mitmachen – das heißt, seit | |
dem Start dieser Aktionen auf Zufahrtsstraßen, vor Supermärkten oder an | |
Autobahnschranken am 17. November. Sie war schon da, als die | |
Autobahnmautschranke in Flammen aufging, als die Polizei die Blockade | |
gewaltsam räumte. Gegen 14 Gelbwesten läuft deswegen ein Verfahren wegen | |
Sachbeschädigung. | |
Tatsächlich dauert diese Protestbewegung, die ursprünglich wegen der | |
steigenden Treibstoffpreise in Gang kam, nun schon mehr als sechs Monate | |
an. „Wir sind kein bisschen müde, wir machen weiter, bis wir bekommen, was | |
wir wollen“, versichert Nicole mit südlichem Akzent. | |
Aber was wollen sie? Die Antworten, die gleichzeitig aus mehreren Mündern | |
kommen, gehen in verschiedene Richtungen und bleiben alle ziemlich | |
generell. Ein Konsens herrscht offenbar zu zwei Punkten: „Soziale und | |
fiskalische Gerechtigkeit!“ und „Macron muss weg!“. Einstimmig protestier… | |
sie gegen die „Polizeigewalt“ bei den Demonstrationen der vergangenen | |
Wochen und Monate. | |
## Zum Kollektiv geworden | |
Das Zusammensein auf ihrem Kreisel hat diese Menschen verschiedenen Alters | |
und verschiedener Herkunft zu einer Familie vereint. „Vorher fühlte sich | |
jeder und jede isoliert und manchmal voller Scham oder Wut allein mit | |
seinen Sorgen und materiellen Problemen. Jetzt sind wir ein Kollektiv. | |
Diese sozialen Kontakte sind für mich wichtig, nichts wird für mich sein | |
wie zuvor“, erklärt eine etwa vierzigjährige Frau, die Teilzeit im | |
Gesundheitsdienst arbeitet. | |
Immer wieder merkt man im Gespräch, wie groß das Mitteilungsbedürfnis und | |
zugleich das Misstrauen gegenüber den Medien ist. Nachrichtensender wie | |
BFM-TV und die staatlichen Fernsehanstalten werden der „systematischen | |
Desinformation“ beschuldigt. | |
Da wenige Tage nach diesem Treffen in der südfranzösischen Provinz die | |
EU-Wahlen stattfinden, haben die Gelbwesten von Bandol auch ein Schild | |
aufgestellt, auf dem steht: „Votez!“ und darunter „Tout sauf Macron“. A… | |
nur nicht Macron? Auch auf das Risiko hin, dass beispielsweise die extreme | |
Rechte gewinnt? | |
„Das ist nicht unser Problem“, brummt einer der älteren Gelbwesten. Anderen | |
scheint die Vorstellung, dass man sie als nützliche Idioten der | |
Rechtspopulisten von Marine Le Pens Rassemblement national (Ex-Front | |
national) betrachtet, doch etwas peinlich. „Wir sind apolitisch“, meint | |
einer, der damit wohl sagen möchte, dass sich die Gelbwesten von keiner | |
Seite instrumentalisieren lassen wollen. | |
## Abfuhr auf Facebook | |
Auf ihrer Facebook-Seite haben sich die Gilets jaunes von Toulon/La | |
Seyne/Bandol jedoch mit einem Communiqué dem RN-Lokalpolitiker Frédéric | |
Boccaletti eine Abfuhr erteilt, als dieser in der Zeitung Var-Matin | |
behauptet hatte, die Mehrheit der Gilets jaunes in diesem südfranzösischen | |
Département seien „Sympathisanten“ seiner Partei. | |
Das stimme so nicht, auch wenn es unter den Gelbwesten Anhänger linker und | |
rechter Parteien gebe. „Wenn Boccaletti, der nur ein Mal für zehn Minuten | |
bei uns war, öfter gekommen wäre, hätte er festgestellt, dass eine Mehrheit | |
der Gilets jaunes sich von der Politik verkauft und verraten fühlt.“ | |
Hingegen seien die Mitglieder aller Parteien, vom RN bis zu den Linken der | |
„France insoumise“ bei ihnen zur Teilnahme an Aktionen willkommen. Jedoch | |
nur solange, wie sie nicht bloß kämen, um Parteipropaganda zu machen. | |
Da sie sich hingegen weder von politischen Extremisten noch von | |
gewalttätigen Demonstranten klar abgrenzen, erwecken diese Gilets jaunes | |
den Eindruck, dass sie letztlich keinen politischen Horizont für die | |
Zukunft haben. Ihre Forderungen sind der Gegenwart zugeordnet und sollen | |
sofort erfüllt werden. | |
## Einigung unmöglich | |
Das erlaubt es Menschen mit so unterschiedliche Ansichten und Anliegen | |
zwar, einträchtig gegen die Staatsführung zu protestieren, zugleich | |
verunmöglicht das eine Einigung auf ein gemeinsames Programm oder eine | |
alternative Regierungspolitik. | |
Diese politische Ziellosigkeit kommt nicht nur in der | |
Anti-Macron-Wahlempfehlung zum Ausdruck, sondern auch in der Ablehnung der | |
zwei oder drei Wahllisten, die sich explizit als Produkt der Gilets jaunes | |
ausgeben. Der Kampfplatz dieser Wutbürger von Bandol ist nicht die | |
Wahlurne, sondern der Kreisel bei der Autobahnzufahrt. | |
Der Appell von Staatspräsident Macron verhallt bei ihnen ungehört. „Ich bin | |
der Ansicht, dass ich den Franzosen und Französinnen, die an dieser | |
Bewegung teilgenommen haben, am 10. Dezember und bei meiner kürzlichen | |
Pressekonferenz geantwortet habe. Wer jetzt noch weitermacht, hat keine | |
politische Perspektive mehr. Wir haben unsern Teil der Arbeit getan, und | |
ich denke, jetzt kann jeder wählen oder bei den Wahlen kandidieren. Es ist | |
schwerer, ein Projekt vorzuschlagen, als nein zu allem zu sagen“, sagte der | |
Staatschef in Biarritz am 17. Mai. | |
Nach sechs Monaten ziehen auch die französischen Medien eine | |
Zwischenbilanz, obwohl die wenigsten denken, dass die Aktionen der Gilets | |
jaunes so schnell enden werden. Die Zugeständnisse, die ihnen die | |
Staatsführung zur Verbesserung der Kaufkraft und zur Senkung von Abgaben | |
machen musste, belaufen sich bisher auf rund 15 Milliarden Euro. | |
## Tod durch Tränengasgranate | |
Der Preis dafür ist auch auf Seiten der Demonstranten hoch. Bei den durch | |
Straßenblockaden verursachten Unfällen sind zehn Menschen gestorben, in | |
Marseille erlag am 2. Dezember eine alte Frau, die beim Öffnen ihres | |
Fensters versehentlich von einer Tränengasgranate getroffen wurde, ihren | |
Verletzungen. | |
Bei den oft in Krawalle ausartenden Kundgebungen in Paris und zur | |
Beharrlichkeit der Gilets jaunes.anderen Städten wurden mehr als 4000 | |
Personen zum Teil schwer verletzt. 24 verloren ein Auge und fünf eine Hand. | |
Die Verluste scheinen die Gilets jaunes in Bandol nicht eingeschüchtert zu | |
haben, sie zeigen ein Plakat gegen die Regierungspartei mit Fotos von | |
Verletzten und der Aufschrift „Réfléchissez avant de voter pour LREM!“ | |
(Denkt nach, bevor ihr LREM wählt!). Sie versichern, diese „Repressionen“ | |
hätten sie erst recht zusammengeschweißt. Den Humor haben die Gelben auch | |
nicht verloren: „Es ist wie mit den Kakerlaken. Man kann sie mit Gift | |
besprühen, sie kommen immer wieder“, meint die lachende Nicole. | |
24 May 2019 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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